01.07.2011 / 11:00 / Angela Leinen liest: Klagenfurttexte / Viele lesen: Klagenfurttexte 2011

Unter Räubern

Ich bin müde.
Ich wollte gestern einmal früher schlafen gehen, mein Rhythmus ist anders, ich bin Eule, aber um viertel nach sechs muss ich aufstehen, will ich keine Rabenmutter sein. Nachts als Eule schlafen gehen und am Morgen als Lerche aufwachen, das wär's.
Nur noch ein paar Seiten lesen. Ich schaltete das Internet aus und den Fernseher nicht an, liess mit einem Zischen die Luft aus einer Dose Erdnüsse und warf ein paar Reste in den Mixer. Viel Eis, ein paar gefrorene Himbeeren, Alkohol, Minze, Zitronensaft, etwas Zucker. Interessant: Das wurde über Stunden nicht flüssig. Praktisch: Als ich das Glas umwarf, richtete das Getränkehäufchen keinen Schaden an umliegenden Gerätchen und Papieren an und musste nur wieder ins Glas gefegt werden.
Nur noch ein bisschen lesen, dann ins Bett.

Die bisher gelesenen Kandidatenbücher konnte ich an jeder beliebigen Stelle (zum Teil sehr kurz nach dem Öffnen) schliessen und hatte nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Anders war es mit "Pascolini" von Maximilian Steinbeis. Bei Bill Bo, der letzten Bande, mit der ich zu tun hatte, spricht jeder Räuber einen anderen Dialekt. Die Bande von Hias Pascolini ist homogener, ihr gehören praktisch alle Katholiken des bayrischen Ettengrub an. Die Fremden, die Protestanten, die Oberpfälzer und Franken, die gehören nicht dazu.

Erzählt wird aus der Sicht von Camilla Friedmann, zu- und wieder weggezogen, evangelisch, heute Strafverteidigerin, die als Kind mit Schwester Marina und Mutter eher zufällig zwischen die Fronten gerät.
Es gibt Helden, gute, böse und fade, man zertrümmert Nasenbeine, schiesst auf Minderjährige, sprengt Staatssekretäre in die Luft und knüpft junge Polizisten auf. Wunderheiler, Drogentote, Vergewaltigung, Separatismus, Volksjustiz. Jede Menge strammer Waden. Der Tennisclub als Versammlungsstätte der Protestanten – später Hauptquartier der Gegenarmee. Ich las, bis ich den Kampf verlor. Heute morgen, als ich die letzten 30 Seiten las, hatte ich allerdings den Verdacht, letzte Nacht ein, zwei Morde verschlafen zu haben.

Ich überschlage die Automatische Literaturkritik und finde (Blick getrübt durch haltlose Gutfindung) 8 Pluspunkte und keinen Minuspunkt, trotz Bodycount-Abschaffung. War alles so aufregend, dass ich auf Minuspunkte nicht achten konnte. Moni schrieb auf gedankenträger von Klischee-Adjektiven, schlechten Synonymen (Wolf-Schneider-Minuspunkt) und überbordenden Beschreibungen, und alles ihre Beispiele stimmen natürlich, auch wenn ich fand, dass die Sache mit dem Flügel das Umfeld treffend darstellte. Die Nase, das "freundliche Organ", nuja, aber die Haare vom Hias sind "ein dichtes lockiges Kälberfell", und darunter kann ich mir mal was vorstellen. Moni stieg auf Seite 68 aus, ich überflog die Beschreibungen, wie ich es immer mache mit Beschreibungen und fand die Geschichte grossartig. Keine Langeweile.

Schlimm aber: Es ist für mich nicht vollständig unvorstellbar, dass so etwas in Bayern noch neulich passiert sein könnte.

Maximilian Steinbeis liest auf Einladung von Burkhard Spinnen. Er ist Jurist und schreibt das Verfassungsblog, das ich gleich besuchen werde, um etwas über die Verfassung Islands zu erfahren. Auf sein Videoportrait werden Minuspunkte herabprasseln. Sein erstes Buch "Schwarzes Wasser" gibt es zur Zeit ab 233,47 Euro bei Amazon Marketplace. Indiziert?