13.01.2008 / 00:40 / André Fromme liest: Esra (Maxim Biller)

Das Ende vom Ende (195-213)


Langeweile. Ein Selbstversuch.
Fertig. Ich komme wohl nicht drumrum, noch einmal auf meinen ersten Beitrag zu »Esra« einzugehen, in dem ich noch fröhlich gelaunt die Frage aufwarf, »wie sich dieses Buch nach der vorangegangenen Diskussion liest, bzw. ob man es überhaupt noch lesen kann.« Jenun, man kann es immer noch lesen. Weiter im Text.

Dramaturgisch besehen habe ich die letzte Lesepause bestens gewählt. Denn ab nicht ganz Mitte Seite 194 folgt direkt das, was vermutlich als wenigstens halbversöhnliche Schlüsselszene gemeint war. Bei mir löst sie nur ein »Ja. Klar.« aus. War Adam vorher ein geradezu unangenehm kleinlicher Erzähler, ist plötzlich alles etwas fluffiger – und unweigerlich denke ich »Okay, das hier ist also das fiktive Ende.« Als wäre es nicht schlimm genug, dass die Fiktionalität hier, wo sie mal länger am Stück vorkommt, sofort auffällt, folgt gleich der nächste Gedanke: »... und es ist schlecht ausgedacht.«

Kurzzusammenfassung? Sehr gern: Adam fährt in die Türkei, gibt sich gegenüber Esras Grosseltern – die seit Jahren nicht mehr mit Esra sprechen und mit Esras Mutter nur per Anwalt oder TV-Interview – als Jude zu erkennen und bekommt direkt eben jene Familiengeheimnisse aufgetischt, über die er zuvor am meisten nachgegrübelt hat. Namentlich, dass Esras Grosseltern tatsächlich den Dönme angehören, also nur offiziell Muslime, insgeheim aber jüdischen Glaubens sind. Sie verraten dann ausserdem, dass sie Adam sofort als »von Esra« kommend erkannt haben (wie auch immer) und geben ihm netterweise sogar einige ermunternde Worte mit auf den Weg. Wie gesagt: »Ja. Klar.« Hätten ihm Esras Grosseltern direkt ihr klein' Häuschen vermacht, es hätte mich nicht gewundert.

Was nach dieser Passage kommt, war vermutlich als geradezu metaphysisch-verklärender Abschluss gedacht, der alles ein bisschen ins Abstrakte ziehen soll, ist mir aber nur noch herzlich egal. Von den 213 Nennseiten des Buchs haben sich die ersten acht damit beschäftigt, leeres Papier und den Buchtitel zu präsentieren. Im Nachhinein sind das die Buchseiten, die ich mit der grössten Begeisterung konsumiert habe.

Letztlich bleibt der Eindruck, dass es in »Esra« hauptsächlich um zwei Dinge geht. Dabei steht der offensichtliche und viel diskutierte Stinkefinger an des Autors Ex und ihre Mutter nur an zweiter Position. Viel dominierender ist, dass Adam auf Heimat- und Identitätssuche ist. Kein einfach Ding in seinem Fall. In Prag geboren, aber das ist zu lange her; in Deutschland arbeitend und lebend, aber die Deutschen sind zu deutsch. Also klammert er sich an zwei Dinge: seine jüdischen Wurzeln (daher auch die Obsession mit der Dönme-Geschichte) und den Versuch einer Familiengründung. Womöglich verständlich und ebenso womöglich eine Basis für eine mitreissende Geschichte. Aber Adam bleibt immer geradezu ekelhaft oberflächlich. Eingeredetes Sentiment muss echte Emotion ersetzen. Dass zum Beispiel zu so einer Familiengründung mehr gehört, als sich selbst telenovela-artig unfassbar verantwortungsvoll vorzukommen und mit tiefer Stimme etwas in der Art von »Lass mich der Vater deiner Kinder sein!« zu proklamieren ... ich rufe Adam nicht an, um ihm das zu erklären. Er würde mir das eh nicht glauben, denn ich verstehe einen Scheiss. Ich nehme das nicht persönlich, denn die Welt generell versteht einen Scheiss. So viel habe ich bei der Lektüre gelernt.


P.S.: Zu guter Letzt gibt es da noch dieses Interview mit Maxim Biller auf watchberlin.de, geführt vom Biller gegenüber äusserst ergebenen Volker Weidermann. Eines der wenigen Interviews, in denen sich der Autor zum Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Oktober 2007 äussert.

Bei der Lektüre gehört und für voller guter Lebenstipps befunden:
Ulme – Dreams of the Earth (2007)
Monty Python – Sings (1991)

213 von 213 Seiten

André Fromme / Dauerhafter Link / Kommentare (1) / Buch kaufen und selber lesen


Kommentar #1 von Frau Grasdackel:

Sehr schön die Stelle im Interview, an der Volker Weidermann anmerkt, Biller hätte doch durch zwei, drei eingebaute Verfremdungseffekte das Verbot verhindern können und ihm Verfremdung sehr anschaulich demonstriert, indem er parallel zum Gesagten seine Haarfrisur verändert. Doch Biller in lakonischer Leichtigkeit: "Bücher sind das Abstrakteste was es gibt. Sie bestehen nur aus Buchstaben, Papier, Druckerschwärze, das ist alles was mir dazu einfällt."
Wirkt Weidermann fast durchweg etwas unsicher, kann er zum Gesprächsende doch noch einen Punkt für sich erzielen. Biller: "Man sollte die deutschen Autoren bitten, die Finger vom Realismus zu lassen." Weidermann: "Sehr gut. Nun hat ja Karlsruhe ja doch einiges dazu getan." Hahaha. Obwohl ich Biller in diesem Gespräch sogar mal richtig sympathisch und interessant finde.

15.01.2008 / 04:13