26.06.2010 / 13:35 / Viele lesen: Klagenfurttexte 2010

Schlüpferfragen

Freitag, 13.30 Uhr, Judith Zander liest: Dinge, die wir heute sagten.
Gestern war Sextag in Klagenfurt. Donnerstag: Überhaupt kein Sex. Ha, traut sich wieder keiner. Freitag aber: "Sie liegt aufgebreitet da wie ein geöffneter Brief", und dann geht's los, im ersten Text des Tages (Thomas Ballhausen, "Cave canem"), am Ende des Lesetages jede Menge Vergewaltigung (Josef Kleindienst, "Ausflug"), ein Text, aus dem ich aussteige, als das Opfer nach der ungefähr dritten Vergewaltigung "missmutig" dreinschaut.
Den Anfang der Lesung von Judith Zander verpasse ich. Drücke mich noch im Garten herum und suche die Puderfrau von 3sat, weil ich sie bitten will, mich professionell wieder zu entpudern. Aus dem Geleiere, das aus dem ORF-Theater nach draussen übertragen wird, lösen sich die Worte "Leere", "Langeweile", "Desinteresse" – ist das das Thema des Textes? Die Autorin liest, als mache ihr Text sie sehr müde und sehr traurig. Ich habe den Text in der Hand und vertage, weil ich gerade sehr wach und fröhlich bin.
Den Anfang lese ich aber doch: "Als du endlich aufstandest, verwirrte es dich am meisten, deinen Schlüpfer noch an dir vorzufinden." Das ist, finde ich, ein ziemlich guter erster Satz, man erfährt sofort unaufdringlich, dass ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat und bekommt erste Hinweise auf dessen Art und Güte. Ausserdem mag ich das Wort Schlüpfer. Man sollte viel öfter Schlüpfer sagen. Unterhose, Slip, Höschen, Schlüpfer, Schlüpfer, Schlüpfer.
Jetzt ist Samstagmorgen, fast halb zehn, Frühstück gibt es in meiner Frühstückspension bis neun, ich kenne es nur aus Erzählungen anderer Bewohner. Um zehn liest Peter Wawerzinek.

Theatercafé, Klagenfurt

Der Tag gestern lief nach der letzten Lesung aus mit Augustin, Strandbad, Fussball und nochmal Augustin. Gegen eins ziehen wir weiter ins Theatercafé. Die Einrichtung des Cafés stammt ebenso wie seine Bewohner (vor der Theke) aus den fünfziger Jahren, über dem Eingang ist eine Vitrine mit dem grossen Brockhaus (krass: von Z bis A sortiert, hebräische Ordnung?), eine ältere Frau sitzt allein an einem Tisch mit einem Eisbecher und einer Frauenzeitschrift. Später zum Ausmarsch legt Wirtin Veronika "The Dowland Project" auf – Musik, zu der ich sofort meinen Kopf in den Schoss einer Frau betten und einschlafen will. Kein Sex. Um drei bin ich im Pensionszimmer, Judith Zanders Text liegt auf dem Bett, ich lege mich daneben.
Hilft ja nichts: Ich werde diesen Text heute nicht lesen, rate kein bisschen ab, die Sache interessiert mich schon, aber: Heute lesen noch vier. Ich werde es gerade rechtzeitig ins Theater schaffen. Um der Autorin nicht Unrecht zu tun, sage ich einfach, was vermutlich im Text steht (aufgeschnappt aus der Jurydiskussion, mitbekommen beim Durchblättern): 16-jähriges Mädchen, 70er Jahre, ländliche DDR, wird schwanger. Jury diskutierte Varianten: Er vergewaltigt sie, sie ihn, Samenraub. Du-Erzählung. Wer ist ich? Könnte das Kind sein, das aus der Gegenwart heraus erzählt, ist ja ein Romanauszug. Lang verheimlichte/verdrängte Schwangerschaft, Kind ist der Mutter fremd, Brustentzündung.

5 von 14 Autoren