01.11.2007 / 18:29 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Die Strasse zur Wirklichkeit (1-7)

Man darf sich nicht von der Wirklichkeit korrumpieren lassen. (Zitat von Catalin D. Florescu) Schon, aber wie stellt man das an? Es klingt so, als dürfe man nicht nass werden, wenn man ins Wasser geht, oder als solle man in einen stockdunklen Keller gehen, ohne die Treppe runterzufallen. Die Wirklichkeit ist ein vielarmiger Tintenfisch, der uns von allen Seiten mit seinen Tentakeln belästigt.

Zur Zeit, zumindest in Schottland, vorwiegend mit Dunkelheit. Kommt man abends nach Hause, brennt schon das Licht an der Aussentreppe, weil irgendein Idiot sich im Dunkeln nicht durch die hohle Gasse traut. Ich muss an dieser Stelle leider ein Subjekt in den Text einführen, weil es technisch nicht möglich ist, dass jeder in einer hohlen Gasse wohnt. Viele haben auch kein Meer hinterm Haus, und ich hätte auch keine Ahnung davon zu dieser Jahreszeit, wenn es nicht akustische, wenn auch schwer verständliche Signale geben würde. Die Wirklichkeit bündelt Dunkelheit seltsam oft mit Kälte, und Kälte wiederum mit Wind, undichten Fenstern und dem Auftreten von Raubspinnen in der Wohnung, die man nur rauskriegt, wenn man die Heizung nicht einschaltet (Kälte). So ist die Realität eingerichtet, dunkel und entweder kalt oder voller Spinnen, die ekelhafte Geräusche beim Zerquetschen von sich geben, vermutlich unfreiwillig.

Es ist Ende Oktober, glaube ich, und den nächsten Sonnenstrahl erwartet man hier für Anfang März. Harte Zeiten, in denen die einzige Unterhaltung darin besteht, dass vor dem Fenster der Ast eines Baumes im Wind vor der Laterne hin- und hertreibt, und so grausige Schatten an den Wänden entlangzucken. Manchmal liegt das dicke Buch im Dunkeln, manchmal im Halbdunkeln, so dass man den Untertitel "a complete guide to the laws of the Universe" gerade so erkennen kann. Hält man den gewaltigen Quader ins Licht, so erkennt man, dass er voll ist mit Twistor-Theorien, FAPP-Philosophien, Quanglements und Clifford-Bündeln. Clifford-Bündel klingt fast so wie ein vollsynthetischer Schlafsack, der einen auch dann warm hält, wenn Raureif von den Wänden fällt.

Penrose, der Mathematiker aus Oxford, stellt seinem grössenwahnsinnigen Werk ein Vorwort voraus, das eine lange Apologetik enthält, warum sein Buch voll mit Mathematik ist. Er möchte vermeiden, dass man sich vor dem Buch fürchtet, so wie vor der Dunkelheit, ein ehrbarer Versuch, aber natürlich nutzlos, denn, hallo, das Buch wiegt anderthalb Kilo und es kann sehr viel Blut aufsaugen. Dieses Buch ist so angsteinflössend, es sollte verboten werden, es mit ins Flugzeug zu nehmen. Was Penrose aber stattdessen im Vorwort liefert, ist ein gutes Beispiel für den Irrsinn, mit dem man jeden Tag so klarkommen muss: Auf wirklich vollen zwei Seiten erklärt er, was drei Achtel sind. Er kommt zu dem überraschenden Schluss "irgendwas, das existiert", aber wie er dazu kommt, das schafft Vertrauen. Dieses Buch wird an keiner Stelle den einfachen Weg gehen und meinetwegen von Branes und Strings reden, wie das Scharlatane wie Stephen Hawking tun; dieses Buch wird alles verdammt noch mal erklären. Von ganz von vorne.

Am Schluss des Vorworts schlägt Penrose vor, die mathematischen Formeln und ihre Herleitung entweder zu ignorieren oder halt nicht, und genau das gedenke ich den Winter über zu tun. Vollständig ignorieren kann man auch den danach folgenden Prolog, der eine langweilige Fiktion von Handwerkern, dunklen Wolken und Menschenopfern enthält, samt kompletten Zerwürfnis mit der Welt, auch wenn Parallelen zur richtigen Wirklichkeit nicht zu übersehen sind. Hoffnung verspricht allein Pythagoras, womit das Buch dann richtig losgeht. Wir sind auf Seite 7, nur noch 1042 Seiten to go. Aber bestimmt sind einige davon voll mit Bildern.


Kommentar #1 von psycho killer:

Seit ich die Überschrift zu diesem Beitrag in mein Navigationsgadget eingegeben habe, ist "Lisa" im Stimmbruch.
Aber eigentlich wollte ich nur den ersten Kommentar in diesem (voraussichtlich) famosen Blog schreiben; er möge allen dienen, deren Aufmerksamkeitsspanne bereits mit einem durchschnittlichen Riesenmaschine-Artikels überfordert ist.

01.11.2007 / 21:19