08.12.2007 / 19:30 / Bruno Klang liest: Lerche (Dezsö Kosztolányi)

Zweiter Prolog: Der schöne Gehülfe (0-0)


Nein!
Die siebzig Jahre post mortem auctoris sind gerade erst verstrichen, als sich gleich zwei Verlage des ungarischen Autors Deszö Kosztolányi annehmen und seinen Roman "Lerche" neu herausgeben. Hier Bibliothek Suhrkamp, dort Manesse Verlag. Ich überlegte zwei Sekunden und entschied mich für Zürich.

Das hat einen einfachen Grund. Ich mag die Bücher aus dem Manesse Verlag. Ich habe den Eindruck, als würde ihre feine Ausstattung auf den Inhalt des Buches durchfärben. In einem Manesse Buch ist es so, dass der Herr seinen Hut zieht, wenn er einer Dame im dunkelroten Leinenkleid begegnet. Wenn er sie besucht, lässt er sich vom Mädchen melden und wartet artig im Salon. Man mag einwenden, dass die Auswahl des Repertoires damit mehr zu tun habe als Fadenheftung und Ganzleinen, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass in einem Buch von Manesse "Ficken" oder "Scheisse" steht. Ein typisches Manessebuch ist zum Beispiel der wunderbare "Gehülfe" von Robert Walser, das ich Ihnen aufrichtig ans Herz lege. Tut mir leid, Suhrkamp.


Ja!
Klappentext. Die Eltern schicken ihre hässliche Tochter Lerche für eine Woche aufs Land und sind froh, dass sie weg ist. Versprochen werden "feine Ironie" und "bestechende Exaktheit im Detail." Kürzlich las ich etwas, bei dem mir ein "weise-ironischer Blick" und "scharfe Beobachtungsgabe" versprochen wurden. Mal sehen. Misstrauisch werde ich sein wie ein Kuhbauer im Italienurlaub.

Das Buch hat 299 Seiten, ist aber nur 1,5 cm dick. Der Grund steht in den bibliographischen Angaben: "Das Dünndruckpapier Primapage Elfenbein liefert Bolloré." Das klingt nach Noblesse und als wäre die Auftragsbestätigung mit Rohrpostbrief verschickt worden. Ich schaue einmal genauer nach. In einem Firmenvideo erklärt mir Monsieur Bolloré das wunderliche Konzernportfolio aus Batterien, Automaten, Afrikatransporten, Fernsehsendern, Papier und begründet es mit höherer Krisenfestigkeit. Toll ist auch der riesige Panther auf dem Regal im Hintergrund. Er verschweigt: Bolloré ist auch das B in OCB und liefert damit nicht nur das Papier für Bibeln und Gesangbücher, sondern ist Marktführer bei der Herstellung langer Zigarettenblättchen, aus denen sich die Rororostudenten hirnzerfressende Joints drehen. Teuflisch! Wir lesen, singen oder rauchen es – ob Roman, Gesangbuch oder Joint: Bolloré kriegt uns alle.


06.12.2007 / 07:11 / Bruno Klang liest: Lerche (Dezsö Kosztolányi)

Prolog: Die harten und die weichen Bücher (0-0)


Das junge Paar war gerade weggegangen
Hugendubel hat eine neue Bucheinsortierstrategie entwickelt: Hardcover und Taschenbücher stehen nicht mehr säuberlich getrennt, sondern wohnen jetzt zusammen im Regal. Das ist zwar völlig egal, aber ich prangere das an. Vermutlich hat Roland Berger für ein paar Millionen Euro dieses Konzept erarbeitet, damit die Synergien zwischen Taschenbuch und Hardcover zur Optimierung des Kundenwertes gehoben werden können.


Das ist selbstverständlich alles Quatsch. Gerade im Gegenteil war es richtig, gottgefällig und gerecht, das Taschenbuchproletariat vom Leinenadel zu trennen. Wie oft bin ich kalt lächelnd an den zerlumpten Studenten vorbeimarschiert, die vor den Rorororeihen herumlungerten, dann mit federndem Schritt weiter, zu Klett-Cotta und Carl Hanser. Da war es auch viel stiller als in den anderen Abteilungen, die Buchhändler feiner angezogen, und machen wir uns nichts vor: die Kundschaft hatte einfach mehr Klasse.

Alles vorbei. Der neue Regalsozialismus wird uns höchstens ein downbreeding zu den lustigen Taschenbüchern einbringen. Und James Joyce neben Zoe Jenny. Wahrscheinlich verkaufen sie bald sogar an Ausländer oder Bücher mit Migrationshintergrund.

