16.04.2008 / 09:34 / Jochen Schmidt liest: Liebe als Passion (Niklas Luhmann)

Das Verlogene an einer Überschrift wäre doch, dass sie Verständnis suggeriert (49-56)


Die Laternen hatten sich auseinandergelebt
"Wie konnte, mit anderen Worten, die Synchronie der Selbstreferenz historisch diachronisiert, in ein Nacheinander der Entwicklung aufgelöst werden?"
Sieben Mal habe ich das Kapitel gelesen und sieben Mal war ich wie Asche. Je gewissenhafter man zu verstehen versucht, umso rätselhafter gibt sich der Text. Das geht mir sonst nur mit Frauen so. Wenn man dagegen die Seiten überfliegt, als seien sie Literatur, stellt sich manchmal das Gefühl ein, die komplizierte Sprache sei eigentlich eine besonders einfache Sprache. Aber dieses Gefühl lässt sich dann natürlich nicht in Worte fassen, es ist ja ein Gefühl, man muss es kennen. Ich glaube mittlerweile, in diesem Kapitel ist von drei Epochenschwerpunkten die Rede: Mittelalter, 17.Jahrhundert und Romantik.

Hauptanliegen der höfischen Liebe war es, nicht vulgär zu sein. Vulgär ist die direkte Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse, wie sie das Volk pflegt, von dem man sich als Adliger abheben will. Liebe wird durch besondere Verdienste erreicht (z.B. Männer in Blechhosen mit langen Stangen vom Pferd stossen), nicht durch Ehe.

In der 2. Hälfte des 17.Jh. ein Schwenk von Idealisierung zu Paradoxierung.

Um 1800 dann Reflexion von Autonomie bzw. Selbstreferenz, romantische Liebe.

In jedem Fall stellt sich die Frage, wodurch Liebe begründet wird. Sucht man sein Ideal, braucht man Kenntnis der Eigenschaften des Objekts. Huldigt man dem Paradox, rechtfertigt sich Liebe schon durch Imagination. Erkrankt man an der romantischen Liebe, "genügt für die Begründung die (unerklärliche) Tatsache, dass man liebt." Die Schönheit der Geliebten ist nicht mehr ein Grund, sondern eine Folge der Liebe.

In jedem Fall erzeugt der Medien-Code eine zum Menschen passende Anthropologie. Das System differenziert sich aus, und der Mensch erzählt sich schöne Geschichten, obwohl es um ihn gar nicht geht.

Komisch auch diese Inklusionserfordernisse, ganze Bevölkerungskreise erheben plötzlich Ansprüche auf Gefühle. "Einerseits muss Besonderes, muss Unwahrscheinliches ermöglicht werden, andererseits muss genau dies schliesslich für jedermann erreichbar sein." Ein Gefühl, das in jedem Menschen erzeugbar ist, kann eigentlich nur banal sein, H&M für Emotionen.

56 von 230 Seiten

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29.01.2008 / 14:09 / Jochen Schmidt liest: Liebe als Passion (Niklas Luhmann)

Krude ist der Drang (45-48)


Gemässigtere Form der wechselseitigen Verhaltensanpassung als Liebe
Die Liebenden beobachten sich ständig auf Zeichen von Liebe, auch wenn ich nur das Auto lenken muss und das nicht in einer irgendwie speziellen Weise tun kann, die den Partner jederzeit spüren lässt, dass ich so noch nie jemanden gefahren habe, dass ich nur für ihn und durch ihn in dieser Weise bremse, beschleunige und lenke. Im Grunde erinnert das ein wenig an das Beischlaf-Dilemma, wo ja auch von den Primaten ererbte, den Reibungsgesetzen geschuldete, jedenfalls kaum zu customizende Bewegungsmuster mit dem Pathos der Einzigartigkeit aufgeladen werden müssen, um zu kommunizieren, dass Sex für einen noch nie, womöglich sogar auch noch nie für andere so stattgefunden hat. Sonst müsste sich der Partner ja völlig austauschbar fühlen.

Der lehrreiche und zu empfehlende Rollentausch zwischen Alter und Ego könne von starren Rollendifferenzierungen erschwert werden (Frau kocht, Mann wartet) oder von technischen Erfordernissen (Autofahren). Die Interaktion der Liebenden muss aber ausdifferenziert werden. "Neben der körperlichen Berührung ist ein Gespräch eine hierfür besonders geeignete Form." Rührend unschuldig klingt die Soziologie, wenn sie sich einmal den Tätigkeiten zuwendet, mit denen wir normale Menschen so unsere Zeit verbringen.

