23.07.2010 / 23:53 / Maik Novotny liest: Eating Animals (Jonathan Safran Foer)

Ist Fleisch mein Gemüse? (0-17)


Zwischen Tier und Essen.


Als ich das Buch "Eating Animals" von Jonathan Safran Foer erwerbe, fragt mich die Buchhändlerin, ob sie mir das Buch "Eating Animals" von Jonathan Safran Foer in ein Sackerl packen solle. Ohne lange nachzudenken, sage ich, ja, bitte, sonst nie, aber heute schon, weil, ich müsse gleich noch einen Fischkauf tätigen, denn genau das hatte ich vor, und ich wollte nicht 344 Seiten lang den mürbe werdenden Odeur von Bachsaibling einatmen. Sie schaut mich beim Eintüten mit einem leicht gequälten Lächeln an, als hätte ich einen schwachen Witz gemacht. Erst Stunden später fällt mir auf, dass man das in der Tat für einen schlechten Witz hätte halten können.

Ich esse gerne Tiere. Und ich finde Tiere ebenso super, wenn sie intakt und in Betrieb sind. Seltsamerweise – und das fällt mir jetzt beim Lesen auf – sind die Tiere, die ich gerne esse, sogar genau die, die ich im lebendigen Zustand besonders sympathisch finde. Schafe zum Beispiel. Oder Oktopusse. Beim Tauchen sah ich einmal einem stattlichen Oktopus beim Verrichten oktopusartiger Tätigkeiten zu. Etwas Schöneres habe ich selten gesehen. Ganz offensichtlich spielfreudige, listige, freundliche, neugierige und kluge Tiere. Aber hey, die Trattoria "Zum lustigen Tiefseetaucher" hat frische Calamares im Angebot? Nur her damit! Das kann man zu Recht kritisieren, ebenso wie meinen fadenscheinigen Hinweis, immerhin würden maritime Kopffüssler nicht in Legebatterien gehalten. Möglicherweise werden sie ja doch?

Man weiss so wenig. Vermutlich habe ich mich bisher nicht mit Tiere-Ess-Fragen beschäftigt, weil mir die öffentliche Diskussion so quasireligiös erschien, und ich eine gründliche Abneigung gegen das Prinzip des Missionierens hege. Ein Blick in die Amazon-Rezensionen zu "Eating Animals" bestätigt das Schema: "Leider hat Jonathan Safran Foer völlig die Erkenntnisse von Professor [völlig unbekannter Name] unterschlagen, nach denen bekannterweise [völlig abstruse Theorie]!!! Wie kann man so etwas Selbstverständliches nicht erwähnen ??? Leider 0 Sterne !!!"

Wieso kaufe ich dann also dieses Buch? Erstens ist das Cover kuhweidengrasgrün und hat eine schöne Krakeltypographie. Zweitens gefällt mir die lakonische Schlichtheit des Titels (das dürfte vom Titelerfinder auch so beabsichtigt sein). Und dann scheint mir der unbedarfte, undogmatische Blick eines JSF, der, wie er in der Einleitung erklärt, bisher ein opportunistischer Tralala-Teilzeitvegetarier war, schon mal sympathisch. Man wird sehen, ob sich meine Liste von zu essenden Tieren geändert haben wird, wenn ich bei Seite 344 angelangt bin.
Ich halte zur Sicherheit notariell fest: Bei Seite 0 umfasst diese Liste mehr oder weniger die Gesamtheit der Fauna.


