13.01.2009 / 01:16

Wo rohe Kräfte sinnlos walten

Wo in meinem letzten Beitrag die Rede von Erkältungsnasen war, trifft es sich, dass die Erkrankung Ihres geschätzten Lesemaschinisten auch die Lektüre eines weiteren Buchs ermöglichte:
Heinz Strunks Roman-Zweitling »Die Zunge Europas«, der wie schon die »Whalestoe Letters« dank weihnachtlicher Schenkungsfreude den Weg in meinen Schoss fand. Nach »Fleisch ist mein Gemüse« war die Vorfreude nicht gering – und nun versuche ich mit Hängen und Würgen auch »Die Zunge Europas« toll zu finden. Oder es wenigstens sortiert zu bekommen.

Hauptperson und Ich-Erzähler ist Markus Erdmann, ein nicht berauschend erfolgreicher Gagautor, der auf der Habenseite ein mittelmässig erfolgreiches Bühnenprogramm hat, mit dem ein mittelmässig erfolgreicher Kabarettist durch die Gegend tingelt. Die Beschreibung von Programm und Bühnenfigur erinnert mich an Dirk Bielefeldt alias Herr Holm, aber das mag unbegründete Paranoia sein.

Relativ schnell kommt man auch dahinter, warum M. Erdmann derart ausgesprochen nicht-so-erfolgreich ist. Er ist über weite Strecken damit beschäftigt, seine Umwelt scheisse zu finden. Sich selbst irgendwie auch, aber letztlich doch noch lang nicht so scheisse wie zum Beispiel die Gagschreiber der diversen deutschen Comedy-Phänomene, die Honks im Tanzschuppen oder die ausführlich beschriebenen ungepflegten Dicken und Arbeitslosen in der Strassenbahn und an der Frittenbude1. Obwohl auch Erdmann seinerseits grosser König im Herumgammeln und Unterschichtenfernsehengucken ist. Ich bin zwiegespalten. Einerseits sind die Beschreibungen einiger Sendungen wie »Britt« oder »RTL Shop« treffend und amüsant. Andererseits auch ausgesprochen unaufregend, weil ich das Gefühl habe, dass für mich das weite Feld der TV-Untaten in Gesprächen im Bekanntenkreis bereits seit einiger Zeit ausführlich abgegrast ist und letztgültig ad acta gelegt wurde. Ja, TV ist zwischendurch ganz schön schlecht und in dieser Schlechtheit oft auf seine Art lustig. Aber wem erzählt Strunk das? Die Nicht-Honks, die er erklärtermassen gern zum Publikum hätte (wofür auch die Gagschreiberschelte in »Die Zunge Europas« ein weiterer Beleg ist), wissen das doch längst.

Ich habe meine liebe Not mit diesem Buch, vor allem, weil mich das Gefühl beschleicht, dass es eine Restesammlung ist. Ich glaube nämlich: Diverse Notizen aus der Vergangenheit – »überlegenes Material« – die in Hörspielen nicht zur Verwendung gebracht werden konnten, wurden hier mal mehr mal weniger passend aneinandergeklatscht. Dazu passt die banale Tiefschürfigkeit von Ende und Moral: Nachdem er lange Zeit um sich und die Nervigkeit seiner Umwelt kreiste, will Markus Erdmann nun etwas ändern – ein Buch schreiben, sich aus der öden Beziehung verabschieden, so Sachen. Schliesslich hat er nur ein Leben. Da hatter natürlich Recht.

1 Derart detailreich ist Strunks Erzählweise wenn es darum geht, schwitzende speckige Menschen zu beschreiben, dass mich nicht weiter wundert, dass die Aufmachung seines in Kürze erscheinenden Werks »Fleckenteufel« die Vermutung nahe legt, dass es sich um eine Antwort auf Charlotte Roches »Feuchtgebiete« handeln wird.

André Fromme / Dauerhafter Link