02.11.2007 / 20:09 / Stese Wagner liest: Der grosse Gatsby (F. Scott Fitzgerald)

To be a Dandyette

Meine erste Ausgabe des grossen Gatsby kaufte ich mir etwa zu der Zeit, in der ich anfing, in Bars "Einen Bourbon, bitte" zu sagen, wenn ich mit Bestellen an der Reihe war. Selbstverständlich mochte ich überhaupt keinen Bourbon, aber das klang gut und vor allem mondän – eben so, wie ich mir Fitzgeralds schillernde Dandymädchen vorstellte.

Wie ich darauf kam, ist mir heute unklar, denn mehr als die ersten vier Seiten des Buches habe ich nie gelesen. Wenn ich nachts nach Hause kam, war ich vom Bourbon betrunken, die Buchstaben verliefen vor meinem Gesicht. Da war deutlich angenehmer, im Halbdunkeln auf dem Sofa zu liegen und Space Nights zu gucken, als zu lesen, wie ein Mann aus dem Mittelwesten mit seinem halben Dutzend Bücher über Bank-und Kreditwesen in ein Haus auf der schlechten Seite von Long Island zieht. Heute weiss ich, dass es meine Pflicht als angehende Dandyette gewesen wäre, trotzdem weiterzulesen. Die ganze Nacht und den ganzen Tag, auf dasselbe Sofa hingestreckt, die Betrunkenheit ignorierend, um erst dann wieder aufzustehen, wenn jemand an der Tür klopft, den man mit dem Satz "Ich bin ganz steif ... seit ich denken kann, habe ich auf diesem Sofa gelegen" für immer für sich einnehmen kann.

Nun, mein Versäumnis von damals gilt es jetzt wieder gutzumachen. Deshalb habe ich mich bestens vorbereitet: Die alte Taschenbuchausgabe ist vom Dachboden geholt und abgestaubt worden, statt hochprozentigem Bourbon steht leichter Champagner auf dem Silbertablett und ich lagere bereits auf dem Sofa. Jetzt muss ich nur noch die Kraft finden, den Buchdeckel zu heben.