06.02.2008 / 12:50 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Ultraviolet Blues (655-685)


2008: Year of the dead end.
(Foto, Lizenz)
Ich habe mich in eine Sackgasse manövriert. Anders ausgedrückt: Ich befinde mich im Feynman-Diagramm an einem Punkt, von dem alle Pfeile rückwärts in die Zeit zeigen. Kapitel 26 ist zu neun Achteln Borderline V, also so unverständlich wie das Gerede von Fledermäusen. Zum ersten Mal jedoch macht mich das weder erbost noch ärgerlich, sondern lediglich traurig.

Penrose jedenfalls kann man keinen Vorwurf machen: Auffallend ausgedünnt ist der Text mittlerweile an Gleichungen, weniger Gleichungen in Kapitel 26 als Lawinen auf einem Golfplatz, und wenn mal eine runterkommt, dann enthält sie nur so anschauliche Dinge wie den Annihilationsoperator (auf irgendwas anwenden, puff, weg). Auch die vormals autoritär-verkürzten Anweisungen in den Fussnoten ("Do this."- "Show this." – "Check this." – oder brutal: "Why?") sind mittlerweile zu höflichen Anfragen geworden, versehen mit beschwichtigenden Hinweisen: Don't worry about subleties like 'fall-off conditions'. Was für ein Luxus in diesen Tagen, wie gern hätte Hermann Buhl sich nicht um die Fall-Off-Conditions gekümmert, damals 1957 an der Chogolisa. Und immer wieder beinahe beschwörende Vereinfachungen, um mich durch die schweren Stellen zu geleiten, als wolle er einem Esel über die Brücke helfen. Nein, Roger Penrose ist mein Freund.

Es ist der Stoff, der sich schwer auf meinen Kopf legt. Hoffnung kommt kurz auf beim Blick auf die Kapitelzahl – 26 von 34 – aber Depressionen beim Prüfen der Seitenzahl: noch fast vierhundert, genaugenommen 370 Seiten. Ab jetzt hat also jedes Kapitel fast 50 Seiten, während es bisher knapp 30 waren. Die Strasse zur Realität wird mit jedem Schritt länger und länger und zieht sich wie ein Gummiband bis zum Horizont.

Die Wirklichkeit ist ein schlechter Nordpol. Auf dem Weg dorthin sind am Anfang die Etappen kurz, am Schluss immer länger, und zwar, weil man in den ersten Wochen tonnenweise Gepäck mit sich herumträgt, das man dann nach und nach aufisst, somit leichter und schneller wird. Ausserdem wird das Eis zwar dünner, aber auch besser, je weiter man nach Norden vorankommt. Die Wirklichkeit kombiniert nun geschickt die Nachteile des Nordpols mit den Nachteilen des Nordpols: Zwar werden die Etappen auch länger, aber der Ballast immer grösser, und das Eis, nunja, was soll man sagen. Es wird immer dünner, soviel steht fest, immer dünner, bis irgendwann die magischen Calabi-Yau-Räume zerbrechen, aber das kriegen wir später.

685 von 1049 Seiten

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