Die Kommunikation könne leicht zusammenbrechen, weil sich in Bezug auf Liebe "enttäuschungsanfällige Erwartungen" bilden. Die Individualität könne durch den Anspruch auf Anerkennung eigensinniger Welt- und Selbstauffassungen zur Zumutung werden. Ein hochentwickelter Individualisierungsgrad erschwere Intimverhältnisse. Denn Konflikte werden den Personen zugerechnet und nicht als blosse "Verhaltens- oder Rollenkonflikte" behandelt. (Was wie eine universelle Ausrede klingt. Nicht ich habe dich schlecht behandelt, sondern meine Rolle. Wenn du ein Problem damit hast, mach das mit meinem Verhalten aus, aber halt mich da raus.)

Ist dauerhafte Intimität unwahrscheinlich und muss man der banalen Weisheit glauben schenken: "Die Liebe höre zwangsläufig auf und müsse durch gemässigtere Formen der wechselseitigen Verhaltensanpassung ersetzt werden"? Wieso müht man sich dann "wenn auch nur eine zeitlang, mit einem so schwierigen Unternehmen ab"? Der "krude Hinweis" auf "Bedürfnisse nach sexueller Befriedigung" erkläre hier nichts. Motive seien ein Produkt der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. "Sie sind selbst ein Artefakt soziokultureller Evolution." Die "anforderungsreiche Alltagsorientierung" für das "Wagnis Liebe" stützt sich auf eine tradierte Semantik.

Wenn man das so liest, könnte man sich vorstellen, dass Liebe eigentlich auch ein gutes Thema fürs Kino oder sogar für eine eigene Fernsehserie abgeben müsste. Stoff genug gäbe es, man müsste es vielleicht nur ein bisschen aufpeppen, mit einem Bombenangriff auf Pearl Harbour etwa, oder indem man das Verhältnis um den Autohändler erweitert.

48 von 230 Seiten

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15.01.2008 / 01:15 / Jochen Schmidt liest: Liebe als Passion (Niklas Luhmann)

Attributionskonflikte (41-45)


Er wollte mir immer nur vorlesen
"Zur theoretischen Einleitung in die folgenden historischen Studien brauchen wir ein weiteres Kapitel." Lange machen wir diese Hinhalte-Taktik aber nicht mehr mit! Wann kommen endlich konkrete Hinweise, wie man sich einer Erwünschten gegenüber am vielversprechendsten ausdifferenziert?

Wir durchleuchten immer noch den "Kommunikationsvorgang", der "auf Begründung und laufende Reproduktion von Intimbeziehungen angelegt ist." Will man intim kommunizieren, müsse man "so weit individualisiert sein", dass man sich "lesbar" verhalte. Unter Beobachtung befinden wir uns auch bei den "nicht als Kommunikation intendierten Aspekten kommunikativen Handelns." Mein Körper, diese Plaudertasche! (Bin ich, wie ich wohne, wie ich tanze, worüber ich lache, mit wem er verkehre, wie ich mich anziehe und wie ich beim Gehen mit den Armen schlenkere? Oder ist das alles irrelevant und nur meine Sonette geben verlässlich über mich Auskunft?)

Beim Beobachten kommt es zu Attributionskonflikten: Ich handle, weil ich durch die Situation dazu veranlasst werde, der Beobachter rechnet meine Handlungen meinen Persönlichkeitsmerkmalen zu. (Dabei handle ich nie nach meinen Persönlichkeitsmerkmalen, dann würde ich ja auf einem Pferd in den Abendhorizont reiten. Jede andere Form von Handeln ist doch nur ein kompromissbeladenes, den Zwängen der Zeit geschuldetes Gewurschtel.)

Man beobachtet Verhalten, um "die Einstellung des Partners nach den Vorschriften eines Codes für Intimbeziehungen zu testen." Könnern gelingt es sogar, "das Verhalten selbst dem vorweg anzupassen." Das klingt diffizil und tatsächlich rückt unter solchen Voraussetzungen die Reproduktion von Intimität in weite Ferne. Ein Beispiel veranschaulicht die Schwierigkeiten beim Attribuieren, es spielt sich – wo sonst?-, im Auto ab, dem Panzer der bundesdeutschen Kleinfamilie: "Die Ehen werden im Himmel geschlossen, im Auto gehen sie auseinander." Ich fahre, so gut ich kann, aber sie "fühlt sich durch die Fahrweise behandelt", und beginnt mit "kommentieren und kritisieren." (Sollten romantisch Liebende denn nur noch Taxi fahren? Oder immer einzeln ans Ziel gelangen? Oder sich möglichst gar nicht begegnen?) Dem Intimitätssuchenden empfiehlt es sich, die Frage zu kennen, die hinter ihrer Stirn ständig neu beantwortet wird: "Handelt er so, dass er meine Welt zu Grunde legt?"

