21.06.2010 / 12:02 / Kathrin Passig liest: Tagebücher Band 5, 1943-1945 (Joseph Goebbels)

Von Goebbels lernen heisst Optimismus lernen

Nur weil es an allen Ecken und Enden des Reichs brennt, muss man sich nicht gleich mädchenhaft anstellen. "Aber ziehen wir aus der gegenwärtigen Situation die nötigen Konsequenzen, so kann von einem Untergang überhaupt nicht mehr die Rede sein; im Gegenteil, wir werden dann in Bälde einen Aufstieg nehmen, wie wir ihn uns heute noch gar nicht vorstellen können. Der Krieg wird seinen kritischen Punkt bald überschreiten, und dann wird es zuerst in der Heimat und dann an den Fronten wieder vorwärtsgehen." (23.7.1944) Was soll schon passieren, schliesslich "stellt sich heraus, dass wir mit Ausnahme der Luftwaffe auf allen Waffengebieten unseren Feinden überlegen sind." (2.12.1944) und die Lage ist "für den Feind düster und ziemlich aussichtslos". (20.12.1944) Je schwieriger die Lage, desto besser steht man natürlich da, wenn man das Steuer herumreisst: "Sollte dem Führer eine Wendung der Dinge gelingen – und ich bin fest davon überzeugt, dass einmal die Gelegenheit dazu kommt –, dann wird er nicht der Mann des Jahrhunderts, sondern der Mann des Jahrtausends sein." (29.1.1945)

Wenn ich in den nächsten drei Runden immer nur auf meinen eigenen Strassen lande, aber alle anderen Mitspieler in jeder Runde in meinem Hotel in der Badstrasse wohnen müssen, bin ich saniert! "Das Programm, das der Führer mir hier entwickelt, ist grosszügig und überzeugend. Nur krankt es vorläufig daran, dass keine Möglichkeit zu seiner Verwirklichung gegeben ist. Diese Möglichkeit muss erst durch unsere Soldaten im Osten geschaffen werden. Wir haben als Voraussetzung dafür einige respektable Siege nötig; aber nach Lage der Dinge könnte angenommen werden, dass diese zu erreichen wären." (12.3.1945) Das leuchtet ein, aber was ist mit den Löchern im Westen? "Im übrigen ist der Führer der Überzeugung, dass er in etwa acht bis zehn Tagen die Löcher im Westen wieder notdürftig zuflicken wird." (31.3.1945) Ach so, na dann.

Schon am 28. März 1944 wurde zwar selbst Goebbels der Krieg "langsam etwas über", ein Jahr später klagte er "Angenehme Nachrichten erhält man fast gar nicht mehr", und am 8. April 1945 hatte er einen geradezu nachdenklichen Moment: "Man stellt sich manchmal verzweifelt die Frage, wohin das führen soll." Der ging aber gleich wieder vorbei: "Aber ich habe doch die Hoffnung, dass [der Führer] diese Situation meistern wird. Er hat es ja immer verstanden, mit einer souveränen Ruhe seinen Augenblick abzuwarten. Ist der Augenblick aber gekommen, dann pflegt er auch immer mit beiden Händen zuzugreifen."


Ohne den Krieg gäbe es diese Kletteranlage gar nicht (Berlin, RAW-Gelände. Foto: Passig)
Man muss einfach positiv denken: "Der Führer ist der Überzeugung, dass, so schlimm der feindliche Luftterror augenblicklich, insbesondere für unsere mittelalterlichen Städte, ist, er doch auch insofern etwas Gutes hat, als er diese Städte überhaupt für den modernen Verkehr aufschliesst." Überhaupt seien die zerstörten Kunstwerte gar nicht alle unersetzlich: "Wenn beispielsweise von der mittelalterlichen Schönheit des Kölner Doms gesprochen und geschrieben wird, so vergisst man meist, dass der Kölner Dom ja erst im 19. Jahrhundert das geworden ist, was er heute ist." (14.3.1944) Da gibt es sicher noch einige viel zu selten beachtete Aspekte, etwa den Kostenvorteil durch die Einsparung von Abrissunternehmen, die Belebung des Baugewerbes und auch die Tatsache, dass alte Gebäude und Kunstwerke oft ziemlich hässlich sind. Ein kleines Land ist ausserdem viel leichter regierbar als ein grosses, unpraktisches Imperium, Beispiel Römisches Weltreich. Und nicht zu vergessen: Das Geplünderte ist ja nicht weg! Es hat jetzt nur jemand anders.

