21.11.2007 / 14:31 / Stese Wagner liest: Der grosse Gatsby (F. Scott Fitzgerald)
Stese Wagner (unfassbarerweise nicht eingeladen). Foto: Jan BölscheWenn man das Buch vom grossen Gatsby liest, hofft man natürlich von Anfang an, dass man irgendwann sein Anwesen in West Egg betreten wird – und herausfindet, was ihn so "great" macht. Irgendwann (genauer gesagt, ab Seite 45) verändert sich das. Die Neugier auf Gatsby als Person verblasst neben dem grossen nagenden Wunsch, einfach nur auf eine seiner Gartenparties gehen zu dürfen.
Ach, was für Gartenparties! Honigsüss fliessen die Worte über die Seiten, die diese Parties beschreiben. Und man selbst, die angehende Dandyette, sieht sich natürlich gleich mittendrin: Beim Sonnenbaden am Privatstrand, beim Trinken von zuckrigem Apfelsinensaft (den Butler mit Spezialmaschinen hergestellt haben!), beim Bewundern von Paradiessalaten am opulenten Buffet, beim Luftküsschen-Tausch mit schicken Bubikopfmädchen, beim Tanzen mit Männern in gutsitzenden Anzügen und – natürlich! – beim Flüstern und Sekt unter Sternenhimmel. Herrlich!
Die Enttäuschung ist dann verständlicherweise gross, wenn statt einem selbst der langweilige Ich-Erzähler auf die Party geladen wird. Und man zusehen muss, wie er sich dort nicht mal richtig amüsiert: Er trinkt zwei Schalen Champagner, hält kurz mit einer Tennisspielerin Händchen und sinkt dann vor Begeisterung fast in Ohnmacht, weil er den leibhaftigen Gatsby kennenlernt. Nun, Gatsby ist recht jung, hat ein Segelflugzeug und redet gerne über den Krieg. Das ist nicht wirklich schlecht. Aber eben auch nichts, was man nicht genausogut in jeder Berliner Bar treffen würde.
Ach, was hätte ich alles aus diesem Abend rausholen können, wenn man mich stattdessen geschickt hätte! Getanzt hätte ich und getrunken, so lange, bis mich ein schöner Mann mit den Worten "Die Musik ist schon seit einer halben Stunde gegangen" über die Schulter geworfen und über das taunasse Gras nach Hause getragen hätte.
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11.11.2007 / 19:31 / Stese Wagner liest: Der grosse Gatsby (F. Scott Fitzgerald)
Foto: spali (Lizenz)Ich befinde mich in einem Dilemma. Sehr gerne würde ich euch davon berichten, was sich in diesem Kapitel zugetragen hat. Ja, streng genommen ist das auch meine Aufgabe hier in der Lesemaschine. Aber es gibt da ein kleines Problem. Eine richtige Dandyette erzählt nicht hirnlos alles nach, was sie erlebt, auf der Strasse hört oder auf ein paar Seiten liest. Sie weiss selbstverständlich, dass man Informationen vorsichtig und genau filtern muss, wenn man eine bestimmte fröhliche Plaudertemperatur nicht unterschreiten möchte.
Man kann sich das so vorstellen: Jede Dandyette besitzt eine Art Sieb mit sehr filigranen Öffnungen, mit dem sie gesellschaftlich passende und angemessene Informationen von den schmutzigen, niederen Geschichten trennt. Auch ich habe so ein Sieb. Und wenn ich das nach diesem Kapitel in die seidenbehandschuhten Hände nehme und es sachte hin und her schüttele, dann rieselt nur wenig durch, von dem ich euch berichten könnte: Eine Reise mit der Eisenbahn und ein kleiner Airedale Terrier mit wetterfestem Fell. Oben hingegen ist es randvoll, das Sieb: Moppelige Geliebte, betrunkene Ich-Erzähler, irgendwo liegt darin sogar eine zerschmetterte Nase und blutet hemmungslos ein Nachmittagskleid aus Chiffon voll.
