29.06.2011 / 17:05 / Angela Leinen liest: Klagenfurttexte / Viele lesen: Klagenfurttexte 2011

Herzkasper (1-157)

Julya Rabinowich, in Sankt Petersburg geboren, als Kind schon nach Wien gekommen. Finde ich im Video sympathisch, in diesem Interview auch. Da erwähnt sie ein Interview im Standard und die Kommentare dazu. Verlinkt, weil mir dieser Kommentarton beim Standard schon mal aufgefallen ist. Ist das Österreich? Gibt es das hier auch bei eigentlich seriösen Portalen? Sagt eigentlich noch jemand "Portale"?

Ist der ORF daran schuld, dass Autoren in diesen Protraits so oft in Kaffeehäusern andere Leute belauschen? Sitzen in Österreich die Autoren in Kaffeehäusern und lauschen und in Deutschland die Autoren im Café und faulenzen?

Ich habe gelesen

Herznovelle, Julya Rabinowich

Das Titelbild gefällt mir, dieses mohairgestrickte Herz, das erinnert mich an den gestrickten Uterus aus dem Geburtsvorbereitungskurs, aus dem man eine ziemlich naturgetreu hässliche Embryopuppe winden konnte.

Es gibt noch mehr, was mir gefällt: Die kleinen EKG-Kurven zwischen den Abschnitten. Dass ich ein neues Wort gelernt habe ("greigefarben", das muss ich nicht kennen, das hat erst Giorgio Armani erfunden, ist es das, was früher "Kitt" hiess?). Ich glaube auch die Sprache, ganz originelle Bilder (manche etwas umständlich vorzustellen, Sorgen als Matrjoschka-Puppen, hm), sehr sorgfältig, gerade so ungewöhnlich, dass es noch nicht nervt.

Die Geschichte: Nach einer Herzoperation dreht die Ich-Erzählerin ab, gerät in Lebensretter-Liebes-Stalking-Wahn gegen den Chirurgen, lässt sich mehrmals wieder ins Krankenhaus einweisen und kehrt am Ende in ihren langweiligen Haushalt zu ihrem langweiligen Mann zurück.

Aber.

Ich hatte es an einem Nachmittag durch: Alles, was ich für Traumszenen hielt (ein paar vielleicht zu Unrecht), habe ich ausgelassen. Ich habe nämlich eine Traumallergie, gegen literarische Träume. Meine eigenen Träume sind dramaturgisch hochwertig und psychologisch schlicht, auch der Horrorstreifen vom blutigen Überfall einer gewalttätigen Rotte Pariser Vorstadtjugendlicher auf einen Campingbus, den ich träumte, als ich vorige Woche in einer Pariser Vorstadt in einem Campingbus übernachtete (das Opfer war ich, das kriegt kein Spielfilm hin). Die Frau in dem Buch träumt aber immer von diesem Arzt, an den sie auch wach ständig denkt. Ich mag Träume in Büchern nicht. So ist das eben. Dieses ganze Psychodings finde ich besser an wachen Menschen dargestellt.

Auch nur überflogen: Die lyrischen Passagen. Die ganze Herz-Metaphorik. Weil der Arzt ihr Herz in der Hand hatte, ist er jetzt ihr Held, ok. Aber Lyrik nicht mein Ding. Nicht so.

Und noch: Ich mag die Figur nicht. Nicht, weil sie irre wird, sondern wie sie ist, wenn sie nicht irre ist. Dass sie irre wird, ist nachvollziehbar aber dann auch schon das Interessanteste an ihr. Ihr soziales Leben besteht aus 1 Mann (Bernhard, Freund regelmässiger Mahlzeiten und Überstunden), 1 Freundin (Carla, überdrehter Gegenentwurf zur Ich-Erzählerin) und 1 Mutter. Kinderwunsch? Hm, keine richtige Meinung. Arbeit, Kollegen, Freunde, Leidenschaften? Ok, nachvollziehbar, dass sie sich voll auf den armen Arzt stürzt: Ist ja sonst nichtsl los in ihrem Leben.

Für Leute ohne Traumallergie, die mehr Verständnis für die Kranke aufbringen als ich, warum nicht? Kein Urteil von mir. Das ist wie mit Frankfurter Kranz: Kriege ich nicht runter, erkenne aber sowohl die Leistung des Konditors als auch die Berechtigung seiner Existenz an.