27.06.2010 / 12:55 / Viele lesen: Klagenfurttexte 2010

Textiles Durcheinander

Ich erkenne eine Depression, wenn ich sie sehe, denke ich irgendwann während ich lese. Beim Erzähler, nicht beim Autor. Nur nicht vom schwarzen Rollkragenpulli auf den "wenig Abwechslung bietenden Kleiderkasten" schliessen. Grau und Schwarz, das sind die Farben dieses Jahrhunderts, so Thomas Ballhausen in seinem an Fantasyliteratur erinnernden Beitrag "Cave Canem". Welches Jahrhundert das sein mag, darf man sich selbst aussuchen, es finden sich Hinweise aufs alte Rom, das Ganze könnte aber auch in der Zukunft oder in Mittelerde nach einer der grossen Schlachten spielen. Wegen der Türme. Moment mal, Türme, da war doch noch was? Nein, falsche Fährte, die hier stehen noch, auch wenn sie bereits "in einen Prozess des Schwindens, des schleichenden Verfalls eingetreten" sind.

Der Autor gewinnt mich durch Unterwanderung meiner Erwartungen. Tarotkarten sind nicht das, was man beim Komparatisten als Inventar im Text suchen würde. Ich oute mich jetzt mal als Kennerin der Materie. Ergibt die Quersumme der Ziffern auf einem Nummernschild eine Drei, denke ich automatisch "Herrscherin", Fruchtbarkeit, Wachstum, Kreativität. Filmregisseuren geht es sicher genauso. Voraussetzung sich in Hollywood Director nennen zu dürfen, ist ein abgeschlossener Tarotkurs, in Verbindung mit einem Seminar für Numerologie. Das Close auf die Zimmernummer gibt schon vorab Hinweise darauf, wie das Treffen des Paares im Hotelzimmer ablaufen wird. Bleiben wir bei den von Thomas Ballhausen verwendeten Karten: Eine Sechs, die Liebenden, das erklärt sich von selbst, sieht man heute aber kaum noch, zu offensichtlich. Bei einer Neun, die für den Eremiten steht, ist es wahrscheinlich, dass es sich die Hauptdarstellerin auf dem Weg anders überlegt hat und der Hauptdarsteller lange warten kann – sie wird nicht kommen. Und die Sechzehn, der Turm, steht für eine Katastrophe oder was völlig Revolutionäres. Also entweder draussen Godzilla oder drinnen wilder Sex. Ohne das Wort "Gesäss", wenn es nach Juror Burkhard Spinnen geht. "Gesäss", so sagt er, sagt man nicht, geht es um Sex.

Darauf, dass sich in der Erzählung ein Hinweis auf Kubricks Eyes Wide Shut verbirgt, musste mich erst die Jury bringen. Vermutlich nicht die einzige Anspielung, die mir entgangen ist. Die von Thomas Ballhausen entworfene Welt ist voller Zitate und Verweise. Der Weg, den der Held der Geschichte hier aus der Abenddämmerung der Schwermut kommend, über die Erlösung durch körperliche Liebe ins Sonnenlicht geht, das eine alte rostige Kette freilegt, an der wohl der titelgebende Hund hing, vor dem man sich in Acht nehmen soll, dieser Weg verläuft nur scheinbar gerade. Tatsächlich führt er unzählige Stiegen auf und ab und kreuz und quer, denen ich nicht immer folgen konnte.

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Michaela Gruber / Dauerhafter Link