Hoffnung kommt von gemeinsamem Situationswissen, das sich eignet "Nuancen des Verhaltens attributionsfähig zu profilieren." Geselligkeit und gesellschaftlicher Schliff boten früher Gelegenheit zum Vorbeobachten. Schwerer hat es Werther: "Der Dialog von Verführung, Widerstand und Hingabe, mit dem man bis dahin zurechtkommen zu müssen meinte, wird gesprengt, und die eigentliche Liebeserfahrung zieht sich – vom Werther bis zur Lucinde – ins liebende Subjekt zurück, das nicht mehr zureichend und vor allem nicht mit hinreichendem Erfolg kommunizieren kann."

Bei längeren Beziehungen stösst aber auch der Selbstmord als eigentlich ja einzig überzeugender Liebesbeweis an seine Grenzen. Wie schafft man "Reproduktion von Sinnüberschüssen, denen man entnehmen kann, dass die Liebe kontinuiert"? Mein In-seiner-Welt-vorkommen muss laufend reaktualisiert werde. Ich muss also für ihn beobachtbar machen, dass ich meine Gewohnheiten und Interessen überschreite. Aber Gruss, Geschenk und Abschiedskuss dürfen nicht zur Gewohnheit werden. "Es muss wiederholt werden, ohne die Merkmale des Wiederholtwerdens anzunehmen." Die klassische Liebessemantik schreibt vor, den anderen angestrengt zu beobachten und Hinweise auf Möglichkeiten auszumachen, ihm ein Zeichen der Liebe zu geben. Es wird aber noch komplizierter: "Man muss die eigene Identität als Garant für Dauer nämlich nicht statisch, sondern dynamisch einsetzen; nicht als so-wie-sie-immer-ist, sondern als an-der-Liebe-wachsend." Meine Identität macht mich ja eigentlich unabhängig von den Umständen. Nicht aber, wenn ich zum "Konzept der Identität-in-Transformation" greife. Wenn man also zeigt, dass man "durch ihn und durch die Liebe zu ihm das eigene Ich entfaltet." Ich stelle mir vor, wie ich mein zusammengefaltetes, geradezu zerknittertes Ich unter den kritischen Augen eines anderen Ichs auseinanderfalte und glattstreiche, und weiss für einen Moment, wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden.

45 von 230 Seiten

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31.12.2007 / 11:56 / Jochen Schmidt liest: Liebe als Passion (Niklas Luhmann)

Zumutungsabwehrfunktion (33-41)


Nicht für die Kunst vordisponiert, aber darstellungswürdig: Wärmflaschensex
Foto: d.A.
Nicht zu verachtende Reflexivität des wechselseitigen Begehrens! Man begehrt nicht nur den anderen, sondern auch das Begehren des anderen. Je stärker mein Wunsch, umso mehr habe ich zu geben. Und es geht nicht ganz ohne Körper: "Die nichtsprachliche Kommunikation der körperlichen Berührung bietet einen wichtigen nichtlogischen Interpretationshorizont für sprachliche Mitteilungen." Ein Interpretationshorizont, der im Internet völlig fehlt. Wie soll ich hier "Entgleisungen durch einen Wechsel der Kommunikationsebene" korrigieren? Ich kann die Leser weder aufmunternd in die Brust puffen, noch kann ich meine Lieblinge unter ihnen lausen.

Sex macht dumm: "Für die Liebes-Semantik spielt die Ausschliessung von möglichen sexuellen Beziehungen eine erhebliche Rolle." Wo man einfach nur zuzugreifen braucht, also im Kommunismus oder in der ZIA, benötigt man keine Semantik. Sobald die Frau ein Mitspracherecht hat, wird der dann unvermeidliche Mangel an Sex poetisiert. Bis in der höfischen Liebeslyrik das Konzept der amour lointain aufkommt, bei der die Liebe zur abwesenden Frau als reinste Form der Liebe gefeiert wird. Später wird "Tugendbewahrung" zur "Eheerzwingungstaktik". Und im trickreichen 17.Jh., wo die Frau eine Freiheit im Sicheinlassen zugestanden bekommt, systematisiert sich der Code des amour passion. Nur, was unerreichbar ist, wird leidenschaftlich geliebt.