Es ist wahrscheinlich alles eine Frage der richtigen Philosophie. "Wozu überhaupt aus dem Bett aufstehen", fragt sich der einfache Bürger, "wenn doch jederzeit ein Mondeinbruch in die Erde stattfinden und dieser ganze Planet in Feuer und Asche aufgehen kann?" Nicht so Hitler: "Er sagt mir zum Beispiel, dass es nötig sei, für sein Volk zu arbeiten, aber dass auch das nur begrenztes Menschenwerk sein könne. Wer wisse, wann wieder einmal ein Mondeinbruch in die Erde stattfinde und dieser ganze Planet in Feuer und Asche aufgehen könne. Trotzdem aber müsse es unsere Aufgabe sein, unsere Pflicht zu erfüllen bis zum Letzten." (28.2.45)

Obsolete Praktiken:
jemandem Korsettstangen einziehen
mit jemandem Fraktur reden
vom Führer völliges Vertrauen entgegengebracht bekommen und deshalb aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen brauchen
Wunder in der Wiederaufrichtung der Manneszucht vollbringen
jemanden niederlegen lassen

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20.06.2010 / 12:25

Alles Pfeifen ausser Hitler

Die Generalität insgesamt " Die Generalität insgesamt hält der Führer, wie er mir schon häufiger gesagt hat, für denkbar ekelhaft." (4.3.1944)

Himmler: "Der Führer ist nun auch der Meinung, dass Himmler keine operativen Fähigkeiten besitzt. Er ist zwar ein Tüftler, aber kein Feldherr. Es fehlt ihm völlig die grosszügige Ader. Das hat er bei den Operationen in Pommern bewiesen, die durch sein kindliches operatives Denken völlig verkorkst worden sind."

Die Italiener: "Der Führer ist sehr erbost über die Italiener, weil sie tatsächlich nichts leisten. Für die Ostfront eignen sie sich nicht, für Nordafrika eignen sie sich nicht, für den U-Boot-Krieg eignen sie sich nicht; sie eignen sich nicht einmal für die Heimatflak. Der Führer fragt mit Recht, warum sie denn überhaupt Krieg führen." (9.3.1943)

Keitel "... eine absolute Null (...) Er ist eine Lokomotive ohne Feuer, die ihren letzten Dampf verpufft und dann plötzlich stehenbleibt." (18.3.1943)
"ein Dümmling und ausserdem noch charakter- und haltungslos" (29.2.1944)
"charakterlos und ein ausgesprochener Opportunist" (29.2.1944)

Keitel und Jodl: "Er bezeichnet jetzt selbst die Keitel und Jodl als Papis, die müde und verbraucht seien ..." (28.3.1945)

Die Luftwaffe: "Die Luftwaffe ist eine einzige Schande für die Partei und für den gesamten Staat." (14.3.1945)

Ribbentrop: "Jedenfalls ist die Penetranz und Sturheit Ribbentrops für mich allmählich auf die Nerven fallend." (6.6.1944)

Rumänen, Italiener, Ungarn: "Wenn man überhaupt eine Liste der militärischen Tüchtigkeit anlegen wollte, so könnte man nur sagen: Schlecht sind die Rumänen, noch schlechter sind die Italiener, und am allerschlechtesten, unter jeder Kritik, sind die Ungarn." (23.1.1943)

Seydlitz "ein ausgemachtes vaterlandsloses und verräterisches Schwein" (5.2.1944)

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19.06.2010 / 11:53

Göring, der sybaritische Sybarit


Und zwar sowohl menschlich
als auch sachlich.
Was Goebbels vor 1943 von Göring hielt, werde ich lesereihenfolgenbedingt erst viel später herausfinden. Im März 1943 jedenfalls war er milde gestimmt: "Göring ... trägt eine etwas barocke Kleidung, die, wenn man ihn nicht kennte, ein bisschen komisch wirken würde. Aber er ist ja so, und man muss sich schon mit seinen Originalitäten abfinden; ja sie haben manchmal etwas direkt Sympathisches an sich."

