29.11.2007 / 06:11 / Bruno Klang liest: Ein unauffälliger Mann (Charles Chadwick)

Steckenpferdschreiber (671-808)


Selbst Bier zu brauen ist ein Hobby, besoffen sein nicht
(Quelle: bei Flickr, Herr Tobe)
Vierter und letzter Teil des Buches. Tom Ripple ist überraschend umgezogen, irgendwohin an die Küste, möglicherweise habe ich überlesen, wohin genau. Jedenfalls gibt es wieder Nachbarn, Vorgärten, Kirchgänge und Barfrauen. Mittlerweile habe ich ein wenig den Überblick über seine Nachbarschaften verloren (London, Suffolk, London, irgendwo an der Küste), aber die hatten ohnehin immer nur Zeitverträge über 250 Seiten. Tom Ripple ist jetzt seit 20 Jahren Frührentner, und er denkt über seine Freizeitbeschäftigungen nach. Falls man Mädchenhinterhergucken nicht dazuzählt, hat er kein Hobby, und das beklagt er:

"Ich weiss nicht, warum ich mir kein Hobby zulege. Ich könnte es, wenn ich mich damit befassen würde."

Mir geht es ähnlich, aber ganz anders. Als Fünfzehnjähriger, der sich für nichts als Mädchenhinterhergucken interessierte, beschloss ich, dass es mit zwanzig früh genug sei, sich ein Hobby zu suchen. Später nannte ich das Hobby etwas gezierter "Steckenpferd". Ich verschob aber meinen ersten Ritt auf meinem neuen Steckenpferd immer weiter. Daran hat sich bis heute nichts gändert. Ich habe einfach nichts gefunden. Ich will nicht angeln, die Firma Märklin retten, und für einen Garten, da brauchte ich erst einmal ein Haus. Auffällig ist, dass bei vielen Dingen nur ihre Herstellung, nicht aber ihr Konsum als Steckenpferd allgemein durchgeht. Essen ist kein Hobby, aber Kochen. Musikhören ist eigentlich auch nichts, aber Klavierspielen. Stühleschreinern als Hobby geht, Sitzen eher nicht.

Lesen und Schreiben ist auch so ein Fall. Wenn überhaupt, ist Tom Ripples Hobby die Aufzeichnung seines Lebens. Das macht er aber ausdrücklich als Amateur und Dilettant. Er klagt, nicht so schreiben zu können, wie er eigentlich möchte, oder "es nicht so wie die Profis hinzubekommen". Mit der Wahl eines dilettantischen Erzählers begibt sich ein Autor immer in Gefahr. Auf der einen Seite droht er, seinen eigenen Helden zu diffamieren, andererseits, und das ist fast noch schlimmer, sich selbst. Die Griffweite des Erzählers bestimmt den Horizont der Erzählung. Und ein Ich-Erzähler ist zuständig, uns die Geschichte zu erzählen. Er braucht nicht nett sein, denn wir Leser sind einiges gewohnt, er darf auch nach Feierabend Frauen aufschlitzen, sich viereinhalbtausend Seiten vor einer Erkältung fürchten oder nicht Stiller sein. Aber uns zu erklären, dass er das einzige, was er tut, nämlich Erzählen, gar nicht kann, das ist etwas heikel.

Zustand: Wie am 28. November, wenn man sich das ganze Jahr auf Weihnachten freut.
Prophezeiung: Der Romangaul bäumt sich ein letztesmal tragisch auf, mit der "Frau aus Hausnummer 27".

808 von 928 Seiten

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