29.09.2010 / 01:45 / Aleks Scholz liest: The Cycles of Time (Roger Penrose)

Penrose for president (1-56)

Ein Buch über die Entstehung des Universums, und im Stichwortverzeichnis steht nichts zwischen "Gluon" und "Gold, Thomas". Was soll man dazu sagen, es ist so erleichternd, nachdem Hawking neulich mit seiner halbgewalkten Pseudophysik tagelang in den Twittertrends war. Zur Hawkings Ehrenrettung nehme ich probehalber mal an, dass seine Behauptung, Gott liesse sich per Physik wegerklären, ein Marketing-Gag war, umso erfreulicher, dass Penrose auf solcherart Quatsch verzichtet. Braucht er ja auch nicht, sein Buch kaufen sowieso alle, weil er eine Stimme hat wie ein Computer. Oh, Moment.

Und während Kollege Christian Heller mit seinem Kopf mal wieder versucht, "The Road to Reality" zu lesen, den Penrose-Wackerstein mit allem, was man zum Leben braucht, mache ich inzwischen mit dem Neuen weiter, Cycles of Time. Statt 1000 Seiten nur 200, und es geht hier nicht um Alles, sondern nur um eine neue Theorie zur Entstehung von Allem.

Ach, Penrose. Penrose lesen ist wie Heimkehr, er fängt einen Gedankengang an, und ich weiss schon in den ersten Sätzen, wo er ungefähr hin will, nicht, weil er sich wiederholt, obwohl das auch vorkommt, sondern weil seine Präferenzen klar sind, seine Lieblingsthesen und die Bilder, die er am liebsten hervorholt. Ich weiss, wann ich querlesen kann, wann ich aufpassen muss, und wann es auch so irgendwie geht, weil die Struktur der Argumente so drin ist wie die Struktur der riesigen Wohnung von damals; Vorsaal, ein wirklich endloser Flur, erste Tür rechts Schlafzimmer, zweite Tür Sauna, usw., ganz hinten am Ende Bad und Spielzimmer. Als wir so mit 10 genug gespielt hatten, zog ich ins Schlafzimmer und las Schklowskis Buch über Sternentwicklung, das ich erst 15 Jahre später halbwegs verstand. Ein Buch mit einem harten, stechenden Geruch, für alle Zeiten der Geruch des grossen WTF. Gerade ausprobiert, ein schwacher Hauch davon hängt heute noch im Schklowski. Aus dem Spielzimmer hingegen wurde das seltsame Reich meines Bruders mit Petshop Boys und anderem Unfug. Das waren dramatische Zeiten, aber ich schweife ab.


Quelle, Lizenz


50 Seiten über Entropie, bliss. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik jedenfalls, der mit der Entropie, ist vermutlich mein Lieblingsnaturgesetz, obwohl es natürlich gerade dabei ist, mich umzubringen. Einmal, weil es so kryptisch heisst, aber doch so universal und alltäglich ist. Dann, weil es nicht so einfach zu quantifizieren ist wie, sagen wir, die Schwerkraft, obwohl auf den ersten Blick so einleuchtend. Auch, weil es seltsam ungenau ist, keine Gleichung, sondern eine Ungleichung, nie wirklich 100% exakt. Ein Naturgesetz, das nicht genau ist, wie schön. Und dann, weil es allem anderen komisch übergestülpt ist, man nimmt Newton und Maxwell und den ganzen anderen Dreck und setzt den zweiten Hauptsatz noch oben drauf.

Es sieht so aus, als habe der 2. HS ontologisch einen anderen Status als der Rest der Naturgesetze, insofern, als dass es nicht möglich scheint, in jeder Situation exakt anzugeben, was die Entropie eigentlich ist; Entropie scheint mehr ein Konzept zu sein und weniger da draussen existent als andere Sachen wie Energie, Geschwindigkeit, Marsriegel.

Und dann natürlich noch der richtige Hammer, denn im Gegensatz zu den wirklich meisten anderen Gesetzen da draussen hat der 2. HS eine Richtung in der Zeit. Alles, was Atome so auf mikroskopischer Ebene treiben, dieses ultrakomplexe Billardspiel untenrum, könnte genausogut auch andersrum in der Zeit ablaufen, und wir würden keinen Unterschied bemerken. Aber baut man nur genug von diesem Zeug zusammen, errichtet der 2. HS unweigerlich einen Zeitpfeil. Rückwärts in der Zeit sieht auf einmal albern aus, das kaputte Ei springt zurück auf den Tisch und repariert sich dabei selbst. Lustig.

Die Welt fällt immer weiter zu wahrscheinlicheren Zuständen. Aber warum nur? Die Antwort von Penrose ist fast zu doof, um sie hinzuschreiben, aber was solls: Weil sie aus weniger wahrscheinlicheren Zuständen kommt. Je weiter man in die Vergangenheit geht, umso unwahrscheinlicher wird der Zustand, in dem man die Welt vorfindet, bis man ganz vorne, ganz am Anfang, einen irre grossen Klumpen Unwahrscheinlichkeit findet und ihn dann Urknall nennt. So ist das. Der Urknall ist schuld daran, dass das Ei nicht zurück springt.

Manche sagen, der 2. HS sei gar kein richtiges Naturgesetz, sondern wird (hoffentlich) schon noch irgendwie unten rausfallen, wenn man mal alles weiss. Andere sagen, er sei DAS Naturgesetz schlechthin und alles andere fällt unten raus. Penrose steht in seltsamer Weise dazwischen; einerseits will er die Entropie nicht da draussen in der Welt haben, andererseits baut er aus dem 2. HS das gesamte Universum. Kommt alles später.

56 von 220 Seiten


Kommentar #1 von Aleks:

Völlig vergessen: Das Vorwort lässt vermuten, Penrose wolle das Steady-State-Universum irgendwie hintenrum wieder einführen. Das ist natürlich grossartig, hoffentlich stimmt es auch, weiss man ja vorher nie.

29.09.2010 / 02:43

Kommentar #2 von Björn:

Schade, der Steady-State hat die Lesedynamik gegen null konvergieren lassen
dL/dt => 0

19.05.2011 / 23:30

Kommentar #3 von Roger Monoroses:

Also mir gefällt die uralte Erklärung der Entstehung von allem dahingehend, es habe einer die Sachen ganz nach seinem Gusto geformt, immer noch am besten. Was würdet Ihr denn machen, wenn Ihr den Weltenschöpfungsjob bekämet? Na also!

07.07.2011 / 22:15