"Man kann bei Liebe nicht an Sinnlichkeit denken, so wie umgekehrt Avancen in Richtung auf sexuelle Beziehungen die Frage der nur vorgetäuschten Liebe aufwerfen." Mit ihr ins Bett zu wollen als Zeichen für fehlende Gefühle? Wie konnte es so weit kommen? Je unsicherer die soziale Beziehung, umso unentbehrlicher werde es, die Reaktionen auf meine Äusserungen "im System" zu interpretieren, also "als Indikator für zu Erhoffendes" lesen zu können. Eine Kunst, in der man es weit bringen kann. Natürlich hat sie nur mit mir Schluss gemacht, weil ihre heftigen Gefühle für mich sie zu zerreissen drohten.

Die folgende Seite lässt sich wie folgt zusammenfassen: Selbstreferenz Differenzierung Struktur Prozess Medium Systematisierung Codierung symbiotischer Mechanismus System Indikator doppelte Kontingenz selbstreferentielle Systematisierung Spezialcode Liebe Sondersemantik Reflexivität Inklusion

Im 17.Jh kommt es in der Liebe noch auf Seltenheitswerte an, Reichtum, Schönheit, Tugend. Unlösbare Verteilungsprobleme drohen. Wer würde zum Zuge kommen, wenn Ungewöhnlichkeit Prämisse ist und es nur wenige schöne und tugendhafte Damen und Herren gibt? (Eigentlich dürfte man dann ja nur die reichste und schönste von allen lieben, und alle anderen wären nur Ersatz.) Aber: "Die Entwicklung erzwingt eine zunehmende Neutralisierung aller Voraussetzungen für Liebe, die nicht in der Liebe selbst liegen." Bis es egal ist, wie der andere aussieht und was er für Qualitäten hat, weil meine Liebe zu ihm gar nichts mit ihm zu tun hat? (Traurig liest sich Fussnote 26: Die Universalität habe ihre Grenzen. Der Basismechanismus Sexualität sei relativ eigenständig. "Offensichtlich haben einige es hier leichter als andere, unabhängig von der semantischen Codierung ihres Verhaltens." Ganze Houellebecq-Romane werden hier zusammengefasst.)

Wo Knappheit an Schönen und Tugendreichen herrscht, kann man Eigenschaften, die zum Geliebtwerden nötig sind "trivialisieren" und "von historisch-biographischen Zufällen abhängig machen." (Bis jeder von einem Partner träumen darf, der aus historisch-biographischen oder anderen trivialen Gründen eindeutig für ihn bestimmt ist?) Eine Trivialisierung, die auch auf anderen Gebieten zu beobachten sei. In der Kunst werden "hässliche, alltägliche, in keiner Weise für Kunst vordisponierte Gegenstände darstellungswürdig." Und Recht ist nicht mehr Naturrecht, sondern was zum Recht gemacht wird. Und jeder, der sich an Wahlen beteiligt, kann Macht erlangen.

Der Buchdruck tut sein übriges. Schon im 17.Jh. wisse man: "Die Dame hat Romane gelesen und kennt den Code." Als würden Hechte "Fisch&Fang" abonnieren. "Etwas später wird auch der empfindsame Mann Opfer des Romans." Wer Romane liest, ist gewarnt. Als Verführer hat man damit zu rechnen, dass die Dame alle Floskeln und Gesten kennt, kann aber darauf bauen, dass sie trotzdem wirken. Denn zum Glück kann man sich "auf Interessen verlassen, die sicherstellen, dass es trotzdem funktioniert." Man wird also auch noch Sex haben, wenn eines Tages alle Frauen Luhmann gelesen haben.

Guter Vorsatz für 2008: Distinktionen der Moral und Anthropologie Alteuropas sprengen.

