27.06.2010 / 09:42 / Viele lesen: Klagenfurttexte 2010

Priesterin des orangen Kürbisses

Verena Rossbacher, "schlachten. Ein Alphabet der Indizien." (vorgeschlagen von Burkhard Spinnen)

Ich hatte den Anblick von Frau Rossbacher in den letzten Tagen immer genossen: Die Dame kleidete sich auffallend und bunt, in schlanke, exotische Gewänder, über dem Rücken ihr langer Zopf – eine mit Selbstbewusstsein auffallende Erscheinung.
Über ihren Vorstellungsfilm hatte ich schon viel gehört, meist von Kopfschütteln begleitet. Selbst fand ich das Geblödel, in dem sie selbst gar nicht auftauchte, erfrischend.
Ganz in Schlicht und Schwarz, das Haar zu einem kindskopfgrossen Knoten im Nacken gebunden, sass Verena Rossbacher dann am Tisch und las – wie ich es noch nie in einer Lesung gehört hatte. Fast ohne Wortgrenzen säuselte und raunte sie mit einem Lächeln im Gesicht und mit Ganzkörpereinsatz – eine beschwörende Priesterin.
Der Text klang magisch. Assoziationsketten aus dem Moment und seinem Handeln wie in Ulysses. Andere Ketten und Bilder, die sich aus dem Blick aus dem Zugfenster ergaben. Sie führten scheinbar in beliebige Befindlichkeiten, ergaben dann aber doch in vielen Mosaiksteinen die Erinnerung an ein Gemälde, in das tief eingetaucht wurde, dann schlugen die Fragmente eine Brücke zur griechischen Mythologie und alles wieder zurück. Irgendwann schälte sich heraus, dass diese Welle an Assoziationen nur eine ganz besonders unangenehme und schuldbeladene Erinnerung überdecken sollten, und so entstand zusätzlich eine gewisse Spannung. Eine überbordende, barocke Fülle an Eindrücken und Erinnerungketten entfaltete sich in Rossbachers Beschwörung, und mir machte erstaunlicherweise gar nichts aus, dass ich keine Geschichte erzählt bekam. Mir gefiel das hemmungslose Weiterdenken von Bildern (ich werde wohl nie wieder den roten Faden verwenden können), das dennoch eine Struktur hatte, und sei es nur die äusserliche des Alphabets, dessen Einzelbuchstaben immer wieder Absätze bildeten.
Andererseits: Diese Textsorte ohne Grammatik ist beim Selbstlesen ein Gewaltakt; ich hätte ihn, wie ich beim anschliessenden Blick in den Ausdruck feststellte, nicht länger als drei Seiten lang durchgehalten. Würde mir aber jederzeit und mit Vergnügen mehr davon vorraunen und -säuseln lassen.

9 von 14 Autoren

die Kaltmamsell / Dauerhafter Link