26.06.2010 / 14:58 / Viele lesen: Klagenfurttexte 2010

TKKG: Samenstau im Nahverkehr

"Na und, aber es sind meine zwanzig Euro", wurde Wolfgang wütend. "Wollten wir nicht in die Stadt fahren?", versuchte Silke vom Thema abzulenken. "Komm mit", forderte Wolfgang Silke auf. "He was soll das, es hat niemand gesagt, dass du dich an mich ranmachen kannst", stiess er sie weg. "Das war ja besonders lustig", beschwerte sich Albert. "Erstaunlich, was man mit wörtlicher Rede alles anstellen kann", sass ich in Klagenfurt. "Hier wird nicht nur gestammelt, gefaucht, entgegnet und eingewandt", trank ich einen Cappuccino im Pressezentrum des ORF. "nein, hier wird die Dialogführung mit einem Seil um den Hals durch das Handlungsprotokoll gezerrt", hüpfte ein Vogel vorbei. Womit wir beim Thema wären. Josef Kleindiensts Text "Ausflug" beginnt damit, dass Wolfgang und Albert Silke einen Strick um den Hals legen, der an einem Auto befestigt ist, dann starten sie den Wagen. Nach diesem ersten cliffhangenden ersten Absatz: Rückblende. Als Mittel zum Spannungsaufbau funktioniert das recht gut, Filmstandard, nur falle ich sofort wieder aus der Spannung heraus, weil die Zeit nicht stimmt: Erster Absatz Imperfekt; Rückblende Vorvergangenheit, die aber nach zwei Sätzen schon wieder unmotiviert ins Imperfekt zurückschnurrt ("Er hatte keinen guten Tag gehabt und ihm war eingefallen, dass Silke ihm noch immer zwanzig Euro schuldete. Wenn sie ihm die nun nicht zurückgeben konnte, dann sollte sie die zwanzig Euro abarbeiten, dachte er. "). Jurorin Keller wird das später als "gekonnt gemachte Brechung der Chronologie" bezeichnen.

Wolfgang, Albert und Silke sind seit Schulzeiten lose befreundet, die Rollen sind klar verteilt, Wolfgang der jähzornige, gewalttätige Anführer, Albert der Mitläufer, Silke das Opfer. Im Laufe des Textes wird sie mehrmals vergewaltigt und erniedrigt, nur einmal wird Albert zwischendurch kurz das Opfer. Geht man von der Hypothese aus, dass der Autor das nicht bewusst auf "Schockiere die Jury" hingeschrieben hat, ist das ein Plot, der durchaus so passieren kann – verlässlichen spätnächtlichen gestrigen Quellen zufolge ist die Geschichte in der Tat so passiert – und erinnert an Filme wie "Hundstage" und "Funny Games", die ebenfalls beiläufiger, scheinbar grundloser Gewalt thematisieren.
Nur tun sie das nicht mit den sprachlichen Mitteln eines Kinderbuchs; mich erinnert das am ehesten an die Abenteuer von TKKG im Holzschnittland. Wo in den Filmen schmerzhaft auf das Detail gehalten wird, länger als man es aushalten kann, wo die Unmittelbarkeit der Aggression auch für den Zuseher spürbar wird, holpert der Text haltlos herum, und es hilft auch nicht, dass die Erzählperspektive wirkt, als hätte man sie mit Tesafilm auf eine Flipperkugel geklebt: Orientierungslos taumelt sie zwischen Protagonisten und Erzähler hin und her, mal spürt Silke, dann wundert sich Albert, dann passiert wieder "plötzlich" etwas, und man fragt sich, aus welcher Sicht das jetzt "plötzlich" war. Und es passiert sehr, sehr viel in diesem Text "plötzlich". Eben noch waren wir in Silke, dann "küsst Silke plötzlich Wolfgang", ja, wer kann denn das auch ahnen. "Plötzlich" "blitzt" auch die Klinge eines Messers auf, und leuchtet so den Weg in den stilistischen Abgrund, in eine, finde ich, erschütternde sprachliche Unbeholfenheit, die man eben nicht auf die Unbeholfenheit und Verrohtheit der Personen schieben kann, die fällt bei dieser Erzählperspektive komplett auf den Erzähler zurück.

Nur ein paar Beispiele:
"Als der Zug schliesslich in ihren Bahnhof einfuhr und sie das Gebäude erkennen konnten, erhoben sich alle drei." Und dann, nehme ich an – Gebäude erkannt, Gefahr gebannt – gingen Piggeldy und Frederik nach Hause.
"Trotz allem fühlte sie sich zu Wolfgang hingezogen und sie wollte, dass es wieder so wird, wie es vor diesem Abend gewesen war." Das ist psychologisch ja gar nicht uninteressant und unplausibel, dieses Stockholm-Syndrom, aber nach so einem spektakulären Wrack von Satz kann man das nicht mehr ernst nehmen.
"Silke riss sich los, doch Wolfgang schnappte sie an der Hand und zog sie zurück. Er küsste sie, dann schob er sie zwischen seinen Körper und den schmächtigen Körper von Albert." Das würde ich gerne mal von einem gelenkigen Tanztheatertrio nachgespielt sehen.

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