18.02.2008 / 15:17 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Unordnung und frühes Leid (735-781)


Universum nach Hindu. Quelle, Lizenz
Kapitel 28, Spekulative Theorien über das frühe Universum, Gemüt irgendwo zwischen überschäumender Begeisterung und Verzweiflung, eine Geisteshaltung, unter der ich seit Jahren leide. Es kommt nicht sehr überraschend, dass unser Wissen über das frühe Universum von zumeist spekulativem Charakter ist, ich meine, es ist viele Milliarden Jahre her und alle Augenzeugen sind mittlerweile tot. Wir wissen ja nichtmal, wer Stonehenge gebaut hat und warum er dies tat, und das war praktisch vorgestern.

Vor ein paar Jahren erklärte mir David Spergel, warum das frühe Universum soviel interessanter ist als der Rest der Astronomie. Man könne neue Physik entdecken! Neue Physik! Ansonsten wäre ja alles schon bekannt. Neue Physik! Ich war kurz neidisch auf die Kosmologen. Aber dann fiel mir auf, dass Spergel lügt. Die Physik zu verstehen ist leider nur der erste Schritt. Ganz oft ist die Physik zwar alt und bekannt, wir wissen aber nicht, welche gerade im Einsatz ist. Seit Jahren z.B. Schlafstörungen, weil ich nicht herausfinden kann, welche Physik hinter der merkwürdig schnellen Rotation von Braunen Zwergen steckt. Im Vergleich zu Spergel und Penrose kommt man sich vor wie das Kriegsweib, das hinter der Front zwischen neuer und alter Physik herzieht, und versucht, anhand der Schützengräben und zerschossenen Leiber die Eiszeiten zu verstehen.


Universum nach WMAP.
Credit: NASA/WMAP Science Team
Je mehr Seiten Penrose vollschreibt, je weiter er sich wegbewegt von den etablierten Wundern der Vergangenheit und vordringt in die Abgründe des Hypothetischen, umso mehr wird er gezwungen, Stellung zu beziehen. Penrose ist ein zutiefst unmodischer Mensch, alle theoretischen Ins der letzten zehn Jahre bewirft er mit Skepsis und Misstrauen. Eine offene Aversion scheint er zu hegen gegen Inflation und gegen spontane Symmetriebrechung im frühen Universum, nagut, wer wollte ihm das vorwerfen, es sind unsympathische Sachverhalte, so oder so. Immer mehr wird aus dem festen, sicheren Gerüst, mühevoll konstruiert über viele hunderte von Seiten, ein wackeliges Kartenhaus, das auf die Quantengravitation wartet. Am Ende wird sich herausstellen, dass die Welt eben nichts anderes ist als ein Kartenhaus, und dann hatten wir die ganze Zeit recht mit unserer Unkenntnis.

Zum Schluss der Sendung jetzt noch die Auflösung des Wochenrätsels. Wenn die abartige Unwahrscheinlichkeit der Existenz des Universums und damit der Menschheit ein Beweis für einen Schöpfer sein sollte – think again. Wenn nur die Erschaffung des Menschen das Ziel des Schöpfers wäre, warum baute er dann ein so riesiges Universum um uns herum? Ein paar Galaxien hätten gereicht, vielleicht ein paar Millionen Galaxien, damit es nicht langweilig wird. Ein kleineres Universum wäre deutlich leichter zu erwürfeln als ein grosses, potzblitz, man könnte ein Tausendstel des Universums einfach tausend mal erzeugen, das wäre immer noch um so vieles ökonomischer. Und wir hätten erst mit der Erfindung des Hubble Space Telescope etwas davon gemerkt. Vielleicht wollte ER nicht den Menschen, sondern das Hubble Space Telescope erschaffen? Und ihm gleich einen Lebenszweck liefern? Man könnte so viele Probleme lösen, wenn man einmal, ein einziges Mal, nicht erstmal davon ausgeht, dass es um uns geht.

Sondern um SIE.

781 von 1049 Seiten

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12.02.2008 / 01:13 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Change! (686-734)


Pillars of Creation
Credit: NASA, ESA, STScI, J. Hester and P. Scowen (Arizona State University)
Big Bang! Feuer! Mordio! Endlich Schluss mit dem kleingeistigen Quantenzeug. Das Universum verhält sich zum Atom so wie Dostojewski zu Fontane, oder so wie Stanley Kubrick zu, sagen wir, einem total unbedeutenden Regisseur. Das Universum ist einfach grösser, und grösser heisst immer auch besser. Es gibt folglich nichts Besseres auf der Welt als das Universum. Irgendjemand muss es mal hinschreiben, und gleich wird sich der Stil auch wieder etwas beruhigen. Es war einfach zu trostlos im Heisenbergsumpf.