Der ganze Hugendubel? Nein! Dort hinten, da war ein einzelnes Regal, weit abseits der Kundenhorden, die auf der Suche nach billiger Esoterik, Pornografie und Kochbüchern über die Rolltreppen strömten. Ich hielt mich noch einen Moment abseits, denn ein junges, gutaussehendes Paar war vor dem Regal in Streit geraten. Er hielt einen grossformatigen, dunkelblauen Prachtband in Händen, doch die junge Dame rief: "Nein, Volker, du wartest jetzt bis Weihnachten!" und zog ihn davon. Herzig! dachte ich mir und trat näher.

Neben einigen senilen Inselbändchen und etwas Eichborn standen sie, fünf volle Reihen Manesse. Ich griff ins Regal.

0 von 299 Seiten

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02.12.2007 / 10:48 / Bruno Klang liest: Ein unauffälliger Mann (Charles Chadwick)

Debütantenball (808-928)


Sind so, wie sie aussehen
Das Buch endet, wie es begonnen hat. Es plätschert aus. Genau so gut hätte es zweihundert Seiten vorher aufhören können oder noch zweihundert Seiten weitergehen können. Tom Ripple schiebt einen weiteren tiefgekühlten Minzkuchen in den Ofen (es waren acht Stück im Laufe des Buches, wenn ich mich nicht verzählt habe). Wenn Sie mich jetzt fragen, ob ich Ihnen das Buch empfehlen sollte oder nicht, fällt es mir leichter, zunächst zu raten, wann Sie es besser nicht lesen sollten. Wenn Sie sehr jung sind. Es ist ein Buch über das Altwerden, und Sie kaufen sich doch auch keine Pudelmütze und Wollhandschuhe im Mai. Wenn Sie sehr alt sind. Es ist ein Buch über das Altwerden, und darum haben Sie schon genug Pudelmützen und Wollhandschuhe im Schrank.

Ich hatte schon einmal erwähnt, dass Marisha Pessls "Special Topics in Calamity Physics" als letztes Debüt gelesen habe. Das ist ein Zufall, aber doch ein sehr passender Zufall, weil diese beiden Bücher die perfekten Gegenteile sind. Frl. Pessl lässt keine Seite aus, um nicht eine kleine Rakete funkelnder Lustigkeit auf den Leser abzuschiessen. Desweiteren entwickelt sie einen sehr stringenten Plot, um nach zwei Dritteln gleich das ganze Genre zu wechseln. Chadwick hat überhaupt keinen Plot, wenn man vom Altwerden und Fertigminzkuchen einmal absieht. Als Marisha Pessl geboren wurde, schrieb Chadwick schon einige Jahre an seinem Buch. Sie sind beide fast gleichzeitig fertig geworden.

Auf der anderen Seite kann ich Ihnen sogar Chadwick empfehlen, und zwar dann, wenn Sie etwas Extremes lieben. In diesem Fall ist es ein Extremismus des Durchschnitts (nicht extreme Durchschnittlichkeit), und ich kann mich an kein Buch erinnern, in dem dieses Prinzip so konsequent durchgehalten wird. So können Sie sich mit dem Buch wohlfühlen und sogar erholen. Vielleicht, wenn Sie einen anstrengenden Beruf haben, zum Beispiel Cowboy.

Zustand: Ich habe bei Frau Passig um einige Tage Urlaub nachgefragt. Sie antwortete knapp, ob ich jemals von Urlaub auf einer Galeere gehört habe, von Steinbruchferien oder einem freien Gulagwochenende.
Durchsicht der Prophezeiungen: 2:6, also katastrophal.


29.11.2007 / 06:11 / Bruno Klang liest: Ein unauffälliger Mann (Charles Chadwick)

Steckenpferdschreiber (671-808)


Selbst Bier zu brauen ist ein Hobby, besoffen sein nicht
(Quelle: bei Flickr, Herr Tobe)
Vierter und letzter Teil des Buches. Tom Ripple ist überraschend umgezogen, irgendwohin an die Küste, möglicherweise habe ich überlesen, wohin genau. Jedenfalls gibt es wieder Nachbarn, Vorgärten, Kirchgänge und Barfrauen. Mittlerweile habe ich ein wenig den Überblick über seine Nachbarschaften verloren (London, Suffolk, London, irgendwo an der Küste), aber die hatten ohnehin immer nur Zeitverträge über 250 Seiten. Tom Ripple ist jetzt seit 20 Jahren Frührentner, und er denkt über seine Freizeitbeschäftigungen nach. Falls man Mädchenhinterhergucken nicht dazuzählt, hat er kein Hobby, und das beklagt er:

"Ich weiss nicht, warum ich mir kein Hobby zulege. Ich könnte es, wenn ich mich damit befassen würde."