1944 verlassen Goebbels seine Abfindefähigkeiten: "Über das Versagen Görings, und zwar sowohl menschlich als auch sachlich, ist der Führer ausserordentlich traurig. Er kann es nicht verstehen, dass Göring bei der jetzigen Härte des Krieges immer noch seinen alten luxuriösen Lebensstil pflegt, dass er sich in pompöse Uniformen kleidet. So berichtet mir der Führer beispielsweise, dass er bei einem Besuch einer Fallschirmdivision plötzlich vor ihm in Fallschirmjägeruniform erschienen sei, was geradezu grotesk gewirkt und bei den umstehenden Generälen des Heeres nur Lächeln erregt habe." Falsche Uniformen zum falschen Anlass, offenbar ein Problem in Kriegszeiten. Im Februar 1945 bemängelt Goebbels: "Es ist beispielsweise eine grobe Stillosigkeit, dass der erste Offizier des Reiches in dieser Situation des Krieges in einer silbergrauen Uniform herumläuft. Welch ein weibisches Betragen den Ereignissen gegenüber!" Man könnte vermutlich googeln, was hier das Problem ist, trägt der Gentleman in verlorengehenden Kriegen schwarze Uniform? Ist Silbergrau bestimmten Kriegssituationen vorbehalten, vielleicht dem Überfall auf besonders kleine und niedliche Länder wie Luxemburg? Aber ich möchte lieber meine Unwissenheit in Fragen der Herrenmode behalten, man weiss ja, wohin so was führt, als Nächstes befasst man sich mit Krawattenknoten, Manschettenknöpfen und Völkermord.

"Der ganze Lebensstil, den Göring augenblicklich pflegt, ist dem Führer widerwärtig und ekelhaft geworden. Er ist natürlich nur eine Folge der übertriebenen Genusssucht des Reichsmarschalls, die er zu überwinden einfach nicht die Kraft besitzt. Der Führer betont ganz richtig, dass Göring durchaus nicht eine so eiserne Persönlichkeit ist, wie er früher immer geschildert wurde, er ist au fond ein weichlicher und anfälliger Mensch (...) Der luxuriöse, um nicht zu sagen sybaritische Lebensstil Görings hat sich ... in der Luftwaffe nach unten fortgepflanzt. Darauf ist in der Hauptsache die Korruption und die moralische Anfälligkeit der Luftwaffe zurückzuführen. Die Waffe kann zu grossen Teilen als verdorben angesehen werden." (2.12.44) "Wenn Göring nicht so völlig ausserhalb der Reihe stände. Er ist kein Nationalsozialist, sondern ein Sybarit, von einem Jünger Friedrichs des Grossen ganz zu schweigen." (28.2.45)

Die Existenz der Sybariten war mir bisher mangels Griechischunterricht unbekannt, und dabei gibt es über das antike Sybaris so viel Schönes und Wichtiges zu sagen. Die Sybariten haben die Badewanne und den Nachttopf erfunden, wobei der Nachttopf "allerdings nicht unter das Bett gestellt, sondern zu Gastmählern mitgenommen" worden sei, warum auch immer. Ausserdem hatten sie die richtigen Prioritäten im Leben: "Die Sybariten duldeten keine lärmintensiven Handwerke wie Schmiede und Zimmerer in der Stadt. Um den Schlaf der Anwohner zu schützen, durften nicht einmal Hähne gehalten werden." Weil die Sybariten bis auf einen einzigen Sieg im Knabenboxen bei den Olympischen Spielen nichts zustandebrachten, richteten sie zeitgleich selbst Spiele aus; "Siegespreise in ungewöhnlicher Höhe wurden ausgesetzt, damit sich Athleten statt für olympischen Ruhm für sybaritisches Geld entscheiden sollten." "Was die Gesundheit und deren Erhaltung betraf, so wurde es für gesund erachtet, viel zu trinken und die Nacht zum Tage zu machen." Der Sybarit Smindyrides soll in 20 Jahren weder Sonnenaufgang noch Sonnenuntergang gesehen haben.

Es gibt Anekdoten über die Sybariter, in denen sich unter anderem ein Sybarit einen Bruch zuzieht, indem er einem Landarbeiter bei der Arbeit zusieht. Ein anderer "wollte nach Kroton fahren und mietete ein Schiff für sich allein. Der Kapitän musste ihm zusichern, dass er nicht nassgespritzt würde. Dann wollte er einen Freund überreden, ihn zu begleiten: 'Ich habe mit dem Kapitän vereinbart, dass er sich nahe am Land hält.' Darauf der Freund: 'Was? Ich würde mich kaum zu einer Landreise längs der See überreden lassen, geschweige zu einer Seereise längs des Landes!' (Mehr Sybaritenscherze im Wikipedia-Eintrag Tryphe.)