Ich kann es nicht anders sagen: Es ist ein widerlicher Anblick. Seid bloss froh, dass ich euch von so etwas fernhalte.
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05.11.2007 / 15:14 / Stese Wagner liest: Der grosse Gatsby (F. Scott Fitzgerald)
Die ersten Seiten und der erste Besuch in East Egg liegen hinter mir. Ich gestehe: Ich habe keinen Tropfen Champagner getrunken und statt auf einer Seidenchaiselongue auf einer geschmacklos gemusterten U-Bahn Sitzbank gelesen. Trotzdem bin ich meinem Ziel deutlich näher gekommen. Ich weiss jetzt, dass man die echte Dandyette nicht am Liebreiz oder der Wasserwelle erkennt, sondern daran, dass sie die perfekte Sinnlosigkeit wie ein Schwert in unangenehmen Gesprächen und Momenten anzuwenden weiss.
Dort wo normale Frauen weinen oder sich zumindest das Haar raufen, da bleibt die Dandyette gelassen. Schliesslich hat sie (vermutlich auf einer teuren Privatschule in East Egg) gelernt, welche Art von niedlich-verwirrten Sätzen man sagen muss, um Gäste z.B. davon abzulenken, dass der Ehemann im Flur lautstark mit seiner Geliebten telefoniert.
Ach, ich wünschte, ich hätte gleich morgen Abend die Möglichkeit, solche Sätze auszuprobieren. Am besten mit ein paar Männern aus West Egg um meinen Tisch. Denn das sind wunderbare Männer, die einen auch nach dem irrsten Geplapper nicht für verrückt halten, sondern nur gerührt denken:
"Ich sehe auch nicht im entferntesten einer Rose ählich. Daisy hatte das nur improvisiert."
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02.11.2007 / 20:09 / Stese Wagner liest: Der grosse Gatsby (F. Scott Fitzgerald)
Meine erste Ausgabe des grossen Gatsby kaufte ich mir etwa zu der Zeit, in der ich anfing, in Bars "Einen Bourbon, bitte" zu sagen, wenn ich mit Bestellen an der Reihe war. Selbstverständlich mochte ich überhaupt keinen Bourbon, aber das klang gut und vor allem mondän – eben so, wie ich mir Fitzgeralds schillernde Dandymädchen vorstellte.
Wie ich darauf kam, ist mir heute unklar, denn mehr als die ersten vier Seiten des Buches habe ich nie gelesen. Wenn ich nachts nach Hause kam, war ich vom Bourbon betrunken, die Buchstaben verliefen vor meinem Gesicht. Da war deutlich angenehmer, im Halbdunkeln auf dem Sofa zu liegen und Space Nights zu gucken, als zu lesen, wie ein Mann aus dem Mittelwesten mit seinem halben Dutzend Bücher über Bank-und Kreditwesen in ein Haus auf der schlechten Seite von Long Island zieht. Heute weiss ich, dass es meine Pflicht als angehende Dandyette gewesen wäre, trotzdem weiterzulesen. Die ganze Nacht und den ganzen Tag, auf dasselbe Sofa hingestreckt, die Betrunkenheit ignorierend, um erst dann wieder aufzustehen, wenn jemand an der Tür klopft, den man mit dem Satz "Ich bin ganz steif ... seit ich denken kann, habe ich auf diesem Sofa gelegen" für immer für sich einnehmen kann.
Nun, mein Versäumnis von damals gilt es jetzt wieder gutzumachen. Deshalb habe ich mich bestens vorbereitet: Die alte Taschenbuchausgabe ist vom Dachboden geholt und abgestaubt worden, statt hochprozentigem Bourbon steht leichter Champagner auf dem Silbertablett und ich lagere bereits auf dem Sofa. Jetzt muss ich nur noch die Kraft finden, den Buchdeckel zu heben.
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