24.06.2010 / 19:49 / Viele lesen: Klagenfurttexte 2010

"Mit weit ausholenden Schritten..."

Klagenfurt, Bachmannpreis 2010, es ist so weit. Erster Text des Bewerbs: Sabrina Janesch, Katzenberge. Wir befinden uns in Schlesien. Männer sehen sich blinzelnd um, vom Staub verschmutzte Haare wirken grau, knochige Schultern, dampfende Erde, fremder Geruch von Beton, jemand meldet sich mit leiser Stimme, ein anderer streckt seine Nase in die Luft.

Vom Wiesenschaumkraut übersäte Felder. Konturen von Menschen in der Ferne verschmelzen fast mit dem Hintergrund. Hüte sitzen auf den Köpfen wie hässliche Tierchen, Rufe füllen jeden Winkel der Siedlung und der Felder, bis in den Wald, in die Flur und bis hinauf in den Himmel. Es wird an Toren gerüttelt, sich brüllend und schnaufend den Eingängen der Häuser genähert.

Einer hört sein Blut in den Ohren rauschen, sein Herz schlägt gegen den Brustkasten, er umschliesst die Klinke mit seiner Hand, fühlt die Kühle des Metalls. Hinter der Pforte lauert ein Brombeerstrauch. Ein Fenster ist sperrangelweit geöffnet, Schilf wiegt sich, Balken ächzen. Auch nachdem es ihm gelungen ist, das verzogene Holzfenster zu verriegeln, kann er kein Auge zumachen, mit fahrigen Händen streicht er sich über den Kopf.

Unter seinen Füssen quieken die Dielen, als sei er auf ein lebendiges Tier getreten. Dann die Erkenntnis: Herr Dietrich hat sich mit Hut und Krawatte aufgehängt. Mit einem dumpfen Laut fällt die Leiche zu Boden.

Prädikat: Der neue Juror Hubert Winkels stellt die ebenso bittere wie treffendste Diagnose: Literatur aus dem Setzkasten.

Streitbare Praxis, an die mich der Text erinnert: auf dem Oktoberfest in Chicago hing im Zelt neben den Flaggen von Niedersachen und anderen Bundesländern auch die Flagge von Schlesien.

1 von 14 Autoren

Monika Scheele Knight / Dauerhafter Link / Kommentare (2)


Kommentar #1 von Ein Zaungast:

Da bin ich anderer Meinung: "Katzenberge" ist bisher der einzige Text, der Inhalt hat und bei dem der Leser merkt, der Autorin liegt etwas an der Geschichte.
Bei den anderen Texten hatte ich das Gefühl, als wüssten die Autoren selber nicht, worüber sie schreiben wollten. Max Scharniggs Text fand ich auch nicht schlecht.

25.06.2010 / 15:31

Kommentar #2 von Monika Scheele Knight:

Ich glaube auch, dass Frau Janesch wirklich etwas an der Geschichte liegt. Ich würde jetzt auch nicht allen anderen Autoren den Vorwurf machen wollen, dass das bei ihnen nicht so ist: bei manchen ja, bei manchen nein.
Ich habe es zum Beispiel auch so empfunden, dass Christopher Kloeble etwas an seiner Geschichte liegt, und zwar etwas gut gemeintes. Allerdings ist halt die Frage, wie das literarisch umgesetzt wird, und wenn man so behäbig erzählt wie hier in "Katzenberge", mit all den ächzenden Dielen etc., dann ist das ein Problem. Hat natürlich was sehr Elegisches, aber das muss man mögen, ich mag das nicht.

25.06.2010 / 18:39