Ich finde das lustig; Goebbels nicht so. "Ordenbehängte Narren und eitle, parfümierte Gecken gehören nicht an die Kriegsführung. Entweder ändern sie sich, oder sie müssen eliminiert werden. Ich werde nicht ruhen und nicht rasten, bis der Führer hier Ordnung geschaffen hat. Er muss Göring innerlich und äusserlich ummodeln oder ihm den Stuhl vor die Tür setzen." Das war im Februar 1945. Noch ehe das Jahr um war, eliminierten sich alle drei, die Parfümierten und die Unparfümierten. Gut, dass es die Sybariten nicht mehr gibt; vermutlich fänden sie es beleidigend, Göring so bezeichnet zu sehen. Ein anständiger Sybarit fühlt sich nicht zu Genozid, Plünderungen und – sei es noch so nachlässiger – Luftkriegsplanung hingezogen. Schon wegen des frühen Aufstehens.

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18.06.2010 / 13:41 / Monika Scheele Knight liest: Klagenfurttexte

Mauken im Zelt

"Mensch, kriech raus! Deine Mauken will ich nicht auf meinem Bauch."

Fast möchte ich schon auf S. 48 ein abschliessendes Radisch-Urteil fällen: ein Text, in dem Mauken vorkommen, kann kein schlechter Text sein. Da der Roman aber auch jenseits der Erwähnung von Mauken sehr schön ist, lese ich gerne weiter. "Hinter ihnen war das Dorf Eldena, dessen Klosterruine Caspar David Friedrich gemalt und so die Deutsche Romantik begründet hatte. Natürlich nicht in Greifswald. Ich ahnte, dass man Greifswald verlassen muss, um etwas zu verwirklichen. Muss ich Greifswald verlassen, dachte ich und sah kurz auf die Aktfotos, dann wieder auf die Zweige des Setzlings, die versuchten, die Aussicht auf den Innenhof zu verbessern."

Das ist alles richtig gut erzählt, lakonisch und doch nah, in den Schilderungen der versoffenen Väter und Stiefväter sehr, sehr beklemmend, immer wieder unter Einbeziehung des überzeugend eingearbeiteten Ausschneidethemas. "Vielleicht musste man manchmal den Hintergrund behalten und die Figur wegwerfen", heisst es nach einer furchtbaren Konfrontation mit dem Stiefvater. "Die Menschheit hat zwei grosse Feinde: den Krieg und die Sucht. Das Leben besteht aus beidem, so viel ist sicher. Ein Drittel Krieg, ein Drittel Sucht und ein Drittel von Etwas, von dem ich nichts weiss." Das Ausschneidethema funktioniert nicht nur in Bezug auf Figuren, sondern auch in Bezug auf ein ganzes Land, die verschwindende DDR: "Tränen stiegen mir in die Augen, weil ich begriffen hatte, dass mein Vaterland gerade aus der Karte geschnitten wurde, während ich hier stand. Etwas anderes würde schon darüber geklebt werden; etwas, das aussah wie Sylt. Aber Sylt würde es niemals sein."

Man erfährt detailliert, wie das Heizen der Reichsbahndirektion funktioniert und komischerweise ist selbst das interessant, ein weiterer Beweis dafür, dass einen alles interessiert, solange es nur gut erzählt ist.
Auf der Fregatte 'Bremen' macht der Protagonist dem Neuankömmling Richard klar, was es heisst, Wehrpflichtiger zu sein: "Wir setzten uns in die Offene Registratur und warteten auf die Unteroffiziere und auf den Wachtmeister. Als Wehrpflichtiger erledigte ich keinen Handschlag selbständig und übernahm keinerlei Verantwortung. 'Wehrpflichtiger zu sein', hatte ich zu Richard gesagt, 'ist, Urlaub vom Leben zu haben.' Er verstand."

Wegen des Spiels Brasilien-Nordkorea muss ich bei Altwassers DDR die ganze Zeit an Nordkorea denken. Ein Freund von mir, in der DDR aufgewachsen, ist vor ein paar Jahren mit einer Reisegruppe nach Nordkorea in Urlaub gefahren, um sich anzusehen, wie so etwas heute noch geht. Nach Nordkorea kann man nur mit einer angemeldeten Gruppe reisen und vorher muss man bestimmte Sachen bezahlen, wie zum Beispiel 40 Euro oder so für einen Kranz, der an einem Denkmal für Kim Il-sung niedergelegt wird. In Pjöngjang besichtigte die Gruppe einen Park. In dem Park gingen Familien spazieren, Kinder spielten, wie man sich das von einem Park am Sonntagnachmittag vorstellt. Irgendwann wurde die Reisegruppe zum Bus zurückgebracht, der Reiseleiter sah hektisch auf die Uhr, da bemerkte mein Freund, wie sich die Menschen im Park alle an einer Stelle zusammenzogen und gemeinsam den Park verliessen. Er filmte das Ganze heimlich, während er in den Bus stieg. Gespenstische Aufnahmen, es sieht so aus, als wären die Menschen für einen bestimmten Zeitraum beordert worden, der Reisegruppe 'glückliche Familien im Park' vorzuspielen.