Das Universum enthält soviel interessante Dinge, ich könnte Stunden, ich meine, man kriegt R Cor Bor Sterne, Braune Zwerge UND supermassive Schwarze Löcher, und das alles in einer einzigen Galaxie, aber fangen wir von vorne an. Am Anfang war der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, oft verwechselt mit anderen Hauptsätzen von grossen Dichtern, aber ungleich bedeutungsvoller. Heat flows from a hotter to a colder body, oder: Die Entropie, so eine Art Mass für das Bestreben des Universums, alles zerfallen zu lassen, wird immer grösser, bis alles schön gleichmässig verteilt ist. Oder noch anschaulicher: Selten wird man unter Erfrierungen leiden, wenn man die Hand auf die Herdplatte legt. Noch viel seltener jedoch entsteht ein Universum, unseres zum Beispiel nur in einem von 10 hoch 10 hoch 123 Fällen. Das ist eine 1 mit 10 hoch 123 Nullen, eine, ach, was soll man sagen, bestürzend grosse Zahl. Wenn die Entropie immer grösser wird, dann muss sie zum Zeitpunkt Null so unglaublich klein gewesen sein, dass es schon fast nicht mehr möglich ist.

Wer jetzt gleich wieder "Gott" ruft, möge bitte stillhalten, das ist total verfrüht, so wie es eigentlich immer verfrüht ist, bei statistischer Thermodynamik "Gott" zu rufen. Penrose nennt IHN konsistent Creator, klingt ja auch ganz anders, wobei man ihm glauben muss, dass er damit nur eine Fehlstelle meint, und irgendwie muss man sie ja nennen. "Und dann entstand durch etwas, wofür wir zu doof sind, es zu verstehen, die Welt." Richtig, aber auch enorm umständlich.

Aber ich soll ja das Universum erklären und, es mag überraschend kommen, das geht in einem einzigen Satz. Die Geschichte des Universums ist nichts anderes als ein gar nicht mal so ewiger Kampf zwischen Schwerkraft und Thermodynamik. Fertig. Die Sonne zum Beispiel existiert nur deswegen, weil sie zwar von der Schwerkraft zusammgehalten, vom thermischen Brodeln im Innern aber vor dem Kollaps bewahrt wird. Hört sie irgendwann mit Brodeln auf, so in vier, fünf Milliarden Jahren, ist es vorbei mit ihr und sie kollabiert zum Weissen Zwerg. Die Schwerkraft liebt Weisse Zwerge sehr, unglaublich dichte Geräte, wo man nicht mehr so viel arbeiten muss, so als Schwerkraft. Noch besser sind nur Neutronensterne und Schwarze Löcher, in denen sich später der ganze Dreck sammeln wird. Das Ende des Universums: Ein loses Ensemble aus Schwarzen Löchern, vom zweiten Hauptsatz schön über das ganze Land verteilt. Aber noch haben wir Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Yes we can!

Anderes Medium: Roger Penrose hält einen Vortrag.

734 von 1049 Seiten

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06.02.2008 / 12:50 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Ultraviolet Blues (655-685)


2008: Year of the dead end.
(Foto, Lizenz)
Ich habe mich in eine Sackgasse manövriert. Anders ausgedrückt: Ich befinde mich im Feynman-Diagramm an einem Punkt, von dem alle Pfeile rückwärts in die Zeit zeigen. Kapitel 26 ist zu neun Achteln Borderline V, also so unverständlich wie das Gerede von Fledermäusen. Zum ersten Mal jedoch macht mich das weder erbost noch ärgerlich, sondern lediglich traurig.

Penrose jedenfalls kann man keinen Vorwurf machen: Auffallend ausgedünnt ist der Text mittlerweile an Gleichungen, weniger Gleichungen in Kapitel 26 als Lawinen auf einem Golfplatz, und wenn mal eine runterkommt, dann enthält sie nur so anschauliche Dinge wie den Annihilationsoperator (auf irgendwas anwenden, puff, weg). Auch die vormals autoritär-verkürzten Anweisungen in den Fussnoten ("Do this."- "Show this." – "Check this." – oder brutal: "Why?") sind mittlerweile zu höflichen Anfragen geworden, versehen mit beschwichtigenden Hinweisen: Don't worry about subleties like 'fall-off conditions'. Was für ein Luxus in diesen Tagen, wie gern hätte Hermann Buhl sich nicht um die Fall-Off-Conditions gekümmert, damals 1957 an der Chogolisa. Und immer wieder beinahe beschwörende Vereinfachungen, um mich durch die schweren Stellen zu geleiten, als wolle er einem Esel über die Brücke helfen. Nein, Roger Penrose ist mein Freund.

