Scheissegal (121-127)


Logisch und moralisch am Ende: Das B�se, a.k.a. genius malignus (Bild: novasonicmods)
Wer ein bisschen Philosophiegeschichte kennt, dem ist sicher die ber�hmte Skepsiswiderlegung bekannt. Ein radikaler Skeptiker stellt solch sympathische Behauptungen auf wie: "Es gibt keine Wahrheit", "man kann die Wirklichkeit nicht erkennen", oder "es k�nnte ja auch alles ganz anders sein". Auf inhaltlicher Ebene sind diese Aussagen problemlos und schick und finden in allen fortschrittlichen Kreisen stets guten Anklang. Das Problem dabei ist aber: Zwar in sich nicht widerspr�chlich, widersprechen sie sich doch im Vollzug der Behauptung: Denn indem ich behaupte, es gebe keine Wahrheit, erhebe ich mit dieser Behauptung Anspruch auf Wahrheit. Ich will ja gerade sagen: "Es gibt keine Wahrheit, so ist es wirklich und nicht anders." Ich setze also das voraus, was ich bestreite. Damit hat die ganze logische Tragf�higkeit meiner Skepsis Schiffbruch erlitten.

Aber dadurch ist die radikale Skepsis freilich noch nicht erledigt, auch wenn viele rationalistische Dogmatiker das dann gerne so s�hen. Denn als Skeptiker kann ich angesichts obiger Widerlegung immer noch sagen: Mir doch egal. Keine Sau kann mich zwingen, logische Widerlegungen zu akzeptieren. Ich behaupte weiterhin, was ich will. Wenn man rational v�llig inkonsequent ist, kann man sehrwohl radikaler Skeptiker bleiben, denn rationale Konsequenz ist nicht erzwingbar (und das ist ein sch�ner negativer Beweis f�r die Existenz der menschlichen Freiheit: Selbst wenn irgendwelche Hirnforscher eines Tages beweisen sollten, dass es sowas wie Freiheit nicht geben kann: Niemand muss den Beweis akzeptieren, wir k�nnen zumindest innerlich aus aller Logik aussteigen und uns davon freimachen – die Aussage "mir doch wurscht" ist jedesmal ein transzendentaler Freiheitsbeweis. Eine Welt, in der logische Beweise von allen akzeptiert werden m�ssen, w�re eine totalit�re Welt: Nur durch Gehirnw�sche kann man jemanden dazu bringen, gegen seinen freien Willen die Logik zu akzeptieren1).

Echter Stress ergibt sich aber dann, wenn man Vernunft und radikale Skepsis zusammenhalten und sich vor rational denkenden Menschen nicht zum Affen machen will. Da kann ich nicht mehr so einfach sagen: Ich ziehe alles in Zweifel, auch die Spielregeln der Vernunft, und benehme mich logisch v�llig daneben.

Genau vor diesem Problem steht Descartes, nur mit umgekehrtem Vorzeichen: Wenn die radikale Skepsis gilt, wenn all unsere Wahrheiten dahin sind, wenn dieser grausam infernalische genius malignus uns die Existenz der ganzen Welt, die Existenz unseres eigenen K�rpers und die Wahrheit aller unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien vort�uscht und uns g�nzlich l�cherlich macht – eines darf er nicht k�nnen: Die Gesetze der Logik aushebeln. Denn dann torpediert er die Gr�nde seiner Postulierung: Wenn es keinen rational-logischen Grund mehr gibt, einen genius malignus anzunehmen, kann mir dieses Postulat ja auch wirklich herzlich egal sein, wozu sollte ich diese Annahme dann noch machen? Dann kann ich f�rderhin von der Wahrheit all der angezweifelten Erkenntnisse �berzeugt bleiben und sagen: Mir doch v�llig piepe!

Missliches Fazit: Wenn der genius malignus auch die Gesetze der Logik ausschaltet, dann schafft er seine eigene Voraussetzung ab. Wenn er aber die Gesetze der Logik nicht aushebelt, dann ist Descartes Gottesbeweis g�ltig und der genius malignus hat ausgedient. – Also rundum eine arme Sau, dieser genius malignus. Egal, was er macht: Er geht dabei drauf. Mit anderen Worten: Die Annahme eines genius malignus ist nicht zu halten.

Der Kopf des B�sen ist gefallen, hart und kalt. An jeder Stelle, wo das abgehauene Haupt aufschl�gt, wird die Quelle einer neuen Descartes-Meditation enspringen.