Irgendwann wechselt der Erzähler vom Ausschneiden zum Aufschreiben: "Aufschreiben war wie aus dem Erzählten etwas auszuschneiden; quasi aus Nichts Bilder zu machen; vielleicht sogar aus Scheisse Bonbons!"

Die FAZ macht auf dem Cover von "Wie ich vom Ausschneiden loskam" ostdeutschen Neorealismus à la "Halbe Treppe" aus, das geht in Ordnung, ein bisschen erinnert es mich tatsächlich sogar an "Müller haut uns raus", aber solche Vergleiche sind ja sinnlos. Die letzten zehn Seiten fallen raus aus dem Buch, Sopran hat recht, zu larmoyant, das ist plötzlich eine ganz andere Perspektive, die nicht reinpasst.

Prädikat trotz des abfallenden Endes: Mein erster Lichtblick der diesjährigen Bachmannvorbereitung. Wenn der Text für den Bewerb nur annähernd so unterhaltsam und gut geschrieben ist wie dieser Roman, wird Volker Harry Altwasser einen der Preise mit nach Hause nehmen, so weit würde ich mich aus dem Fenster lehnen, wenn ich nicht eh schon auf der Terrasse sässe. Allerdings habe ich ja auch erst Rossbacher und Schmidt als Vergleichsgrundlage.

Monika Scheele Knight / Dauerhafter Link


17.06.2010 / 22:15 / Kathrin Passig liest: Tagebücher Band 5, 1943-1945 (Joseph Goebbels)

Meine ausserordentlich gut gelungenen Reden

Um mich der Seitenzahlensklaverei vorübergehend zu entwinden, werde ich Band V der Goebbelstagebücher nach Themen geordnet bearbeiten. Man hätte natürlich auch bei Band I anfangen können (das Buch ist eine Leihgabe von Christian Heller, der alle Bände in Kassette besitzt), aber "der Reihe nach lesen ist was für Germanisten" (Regine Heidorn), und ich wollte erst mal wissen, wie es ausgeht.

Goebbels ist kein Mann der Selbstzweifel, na gut, das ist jetzt vielleicht nicht die allergrösste Überraschung des Jahrhunderts. Ich fühle mich bei der Lektüre zunehmend unqualifizierter für Propagandaministerposten tausendjähriger Reiche. "Ich beginne deshalb am späten Nachmittag meine Rede für den Sportpalast zu diktieren, die ich bis in den späten Abend hinein korrigiert vorliegen habe", mit so was fängt es schon mal an, ich würde für eine Sportpalastrede Monate brauchen. Und was für eine Zufriedenheit mit der geleisteten Arbeit: "Ich glaube, dass sie sehr gut gelungen ist. Vielleicht wird sie sogar eine Meisterleistung meiner bisherigen Redetätigkeit überhaupt sein."

Ich halte meine Vorträge ja samt und sonders für Tiefpunkte meiner bisherigen Redetätigkeit überhaupt, aber dann passiert es mir ja auch nie, dass sich der Führer persönlich "auf das schmeichelhafteste für mich über meine letzte Sportpalastrede [auslässt], die er als ein psychologisches und propagandistisches Meisterstück bezeichnet. Er habe sie von Anfang bis zu Ende aufmerksam durchstudiert, auch das Auslandsecho gelesen, und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass wir hiermit einen Hauptschlager gelandet hätten. Er ist von der Wirkung geradezu begeistert." (9.3.1943)

"Mein Tunis-Artikel hat in der öffentlichen Weltmeinung einen tiefen Eindruck hinterlassen. Die hier vorgetragenen Argumente wirken durchaus überzeugend." (22.5,1943). "Das Volk erwartet Freitagabend die Verlesung meines Leitartikels so wie seine tägliche Brotration" schätzt Goebbels im September 1944, und "[Meine Rede] war im Augenblick das Beste, was überhaupt gesagt werden konnte." im Oktober. "Abends um 7 Uhr wird meine Rede über den Rundfunk übertragen. Ich höre mir sie selbst noch einmal an. Vortrag und Stil sind ausgezeichnet, und ich verspreche mir davon wenigstens einige Wirkung ..." Das war am 1. März 1945, danach hielt Goebbels zwar noch eine Rede am 19. April, aber da er zu diesem Zeitpunkt schon kein Tagebuch mehr führte, kann man nur spekulieren, dass er auch mit dieser letzten Rede ausserordentlich zufrieden gewesen sein wird.

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