Es ist der Stoff, der sich schwer auf meinen Kopf legt. Hoffnung kommt kurz auf beim Blick auf die Kapitelzahl – 26 von 34 – aber Depressionen beim Prüfen der Seitenzahl: noch fast vierhundert, genaugenommen 370 Seiten. Ab jetzt hat also jedes Kapitel fast 50 Seiten, während es bisher knapp 30 waren. Die Strasse zur Realität wird mit jedem Schritt länger und länger und zieht sich wie ein Gummiband bis zum Horizont.

Die Wirklichkeit ist ein schlechter Nordpol. Auf dem Weg dorthin sind am Anfang die Etappen kurz, am Schluss immer länger, und zwar, weil man in den ersten Wochen tonnenweise Gepäck mit sich herumträgt, das man dann nach und nach aufisst, somit leichter und schneller wird. Ausserdem wird das Eis zwar dünner, aber auch besser, je weiter man nach Norden vorankommt. Die Wirklichkeit kombiniert nun geschickt die Nachteile des Nordpols mit den Nachteilen des Nordpols: Zwar werden die Etappen auch länger, aber der Ballast immer grösser, und das Eis, nunja, was soll man sagen. Es wird immer dünner, soviel steht fest, immer dünner, bis irgendwann die magischen Calabi-Yau-Räume zerbrechen, aber das kriegen wir später.

685 von 1049 Seiten

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04.02.2008 / 13:14 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Im Zigzag durch den Dirac-See (627-654)

Oktober 2007. In Oberschan/Schweiz findet die Konferenz "Physik im Wandel" statt. Eingeladen hat die Odermatt-Walter-Universität, gegründet vom Schweizer Forscher Professor Walter Odermatt*. Die OWU ist die einzige Universität weltweit, an der das korrekte Weltbild gelehrt wird, unbestritten eine wichtige Errungenschaft. Der Kongress ist einfach strukturiert, stundenlange Vorträge von Odermatt, Mittagessen, dann weiter mit Odermatt. Es geht darum, dass die moderne Physik am Ende ist. Die Widersprüche zu gross, die Experten drehen sich im Kreis, die fundamentalen Probleme ungelöst. Quantenmechanik und Relativitätstheorie weiterhin nur leblose Hüllen, so ganz ohne korrektes Weltbild. Drei Tage lang wird der Paradigmenwechsel beschworen. Physiker sind keine anwesend.


Schmutzige Tricks (Foto: Jan Bölsche)
Genau wie die Anthroposophen um Odermatt bin ich an einem toten Punkt angelangt, leider jedoch ohne mir einbilden zu können, über ein korrektes Weltbild zu verfügen. Das Standardmodell der Teilchenphysik (Kapitel 25), seit etwa vierzig Jahren das beste Modell, das wir haben, enthält drei "Generationen" Teilchen, insgesamt so 24 Sorten an kleinen Dingern und Antidingern, in verschiedenen Geschmäckern und Farben. Siebzehn fundamentale Parameter lässt das Standardmodell unerklärt, z.B. die Massen von Elektron und Proton, und die Schwerkraft kommt auch nicht darin vor. Das Modell funktioniert ansonsten wundervoll und liefert zuverlässige Vorhersagen für eine Vielzahl von, naja, exotischen Lebenslagen. Wenn man nichts davon versteht, entsteht trotzdem der Eindruck, es wäre etwas schiefgelaufen. Statt die Wirklichkeit zu beschreiben, beschreiben wir Messergebnisse, und zwar mit sehr aufwendigen theoretischen Tricks. 24 Teilchen mit Farben? Was soll daran bitte fundamental sein? Statt das Kaninchen wirklich verschwinden zu lassen, verstecken wir es einfach unter dem Hut und machen unschuldige Gesichter.


Die Welt ist ein Schlammbad
(Foto: Jan Bölsche)
Aber natürlich ist das lediglich ein Zeichen meiner Ignoranz und schon bald werde ich damit anfangen, Tagungen auszurichten, bei denen ich der einzige Redner bin. Darum jetzt für eine Planckzeit elementare Gedanken aus dem Institut für Lyrik und Quantenfeldtheorie:

Typically a zig particle becomes a zag, and the zag then becomes a zig, this zig becoming a zag again, and so on for some finite stretch.

