01.02.2008 / 16:37 / Angela Leinen liest: Klagenfurttexte

Primadonna quasi assoluta

1990 las Alain Claude Sulzer "Am Arm des Apothekers"

"Mezzosopranistin" (Papier, Tesa, Filzstift) von K. Leinen
Karl Corino, der sich im letzten Jahr durch Pamp (Verweigerung bei PeterLicht) und Trotz (über die Schmähung seines Kandidaten Björn Kern) in den Schmollwinkel manövrierte (Zusammenfassung), war 1990 auch schon Juror. Zu "Klagenfurter Texte 1990" schrieb er ein Vorwort: "... obwohl ich einräume, dass einem schon die sich hin und wieder ergebende 'Minderheitsposition' in der Jury erheblich zu schaffen machen kann." In Optiker-Fragen kannte er sich aber sicher aus. Wenn Sulzer nicht sein Kandidat war, wird er ihn getadelt haben.

Inhalt: Die "berühmteste Sängerin der Welt" lebt im Alter im Badezimmer ihrer Pariser Wohnung, in Einsamkeit denkt sie zurück an sich selber mit 13. Ohne Brille tapste sie am Arm ihres Vaters, des Apothekers, in (induziert) die Opera Colon in Buenos Aires, in der sie dann 18 Jahr später ihr Debüt gab.

Beginn (kleiner Ausschnitt aus dem zweiten Satz):

... Nun aber sass sie in ihrem geräumigen Badezimmer, die Beine übergeschlagen, die Augen hinter dicken, stark gewölbten Gläsern wie durch zwei Lupen vergrössert, ... und starrte auf die Tonbänder zu ihren Füssen...

Sulzer erzählt so dicht an Maria Callas entlang, dass er auch ihre wirklichen Lebensdaten hätte nehmen können. Ein paar Änderungen zwischen New York, Athen und Buenos Aires, was soll's. "Sie war so kurzsichtig, dass sie nun, ohne Brille, ihre Umgebung ... lediglich in Umrissen erahnte" – stimmt. Nur verkleinern die Brillen gegen Kurzsichtigkeit die Augen.

Dann erfahren wir, dass so ein Sängerleben nicht immer so glitzy ist wie in dem Moment, in dem die Diva sich Norma fühlt – wir ahnten es.

Maria Callas starb im September 1977 in Paris. Ich war neun und hatte begonnen, donnerstags den Stern zu durchblättern. Kurz vor Deutscher Herbst und dem Tod von Elvis Presley wird darin auch ein grosser "Die Diva starb einsam"-Artikel gestanden haben. Ich erinnere mich, schon als Kind bebilderte Berichte gelesen zu haben über Tabletten und den Alten mit den Tankern, Bilder einer stark geschminkten Frau, mal dick und jung, mal älter und dünn.

Ausser dass Sulzer ihr die Brille umgedreht hat, erfahre ich nichts Neues. Aber muss das? Mich erinnert es an Stefan Zweig. Nichts gegen Stefan Zweig, "Sternstunden der Menschheit" ist immer noch ein prima Konfirmationsgeschenk. Zweig aber schrieb die bunten Bilder zu nicht fotografierten Ereignissen. In einem Band: "Dunkle Stunden der Kunst" wäre Sulzers Erzählung gut aufgehoben. Makellos unmodern formuliert, sauber aufgebaut, einwandfreie Rückblenden. Um es interessant zu machen, hätte der vornehme Sulzer aber viel indiskreter mit Frau Callas umgehen müssen. Oder sich eine eigene Sängerin erfinden.

Prädikat: Bei lobenswerter Ich-Enthaltsamkeit leider unergiebig.

Texte aus 8 von 30 Jahren gelesen.


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