Mir geht es ähnlich, aber ganz anders. Als Fünfzehnjähriger, der sich für nichts als Mädchenhinterhergucken interessierte, beschloss ich, dass es mit zwanzig früh genug sei, sich ein Hobby zu suchen. Später nannte ich das Hobby etwas gezierter "Steckenpferd". Ich verschob aber meinen ersten Ritt auf meinem neuen Steckenpferd immer weiter. Daran hat sich bis heute nichts gändert. Ich habe einfach nichts gefunden. Ich will nicht angeln, die Firma Märklin retten, und für einen Garten, da brauchte ich erst einmal ein Haus. Auffällig ist, dass bei vielen Dingen nur ihre Herstellung, nicht aber ihr Konsum als Steckenpferd allgemein durchgeht. Essen ist kein Hobby, aber Kochen. Musikhören ist eigentlich auch nichts, aber Klavierspielen. Stühleschreinern als Hobby geht, Sitzen eher nicht.

Lesen und Schreiben ist auch so ein Fall. Wenn überhaupt, ist Tom Ripples Hobby die Aufzeichnung seines Lebens. Das macht er aber ausdrücklich als Amateur und Dilettant. Er klagt, nicht so schreiben zu können, wie er eigentlich möchte, oder "es nicht so wie die Profis hinzubekommen". Mit der Wahl eines dilettantischen Erzählers begibt sich ein Autor immer in Gefahr. Auf der einen Seite droht er, seinen eigenen Helden zu diffamieren, andererseits, und das ist fast noch schlimmer, sich selbst. Die Griffweite des Erzählers bestimmt den Horizont der Erzählung. Und ein Ich-Erzähler ist zuständig, uns die Geschichte zu erzählen. Er braucht nicht nett sein, denn wir Leser sind einiges gewohnt, er darf auch nach Feierabend Frauen aufschlitzen, sich viereinhalbtausend Seiten vor einer Erkältung fürchten oder nicht Stiller sein. Aber uns zu erklären, dass er das einzige, was er tut, nämlich Erzählen, gar nicht kann, das ist etwas heikel.

Zustand: Wie am 28. November, wenn man sich das ganze Jahr auf Weihnachten freut.
Prophezeiung: Der Romangaul bäumt sich ein letztesmal tragisch auf, mit der "Frau aus Hausnummer 27".

808 von 928 Seiten

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24.11.2007 / 09:08 / Bruno Klang liest: Ein unauffälliger Mann (Charles Chadwick)

Kurzer Blick ins Innere der Lesemaschine (670-671)

Kommen Sie mal kurz rein, Chadwick, machen Sie die Tür zu, setzen Sie sich da mal hin, ich hab Ihnen was zu sagen. Wie oft haben wir jetzt zusammengesessen und überlegt, wie wir das besser machen können? Wie wir beide gemeinsam das besser machen können? Ich will es Ihnen nochmal ganz ruhig erklären. Unsere Zusammenarbeit besteht darin, dass Sie mir guten Input liefern und ich daraus guten Output mache. Das nennt man Wertschöpfung. Ist doch ganz einfach: guter Input, guter Output. Und was liefern Sie? Nichts. Sie erfinden diese Tänzerinnen, und da dachte ich mir, hey, nicht schlecht, das wird noch ganz saftig. Und? Vielleicht mal ein paar Titten von den Ballerinen? Nein, nein, der feine Herr Chadwick lässt sich von den kleinen Schlampen den Ripple vollheulen. Wer von uns beiden steht denn dreimal in der Woche da draussen auf der Bühne? Sie oder ich? Wer von uns beiden muss dem Aufsichtsrat erklären, dass wir Ballerinen haben, aber keine Titten? Und dann Ihre Reise nach Polen. Warschau, Treblinka, Auschwitz. Was fällt Ihnen dazu ein? Ripple trinkt bulgarischen Wein und latscht durch den Park. Ich hab hier vier oder fünf andere vor der Tür stehen, die machen daraus am Sonntagnachmittag einen Booker Prize und den Friedenspreis noch obendrauf. Und dann Ihre dauernden Umzüge. Wissen Sie eigentlich, was das kostet? Da gibts andere, die machen das für die Hälfte. Gucken Sie sich mal die Passig an. Die schenkt Schulkindern eine Stulle, damit sie ihr beim Hugendubel irgendein Buch klauen, dass sie ihren täglichen 20-Seiten-Schuss kriegt. Oder der Volker Jahr, der hat noch nicht mal was zu lesen und performt trotzdem. Ach ja, und Ihr Übersetzer, dieser Klaus Berr, der übersetzt hier "das sind diejenigen, die ich am öftesten sehe". Öftesten! Was soll denn das werden? Ferien in Öftesten? Noch alles gut, Chadwick? Ich sag es Ihnen jetzt das letzte Mal: das muss alles viel besser werden, sonst trennen sich hier unsere Wege. Also.


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