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1 Vern�nftig-logische Erkenntnis und Einsicht setzt sogar immer voraus, dass ich mich frei auf die Vernunft einlasse. Man kann nicht zu vern�nftiger Einsicht gezwungen werden, jeder muss von selbst einsehen und dem auch zustimmen. Allerdings ist dieses Einstimmen in die Vernunft kein der Vernunft vorg�ngiger Akt reiner Willk�r (wie der Dezisionismus meint), sondern diese freie Entscheidung ist selbst wieder vern�nftig: Das Akzeptieren von logischen Argumenten ist bereits der Grundakt der Vernunft selbst. Freiheit und Vernunft geh�ren untrennbar zusammen.

03.05.2008 / 01:05 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Comeback (121-121)


Zwerg Nase ist wieder da.
Hallo. Hier geht die Descartes-Lektüre weiter. Bitte keine dummen Fragen stellen, warum sich der Descartesstrang plötzlich wieder in Bewegung setzt, wenn vor fast einem halben Jahr die Lektüre der Meditationes mit einem leisen Grunzen im stinkigen Schlick unfairer Kritik versank. Mir ist eben einfach danach, das Buch weiterzulesen. Warum-Fragen werden uns im Folgenden sowieso noch genug quälen.

Es wird so konzentriert weitergehen wie damals. D.h. wer lachen will, geht woanders hin. Ich verspreche: Es wird staubtrocken. Kehlen werden nur mit Korn benetzt. Das einzig Spannende wird das Thema selbst sein. Es geht hier um nichts Geringeres, als um die Frage nach der Wahrheit. Und die ist eine, nunja, ernste Sache. Hoffentlich.

Zunächst eine kurze Replik zu dem Bisherigen und ein Blick auf den Grund, weshalb die Lektüre damals endete:
1) Der Ausgangspunkt war: Gibt es unbezweifelbare Wahrheit?
2) Die Methode zur rationalen Erforschung dessen war rationale Skepsis, also keine Skepsis der Beliebigkeit, die einfach mal Dinge in Zweifel zieht, weil es ihr gerade so passt, sondern eine Skepis der Vernunft: Sie fragt nach hinreichenden Gründen für den Zweifel an vermeintlichen Wahrheiten – um etwas in Zweifel zu ziehen, muss man eine widerspruchsfrei denkbare Möglichkeit einer Ursache dafür angeben, dass wir uns in dem fraglichen Punkt täuschen.
3) Die Hypothese des genius malignus: Es ist möglich, dass es eine potente Ursache U1 gibt, die Grund dafür ist, dass wir uns entgegen allem Anschein in der Existenz der Aussenwelt und in den klaren und deutlichen wissenschaftlichen Theorien und logischen Schlüssen täuschen.1
4) Cogito, ergo sum: Es ist unbezweifelbar wahr, dass ich existiere, solange ich mich täusche, bzw. solange ich denke. U1 kann mich darin nicht täuschen.
5) Der Gottesbeweis: Damit die täuschende Ursache U1 ausgehebelt werden kann, muss die Existenz einer omnipotenten Ursache U2 bewiesen werden, der die Attribute der Wahrheitsttreue und Unfehlbarkeit zukommen: Gott. Also schritt Descartes in der III. Meditation zu einem Gottesbeweis. Die I.-III. Meditation haben also die Struktur einer reductio ad absurdum: Die Annahme der Existenz eines genius malignus wird durch den Erweis ihres kontradiktorischen Gegenteils (die Existenz Gottes) zum Widerspruch geführt.
6) Zirkelvorwurf: Der Gottesbeweis muss mit rationalen Mitteln bestritten werden, er ist ein klarer und deutlicher logischer Syllogismus. Aber alle logischen Schlüsse sind durch die Hypothese der Täuschungsursache U1 diskreditiert. Man kann auf sie nicht vertrauen. Wird dadurch nicht ein Gottesbeweis unmöglich?2 Wurde also ein Zirkelschluss begangen?

Na, wieder im Thema? Der Zirkelvorwurf brachte die Descarteslektüre zu ihrem fiesen Ende. Er ist ein schwerwiegender Vorwurf, auf den Descartes in seinen Antworten auf die Einwände leider nicht richtig eingeht. Aber ich denke, man kann diesen Vorwurf abschmettern. Darüber habe ich mir das letzte halbe Jahr Gedanken gemacht, nur darüber und über nichts anderes, und das wird im Folgenden gnadenlos durchgekaut werden. Ich freue mich auf Ihr ungehemmtes Interesse!