41 von 230 Seiten

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19.12.2007 / 11:48 / Jochen Schmidt liest: Liebe als Passion (Niklas Luhmann)

Spezialcode Liebe (30-36)


Zugang zum Vollzug
Liebe löse ihr Kommunikationsproblem eigentümlich, sie könne "Kommunikation unter weitgehendem Verzicht auf Kommunikation intensivieren". Man verlässt sich auf "Vorwegnahme" und "Schonverstandenhaben". Explizite Kommunikation berühre im Grunde unangenehm, weil sie zum Ausdruck bringt, dass etwas sich nicht von selbst versteht (der Anfang vom Ende ...) Daher die "Augensprache" und die Feststellung "dass Liebende endlos miteinander reden können, ohne sich etwas zu sagen zu haben." (Ein hinreichendes Kriterium für Liebe?) Im Idealfall wird bei mir, weil ich den Geliebten erlebe, automatisch das gewünschte Handeln ausgelöst. Alternativ dazu könnte ich darauf hoffen, durch ein Wunder plötzlich in der Lage zu sein, ihre Gedanken zu hören, oder auf mysteriöse Weise immer denselben Tag zu erleben, was mir erlauben würde, mein Handeln so lange zu justieren, bis es zu ihren Wünschen passt.

Was Ahnungslose für Liebe halten, also "Reziprozität wechselseitig-befriedigender Handlungen", ist diesem Begriff nicht angemessen. Liebe sei vielmehr "Internalisierung des subjektiv systematisierten Weltbezugs eines anderen". Und wenn der Andere nach langer Prüfung und hoher Übereinstimmung doch diesen einen Film mit Mel Gibson gut findet? Wie soll man das internalisieren? Wird es eine Ausnahme bleiben? Wenn nicht, dann lässt man das mit den Gemeinsamkeiten eben wieder und versucht es auf die reziproke Art mit wechselseitig-befriedigenden Handlungen.

Liebe sei, "dem anderen zu ermöglichen, etwas zu geben dadurch, dass er so ist, wie er ist." Haarig wird es, wenn der andere nicht mehr nur geben will, was er ist, sondern Dinge, die er lieber behalten sollte, womöglich sogar Gefühle. Ich meine, ich liebe ihn doch und nicht er sich, also kann ich doch auch entscheiden, was an ihm liebenswert ist.

Passion, Krankheit, Wahnsinn, Mysterium, traditionelle Künstlernamen für die Liebe. Von der Gesellschaft werde nicht nur toleriert, wer sich hier gehenlässt, sondern sogar mit einer Sonderrolle honoriert. (Als würde man jemandem Respekt dafür zollen, dass er sich im Tierpark zu den Löwen setzt oder einem auf der Autobahn entgegenkommt. Aber wo der Gesetzgeber es eigentlich verbieten müsste, verliebt zu sein, misst die Gesellschaft hier mit zweierlei Mass und lässt es zu, dass sich diese Krankheit in unserer Mitte ausbreitet wie ein Krebsgeschwür.)

Eine sensible Frage ist immer wieder die "organische Faktizität des Zusammenlebens", mit der man sich auseinandersetzen muss, wenn man ein Organismus ist. "Kein Kommunikationssystem kann ganz davon abstrahieren, dass Menschen leiblich beteiligt sind". Obwohl die Menschen die reine Liebe durch ihren grob gestrickten emotionalen Apparat sicher nur verfälschen, wie ja auch Musik vom menschlichen Ohr völlig entstellt wahrgenommen wird. Sexualität mache es "plausibel", dass die Partner auf Zusammensein Wert legen. Sie bilde aber, wenn mehrere Partner präsent sind, "eine diffuse Grundlage für Kommunikation". Geben und Nehmen, Belohnen und Zurückhalten, Bestätigen und Korrigieren, Tausch, Sanktionieren, Belehren und Lernen "verschmelzen" auf diesem Feld "ins Ununterscheidbare". Dabei kann man den Tauschwert, über den man hier verfügt, schwer verrechnen. "Deshalb kann in einem Masse, das sonst kaum erreichbar ist, unterstellt werden, dass das eigene Erleben auch das des Partners ist." (Obwohl in "Der perfekte Liebhaber" – dem Buch vom anderen Ende der Abstraktionsskala –, sinngemäss stand, dass das eigene Erleben nie das der Partnerin ist.) Und nun wird selbst Luhmann einmal ungehemmt poetisch:

"Die Inhibierung des an sich Möglichen ist Voraussetzung für die semantische Konditionierung des Zugangs zum Vollzug."

Früher hat man Bücher ja immer nach versauten Stellen durchsucht, diese wäre einem als 15jährigem wahrscheinlich entgangen. Wieviel subtiler man doch wird mit den Jahren, wieviel sensibler für Inhibierungen des Möglichen.

36 von 230 Seiten

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