Das Elektron ist in Wahrheit zwei Teilchen, die unablässlich ineinander übergehen. Eines bewegt sich hin (zig), das andere her (zag), und mit Hilfe der kombinierten Zitterbewegung kann man tatsächlich einiges erklären, was vorher unerklärt war. So are these zigs and zags real? Hier gibt es noch eine klare Antwort, sie lautet: Vielleicht. Nun zum wirklichen Problem: But is this real 'reality'?

Schachmatt. Oder?

* auch eine Art, wie man zur Professur gelangen kann: sich selbst berufen

654 von 1049 Seiten

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24.01.2008 / 13:43 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Relativierte Quantentrübsal (609-626)


Foto, Lizenz
Niemand muss glauben, ich wäre irgendwie froh über das 20. Jahrhundert. Es gibt ja Zeitgenossen, die sind glücklich, wenn es an allen Ecken und Enden neue Mysterien gibt, weisse Teilchen springen aus Zylindern und die gute alte Zeit durch einen brennenden Reifen. Aber so geht es nicht, denn wir sind nicht auf der Welt, um uns noch mehr Rätsel auszudenken, wenn es so wäre, könnten wir den gesamten Wissenschaftsbetrieb auch einstampfen und gleich beim Pub-Quiz bleiben. Nein, wir haben einen Auftrag, nämlich den, dass SIE nicht über uns lachen, wenn SIE später die Erde zurück ins Reich holen. So wie wir heute über die alten Griechen lachen mit ihrem simplistischen Quatsch. Wie sieht das denn aus, wenn wir noch nicht mal wissen, wo ein Elektron genau ist? Oder was es ist? Und ausserdem wann? Sie werden mit den Fingern auf uns zeigen, oder was sie stattdessen haben.

Nein, ich bin betrübt über die Zustände da draussen. Es wäre noch akzeptabel, wenn es sich um blosse Spinnerei handeln würde, fantasievolle Konstruktionen von Österreichern und Dänen. Dänen kann man ja fast alles verzeihen. Was mich wirklich fertigmacht, ist die Tatsache, dass man all die neuen Fantasy-Mysterien messen kann, richtig messen, so mit Kabeln, Weckern und Zeug. Teilchen tauchen auf, verschwinden, überlagern sich, reden miteinander, und alles ist nicht nur ausgedacht. Dieses offensichtlich unvollkommene und unreife Machwerk, das hinten und vorne dem einfachen Menschen nur Unzufriedenheit und Seelenpein beschert hat, vermag es, problemlos die wenigen Fragen zu beantworten, die wir Ende des 19. Jahrhunderts noch hatten. Ja, wir waren nämlich schon mal soweit, wir hatten es alles ausgerechnet, damals, vor den beiden grossen Gemetzeln, nur noch schnell den Photoeffekt und das Michelson-Morley-Experiment klären und fertig. Leider fiel mit den letzten kleinen Details dann die gesamte Welt zusammen. Es ist kein Zufall, dass die Nazis zurück wollten zur blonden, blauäuigen Physik.

Was hier steht, ist die Schrödinger-Gleichung, so etwas wie die Weltformel in einem bestimmten Parameterraum. Auf der rechten Seite vom Gleichzeichen steht erst so was wie die kinetische Energie eines Teilchens, dann die potentielle. Das kennt man vom Stein: Hebt man ihn hoch, wird die potentielle Energie grösser, lässt man ihn fallen, verliert er davon wieder, gewinnt aber Fahrt, also kinetische Energie, sogenannte Energieerhaltung. Auf der linken Seite erkennt man die schöne, eindimensionale Zeit und wie sich alles mit ihr ändert. Dazwischen überall die Wellenfunktion Psi, das unschöne Ding. Und obwohl schon diese bizarre Form der Welterklärung schlimm genug ist, leuchtet es noch ein wenig ein.

Leider ist die Schrödinger-Gleichung falsch. Und zwar, weil sie noch einen richtigen altmodischen Zeitstrahl hat, mit Vorkriegssekunden. In Wahrheit sind Raum und Zeit jedoch nicht unabhängig, sondern bilden, ach, gar nicht darüber nachdenken, überlassen wir das lieber Dirac da in seiner Ecke. Wo ist die Gerechtigkeit? Wir tauschen die Lösung für ein paar winzige offene Fragen gegen ein ganzes Clifford-Bundle neuer "Geheimnisse" und "Probleme" ein, harter Stoff für die nächsten paar hundert Jahre. Sagte ich eben Clifford-Bundle? Unsere Enkel können einem nur leid tun.

626 von 1049 Seiten

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