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1 Insbesondere wurde herausgestellt: Frei in der Luft hängende Wahrheit wissenschaftlicher Theorien, ein reines Gelten ohne existierende Dinge, auf die diese Theorien angewendet werden, ist sinnlos. Denn wenn sie den Grund ihres Geltens rein in sich selbst tragen, fragt sich, wieso sie überhaupt für irgendetwas gelten, d.h. wieso sie überhaupt wahr sein sollen. Wissenschaftliche Wahrheit muss Wahrheit von etwas sein, von Existierendem. Wahrheit und Wirklichkeit gehören untrennbar zusammen: Wahrheit ist das, was ist, "[...] quae ostendit id, quod est." (Augustinus: De vera religione, XXXVI, 66.)

2 Dieser Einwand wird im Wesentlichen von Antoine Arnauld in den Vierten Einwänden gegen die Meditationen vorgebracht: Er fragt, ob Descartes nicht "[...] einen Zirkelschluss gemacht hat, wenn er sagt 'es steht uns aus keinem anderen Grunde fest, dass das, was wir klar und deutlich erfassen, wahr ist, als dadurch, dass Gott ist'. Aber es kann uns nicht feststehen, dass Gott ist, es sei denn, dass es von uns klar und evident erfasst wird." (In der grünen Meiner-Ausgabe, S. 194.)

121 von 229 Seiten

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29.11.2007 / 19:40 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Schluss mit Descartes


Descartes, traurig. (Bild: Ruben Schneider)
Hier endet unsere Lesereise mit den Meditationen von René Descartes. Ein wenig abrupt, gewiss. Gerade waren wir noch in einem so schönen Gottesbeweis in der 3. Meditation, der für sich genommen auch logische Evidenz sondersgleichen beinhaltet. Descartes hatte angenommen, dass ein unfassbar böser Betrügerdämon, bzw. eine Betrügermatrix, ihm alle Erkenntnis versaut hat, ihm Welt und Wissenschaft auf perfide Weise vorgaukelt um sich an seiner Leichtgläubigkeit zu ergötzen, alles war dahin bis auf das eigene Ich. Jetzt will Descartes beweisen, dass das alles falsch ist und dass ein allmächtiger, gütiger und wahrhaftiger Gott existiert, der garantiert, dass es die Welt gibt und dass Wissenschaft und logische Evidenz kein Betrug sind. Womit beweist Descartes das? Mit der logischen Evidenz eines Beweises. Weil der Beweis logisch evident ist, gilt er. – Okay. Alles klar. Er beweist die Gültigkeit logischer Evidenz mit der Gültigkeit logischer Evidenz.

Hier ist Schluss mit den Meditationen. Es kommt zwar noch ein halbes Buch voller Meditationen, aber wozu? Spätestens da, als durch den genius malignus die Hypothese zusammengeschustert wurde, dass klar und deutlich logisch evidente Sätze ebenfalls nur psychologische Täuschung sein könnten, ist Ende mit Denken. Wenn die Logik nichts mehr taugt, braucht man nicht mehr weiter argumentieren. Da können wir das Buch zuklappen und einen trinken gehen oder Postkarten ausmalen. Genau dies werde ich jetzt auch tun. Tut mir leid. Aber man muss Philosophen auch für voll nehmen können und ihre eigenen Gedanken zu Ende denken, selbst wenn sie zwangsläufig in Alkohol oder Ähnlichem enden.

Sie können ja wegen mir gerne weiterlesen. Ich lese als nächstes dann was über Fahrräder.


26.11.2007 / 03:02 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Unendlichkeitsrausch (103-121)


Road to potential infinity. (Bild: Matt Fetterley, Lizenz.)
Vom Bombenteppich der kurzatmigen Weltgeschichte nun wieder zurück in den luziden Metaräumen der Philosophie, Monsieur Descartes sitzt immer noch vor seinem Kamin, die Stirn mit den tiefen Runzeln angestrengten Denkens gefurcht, in einer mächtigen kognitiven Anstrengung hat er die Existenz der Aussenwelt und seines Körpers in Zweifel gezogen und alles Sein runtergezweifelt auf einen sicheren Punkt: Das eigene Ich existiert absolut sicher, solange ich denke. Wie kommt man jetzt von diesem Tiefengrund wieder weg und auf sicherem Wege rauf in die Welt, ohne dass einem irgendwelche zweifelhaften, zwielichtigen Annahmen die Suppe versauen?

