26.06.2010 / 11:35 / Viele lesen: Klagenfurttexte 2010
Die Erzählung von Aleks Scholz kommt aus der Tiefe der Zeit; schon nach wenigen Sätzen wird der Blick auf einen der drei Protagonisten frei. Die sich allmählich über Jahre oder auch Jahrmillionen verändernde Natur. Auch sie bewegt sich, wenn die Kamera nur lang drauf gehalten wird. Hecken wandern und scheiden einen Schweinestall aus wie ein lebender Organismus seine Exkremente, ehemalige Gletscher haben eine Grundmoränenlandschaft zurückgelassen, in der sich inzwischen ein Dorf angesiedelt hat. Wir befinden uns in der Jetztzeit und lernen auch schnell die übrigen Protagonisten kennen, Trampe und Liebke, in zwei benachbarten Höfen wohnend. Es sind die Geschehnisse eines Tages, welche uns auf den folgenden Seiten präsentiert werden, in seinem Verlauf vollziehen sich alltägliche Verrichtungen neben schrulligem Verhalten, konkret, das Verfassen von niemals abgeschickten Briefen aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben und schliesslich eine Selbstbestattung.
Dazwischen fährt eine Kamera durch die Landschaft, verlässt kurz die Höfe, um zum benachbarten Fuchsberg zu schwenken. Dann nimmt sie zweimal die Vogelperspektive ein, so erscheint Trampes ausgehobenes Loch nur noch als Fleck und die Kamera muss weit über die Landschaft fahren, um auf einer entfernten Kuhweide einen ähnlichen Flecken zu finden. Später richtet sich der Blick zum Himmel, wir sehen eine unbestimmte weisse Linie, wie überhaupt des Öfteren im Text Linien, Parabeln und Kegel vorkommen.
Erzählt wird das vordergründing detailliert, sachlich und deskriptiv. Andererseits mischt sich gelegentlich ein unbekannter Sprecher ein, mal kommentierend ("Die ihr zugedachte Aufgabe jedoch, daran besteht kein Zweifel, erfüllt sie tadellos" "Ob es auf dem Fuchsberg wirklich Füchse gibt, ist mehr als fragwürdig." "Vollkommen makellos dagegen Liebkes Rasen, ..., kaum zu glauben, dass dort alles mit rechten Dingen zugeht."), mal personifizierend ("als der letzte Gletscher sich zur Umkehr entschloss") und mal zweifelnd ("Wohlmöglich besteht hier ein Zusammenhang." "Vielleicht allerdings, das kann man nicht feststellen").
Dass das nicht zu einer Überfrachtung des Textes führt, liegt an dem ruhigen Ton der Erzählung und einer vorbildlichen Absatztechnik, welche den Leser analog zu den langsamen Schritten der beiden Hofbewohner sowie der sich langsam verändernden Natur stückweise durch die Geschichte zieht. So bedächtig geschieht das, dass man fast die eigentliche Pointe übersieht; denn es ist ein unaufgeklärter Kriminalfall, welcher uns hier präsentiert wird, und obwohl zahlreiche Indizien eingepflastert wurden, bleiben diese doch unter der Oberfläche. Hier seien einige genannt, ob sie alle stimmen und ob die Liste vollständig ist, sei dahingestellt, der Leser möge seine eigenen Schlüsse ziehen:
- [im Keller,] wo im Halbdunkel mehrere massive, verriegelte Türen erkennbar sind.
- Die Schweine essen sowieso alles, was man ihnen hinstellt
- Neuerdings jedoch verzichten viele aufs Haareschneiden, und die Felder werden seltener bestellt
- Er bückt sich, hebt den silbernen Ring mit zwei Fingern aus dem Dreck, entfernt einige Mistspuren
- Die Tischplatte glänzt überwiegend in hellbraunen Tönen, ist jedoch an zwei Stellen mit einer dunklen Substanz befleckt
- Auch wenn niemand im Dorf etwas von Trampes Tun mitbekommt, eine Säge ist im Spiel, da kann man sicher sein
Zeichenfertigkeit sowie räumliches Vorstellungsvermögen sind zwei unabdingbare Säulen jeder ernsthaften Literaturkritik. Die vorliegende Skizze missachtet nicht nur elementare Ideen von Frederico Zuccaro, sondern platziert auch den eingewachsenen Baum an der falschen Heckenseite.
Marek Hahn / Dauerhafter Link