27.09.2008 / 00:58 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Blasenplatzen gestern und heute

Andernorts kündigen Investmentbanker und Präsidentschaftskandidaten an, wegen der derzeitigen Finanzkrise aus ihrem jeweiligen Geschäft auszusteigen, um hintenrum dennoch weiterzumachen – diesem klugen Beispiel folgend, steigt nun auch die Lesemaschine aus ihrem Gewerbe aus, um nichtsdestotrotz hintenrum weiterzulesen: Aus gegebenem Anlass an dieser Stelle nicht mit Descartes, denn ich möchte mich dieser Tage über jene "Great Depression" informieren, die zur Zeit in aller Munde ist und uns offenbar als Neuauflage wieder menetekelnd über den Köpfen baumelt.

Zwar in nicht ganz so neuer Auflage, aber dennoch überzeugend, fiel mir heute in der Bibliothek nebenstehendes Büchlein in die Hände. Der Schwarze Freitag. Es handelt sich um eine bündige, wirtschaftshistorische Darstellung der Hyperinflation der Jahre 1914 – 1923 und des Börsenkrachs einschliesslich des anschliessenden Zusammenbruchs der Weltwirtschaft von 1929 – 1933. Eine zufällig aufgeschlagene Seite liest sich bereits sehr vielversprechend:

"Sämtliche Guthaben bei Banken und Sparkassen wurden durch die Umstellung 1 Billion Mark = 1 Reichsmark vernichtet. So schrumpften bei der Sparkasse Frankfurt a.M. die Sparguthaben von 8,12 Billionen Mark, die sich auf 153 423 Einleger verteilten, über Nacht auf ganze 8120 Reichsmark zusammen." (S. 56)

Ebenso wie seinerzeit die Reichsmark und teils auch über Nacht, ist die Zahl derer geschrumpft, die diese bizarre Geldwertvernichtung noch leibhaftig erlebt haben. Am Stichtag das Kilo Roggenbrot für 233 Milliarden Mark oder für eine Trambahn-Fahrkarte mal 150 Milliarden Mark hinblättern – wir müssen es uns selbst ausmalen, es klingt absurd nach Blingbling und dicker Hose, aber es wird eher dem Erlebnisgehalt gleichen, wenn man bei Lidl oder Aldi fiebernd auf Billionen-Schnäppchenjagd geht (wenn Lidl und Aldi dann überhaupt noch existieren).

In Zeiten wie diesen, in denen böse Blasen und Unheilkarbunkel eitern und aufplatzen und ihren fauligen Inhalt in die Geldhäuser entleeren, sollte man durchaus einmal den irisierenden Blick von den zu Tale fahrenden Aktienkurven ab-, und einem guten Buch wie diesem zuwenden. Der ganze Talmarsch von der Börsenhausse bis hinab zu Adolf Hitler wird begreiflich nachgezeichnet – zwar auch dort im Anhang jede Menge furchterregend wankender Zahlentürme und purzelnder Kursmarken, aber es beruhigt mich dennoch: Wenn wir wieder mit Schnaps bezahlen können, bin ich ein gemachter Mann.


Kommentar #1 von Frau Grasdackel:

SAP ist von der Finanzkrise bisher in keinster Weise berührt (wahrscheinlich auch hintenherum weitergemacht). In einer Ausschreibung konnten sie sich geben ORACLE und CGI durchsetzen und es werden sehr starke Geschäftszahlen zum 3. Quartal 2008 erwartet. Also Leute, kauft alle SAP-Aktien, ein badisches Unternehmen hält auch was es verspricht.

27.09.2008 / 03:45

Kommentar #2 von Martin Rath (Köln-Mülheim):

Ist ein Menetekel vielleicht ein seidener Faden, der mit einem Schwert an die Wand getackert wird?
Oder schwebt Ruben Schneider beim Lesen jungfrauengleich in der Horizontalen?

27.09.2008 / 12:20

Kommentar #3 von ralf heinritz:

Auch bei dtv, jedenfalls früher einmal, eine konzentrierte sehr gut lesbare Darstellung der 30er Jahre Depression, von einem berühmten Wirtschaftshistoriker, Charles P. Kindleberger.
Es gibt auch einen Aufsatzband von ihm bei University of California Press, frei zugänglich, Texte über Spaniens Finanzpolitik in der frühen Neuzeit,...

29.09.2008 / 15:42