Auf dem Tiefengrund meines Ich habe ich nur mein Denken. Kein äusseres Faktum kann mir helfen. Ich muss mir also mein Denken allein ansehen. Es enthält auf jedenfall Gedankeninhalte. Aber woher kommen diese Inhalte? Die empiristische Annahme, dass sie von aussen in mein Denken reinkommen, fällt flach, da die Aussenwelt als nichtexistent angenommen ist. Also müssten alle Gedankeninhalte aus mir selbst kommen, autarke Eigenproduktion, ein Traum, Rumspinnerei in luftleerem Raum. Wenn es jetzt aber einen Inhalt gibt, der meine Denkfähigkeiten dermassen übersteigt, dass er keinesfalls von mir selbst produziert sein kann, dann muss er von etwas ausserhalb meiner kommen. Dann wäre meine Isolation beendet, mein Denken wäre nicht mehr alles, was es gibt.

Nehmen wir mal irgendwelche unendlichen Mengen. Die Menge der natürlichen Zahlen beispielsweise, sowas habe ich als Gedanken im Kopf. Kann ich mir diese Menge nur ausgedacht haben? Selbst wenn ich unendlich lang leben sollte und jeden Tag nichts anderes mache als zu zählen, eine natürliche Zahl nach der anderen, Klötzchen für Klötzchen, und angenommen, ich würde dabei niemals wahnsinnig werden, ich käme dennoch nie zur ganzen Menge der natürlichen Zahlen. Sie wäre nie fertig. Jeden verdammten Tag meines grausam endlosen Lebens hätte ich nur eine beschränkte Anzahl von Zahlen durchgeleiert. Wenn natürliche Zahlen nur mental events sind und nicht ausserhalb meines Kopfes existieren, dann gibt es nur endlich viele von ihnen. Die Menge der natürlichen Zahlen wäre dann zwar potenziell unbeschränkt, aber faktisch bloss endlich – ihre Grenze wird nur immer weiter hinausgeschoben. Die Scholastik und die moderne Mathematik sprechen in dem Falle von "potenzieller Unendlichkeit" (indefinitum), im Gegensatz zu "aktualer Unendlichkeit" (infinitum = fertig existierende Unendlichkeit, in der alles als Ganzes zusammen ist). In der Mathematik gibt es daher die Finitisten, die sagen, es gibt bloss endlich viele mathematische Objekte in Form von Gedanken und jede Unendlichkeit ist nur potenziell, wohingegen die Platonisten sagen: Mathematische Objekte existieren ausserhalb unseres Kopfes und es gibt derer aktual unendlich viele. Sie wären aber stets nur unter einer bestimmten Hinsicht aktual unendlich, unter anderen Hinsichten aber endlich (z.B. unendlich in einer Dimension, in einer anderen nicht).1 Das kann man jetzt mit allen Formen von unendlichen Klassen durchspielen, mit überabzählbar-unendlichen Kontinua, unendlichen Kardinalzahlen, transfiniten Klassen, etc.

Potenzielle Unendlichkeit ist eigentlich endlich und immer durch etwas Grösseres überbietbar. Die Ursache potenziell unendlicher Gedanken kann mein endliches Denken alleine sein, dafür brauche ich keine äussere Ursache. Mathematische Unendlichkeiten kann ich mir nur zusammengesponnen haben.2 Was ist aber jetzt mit einem Gedankeninhalt, der per se unüberbietbare aktuale Unendlichkeit und Unendlichkeit in jeder Hinsicht besagt? Das ist der Gottesgedanke (das "Absolut-Unendliche", wie ihn der Mathematiker Georg Cantor nannte). 'Gott' bedeutet die Totalität aller Unendlichkeiten, die alle abstrakten, möglichen und realen Universen in eminenter Weise in sich enthält, er ist die Vollkommenheit aller Vollkommenheit, pure Perfektion, absolute Aufgipfelung aller positiven Sachgehalte, das transzendent-unendliche Sein, das absolut Unüberbietbare, das Hen.3 Woher stammt dieser Gedankeninhalt letztendlich? Kann er, wie Feuerbach sagte, eine blosse Projektion unseres im Vergleich dazu verschwindend kleinen, beschränkten Denkens sein? Für Descartes ist diese Annahme absurd. Die Gottesidee muss ihre Ursache in einer extramentalen Realität haben, die dieselbe Seinshöhe hat wie der Gedankeninhalt.

Vom Fleckenteppich der Historie zum transfiniten Gedankenknaller. Hier ist man fast im Herzen des cartesischen Gottesbeweises. Aber nur fast. Ich glaube, dahinter steckt nochmal ein Tiefenargument, das sich im Text nur verstreut findet, aber m.E. die eigentliche Antwort auf den universalen Zweifel der 1. Meditation ist. Doch dazu nächstes mal, sonst geht dieser Beitrag noch ad indefinitum.

1) Z.B. ein Abschnitt Nm,n = {k ε N: m≤k≤n} der natürlichen Zahlen ist endlich, während der gleiche Abschnitt unter reellen Zahlen unendlich wäre, da sind dann noch überabzählbar-unendlich viele Zahlen reingestopft. Man kann unendliche Zahlenmengen einander aufsteigend einverleiben, die natürlichen Zahlen N in die rationalen Q, diese in die reellen R, und R in die komplexen C = R2, C in die Quaternionenalgebra C2 = R4 und die in die Cayleyschen Zahlen R8.

2) Auch eventuelle physikalische Unendlichkeiten wie die von Raum und Zeit kann ich mir zusammengesponnen haben. Empirische Erfahrung von Raum und Zeit ist stets nur endlich. Es gibt keine Sinneserfahrung vom Unendlichen.

3) Also nicht einfach nur die Allklasse, die quasi nur ein Haufen aller Dinge ist, dem aber die perfectio pura der vollkommenen Einheit abgeht.

121 von 229 Seiten

Ruben Schneider / Dauerhafter Link / Kommentare (1) / Buch kaufen und selber lesen


20.11.2007 / 22:20 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Werbepause


Das hat mit Descartes jetzt fast nichts zu tun.
René Descartes ist nicht da. Er ist in der U-Bahn liegengeblieben, und ehe sein Lesemaschinenleser dies bemerkte, waren die vollautomatischen Türen des Untergrundzuges schon wieder ins Schloss gefallen und das Buch wurde unter Getöse in den dunklen Tunnelschlund hineingezogen.

Darum erfolgt nun abwechslungshalber der Blick in ein anderes Buch, um mich nicht dem dieser Tage umgehenden Vorwurf des Untätigseins auszusetzen. Ich bleibe auch möglichst themennah, also zog ich heute Nachmittag aus den Regalen der Universitätsbibliothek wach und zielsicher eine Monographie aus dem Themenkreis "Cartesische Philosophie" heraus. Auf dem Heimweg merkte ich, dass es sich um ein hier abgebildetes Taschenbuch über deutsche Geschichte und bei näherer Betrachtung sogar über den "Deutschen Bund im europäischen Staatensystem" handelte. Nun. Das ist ja ebenfalls ein wichtiges Thema. Meine historische Landkarte gleicht nämlich einem halbherzigen Bombenteppich, ein leeres Feld mit vereinzelten Einschlägen, die ungefähr präsente Ereignisse in der Weltgeschichte darstellen: Das bewegende Ende des Pleistozän, der Niedergang von Byzanz, die nützliche Erfindung des Rades, des Schiesspulvers und des Grammophons, die Französische Revolution, der Tod von Reichspräsident Hindenburg, die Explosion des Zeppelins Hindenburg, um nur die Mehrzahl mir bekannter Daten zu nennen.

Also, Wiener Kongress, 1814/1815. Man liest gleich am Anfang klangvolle Aussenministernamen, Klemens Lothar Wenzel von Metternich, Robert Steward Marquess of Castlereagh, Karl August von Hardenberg. Diese Herren agierten nach den napoleonischen Kriegen, als es – wie so oft in der Weltgeschichte – um die Neuordnung zerrütteter Neuordnungen ging. Die Devise lautete vernünftigerweise: "Richtig gezogene Grenzen, das ist die beste Friedensgarantie", im Gegensatz zu unverbindlichem Herumvertrauen in die Ortskenntnis blaublütiger Landesherren – eine Devise, die nicht nur der russische Zar als persönlich ziemlich kränkend empfand. Sympathischer ist da Fürst Metternich, sein diplomatisches Geschick entfaltete sich offenbar vornehmlich auf Bällen, Konzerten, in Damenzimmern und Herrensalons. Polen und Sachsen sollten – wie auch so oft in der Geschichte – zwischen Russland und Preussen zerteilt, eingereiht und unterjocht werden. Diplomatengeschacher, beleidigte Kaiser, entnervte Staatsminister, militärisches Säbelrasseln, und: Vielfarbige, multikulturelle Friedensdemonstrationen in Österreich, schon 1815! Ich muss deutlich mehr Geschichtsbücher lesen.

Soweit also die ersten zehn Seiten dieses bildenden Buches. Ungefähr in der Mitte finden sich Lieder. Morgen bestelle ich aber einen neuen Descartes.


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