12.08.2008 / 18:10

My mind is a piece of mental shit (181-190)


The third planet of Dune (Bild: hamed, Lizenz.)
Das Ende der Descarteslektüre naht. Darum habe ich Lust, hier nochmal ein richtig übles Ding reinzulassen: Das kartesische Argument für die Wesensverschiedenheit von Geist und Körper in der 6. Meditation. Dieser Beitrag wird eine Meile trockener metaphysischer Wüstensand, schonungslos. Aber ich denke, das lohnt sich, denn es handelt sich dabei um einen echten Klassiker der Philosophy of mind – und ich hoffe, ich bekomme dieses schwierige Zeug wenigstens halbwegs korrekt hin.1

Die erste Feststellung ist auch gleich schonmal nichts saftig Empirisches, sondern eine recht aride Angelegenheit: 'Geist' ist bei Descartes nicht identisch mit Bewusstsein. Das lässt sich vielleicht so klarmachen: Die Selbsterkenntnis der 2. Meditation ist keine "empirische" Erfahrung irgendwelcher Bewusstseinszustände (awareness, Emotionen, Qualia, etc.). Sondern sie ist ein rein geistiger Akt: Die absolut gewisse Existenz des Ich wurde reduktiv und damit indirekt bewiesen. Wer hat denn schon jemals sein Ich unmittelbar erfahren, also nicht nur irgendwelche Bewusstseinsqualitäten, sondern das nackte Ich als solches? Das Ich ist eben nicht als direkte Erfahrungstatsache gegeben wie die sonstigen Bewusstseinsphänomene, sondern seine Erkenntnis ist ein abstrakter, rein geistig-mentaler Beweis, wie bei einer komplett unanschaulichen mathematischen Struktur. Von der habe ich ja auch keine direkten Bildchen oder Erlebnisgehalte im Kopf und wer behauptet, er könne unanschauliche mathematische Strukturen spüren, dem ist grundsätzlich mit Vorsicht zu begegnen. Also: Rein mentale Erkenntnis kann es nur von rein mentalen 'Dingen' geben, denn die Art der Erkenntnis ist bestimmt durch die Art des Erkenntnisobjekts.

Alle grossen philosophischen Probleme haben mit Modalitäten zu tun, das heisst mit Möglichkeit und Notwendigkeit. Die Frage, ob Geist und Körper (neurophysiologische Entitäten oder Ereignisse) identisch sind oder nicht, lässt sich im Rahmen der Modallogik formulieren, einem heftigen formalen Instrument der zeitgenössischen Philosophie: Identität ist eine strikt notwendige Relation. Z.B. ich bin strikt notwendig mit mir selbst identisch und kann nicht möglicherweise etwas anderes sein, etwa ein Stein. Modallogisch gesprochen: Die Proposition ω: 'Geist und Körper sind identisch (G ≡ K)' ist in unserer Welt Wi genau dann wahr, wenn sie in allen logisch möglichen Welten Wj wahr ist, in denen sie existieren und die epistemisch zugänglich sind. Wobei eine "mögliche Welt" eine maximal konsistente Menge von kontrafaktischen Sachverhalten (maximally consistent state of affairs) ist, denen ein Wahrheitswert zuerteilt werden kann. Wumm. Das ist jetzt richtige Philosophensprache, und dann schreibt so ein Philosoph gerne auch solche Formeln dazu auf sein Papier:

M ⊨ □ω[Wi] ⇔ ∀j≠i ∀Wj, G,K∈Wj:[R(Wi, Wj) → M⊨ω[Wj]] für ein Kripke-Modell M.

Sieht gut aus. Anschaulicher gesprochen: Eine mögliche Welt ist eine Art formallogisches Paralleluniversum, ein kompletter Zustand, wie die Welt hätte sein können2, etwa mit völlig anderen Naturkonstanten oder gar Naturgesetzen, solange sie logisch widerspruchsfrei sind. In manchen dieser Welten ist die Erde der Wüstenplanet Dune, in anderen wird der triumphale Empfang der Titanic im New Yorker Hafen gefeiert und die Rückzahlung aller deutschen Kriegsschulden, in wieder anderen ist Beethoven ein Zuhälter und es existieren Zwergsumpfhühner, die der komplexwertigen Integralrechnung fähig sind. Was auch immer. In keiner möglichen Welt aber kann Beethoven ein Klistier oder das Sumpfhuhn eine Atomrakete sein, denn das wäre nicht nur recht albern, sondern auch kontradiktorisch: Beethoven ist so ziemlich notwendigerweise ein Mensch und das Huhn notwendigerweise ein geflügeltes Wirbeltier.

Descartes' Argument besagt nun:
(1) Die mentalen Eigenschaften sind logisch vollkommen unabhängig von den physischen (beide sind vollständig disjunkt und einander sogar kontradiktorisch entgegengesetzt3).
(2) Also gibt es mindestens eine mögliche Welt Wj, in welcher ich nur mit mentalen, nicht aber physischen Eigenschaften existiere.
(3) Wenn es möglich ist, dass ich ohne physische Eigenschaften existiere, dann kommen mir diese Eigenschaften nicht notwendig zu.
(4) Allen Körpern kommen physische Eigenschaften notwendig zu.
(5) Also bin ich nicht mit meinem Körper identisch.

Dasjenige, wovon die mentalen Eigenschaften prädiziert werden (ihr Träger), ist also eine eigenständige Entität, welcher notwendig mentale, aber nicht notwendig physische Attribute zukommen: Der Geist. Es ist somit zumindest logisch möglich, dass der Geist ohne Körper existieren kann, auch wenn das in unserer Welt faktisch nie der Fall sein wird. Damit ist □ω falsch, d.h. Körper und Geist sind nicht identisch.

Der wesentliche Einwand gegen diese Argumentation kommt m.E. von Antoine Arnauld. Er betrifft den Übergang von (2) auf (3). (2) könnte einfach eine inadäquate Abstraktion sein, wie es z.B. logisch möglich ist, sich einen ausdehnungslosen Punkt zu denken. Aber daraus folgt nicht, dass es in der Realität ausdehnungslose Punkte geben kann (Experiment: Zeichnen Sie mal einen ausdehnungslosen Punkt). Ausdehnung gehört vielleicht dennoch notwendig zum realen Punkt dazu. Genauso könnte die logische Möglichkeit der Existenz des Geistes ohne Körper einfach eine unvollständige Abstraktion sein, und in Wahrheit geht's nicht ohne Körper.4 Aber Descartes sagt: Nein, die Erkenntnis des Geistes ohne Körper ist vollständig. Wir erkennen unseren Geist zwar nicht umfassend in allen seinen Einzelheiten (cognitio adaequata), aber wir erkennen seine Wesensattribute vollständig (complete intellegere), da fehlt nichts. Und das ist der ganze Knackpunkt an seinem Argument.

Als Fazit kann man jetzt vielleicht sagen: Der ganze dicke Sack voller Bewusstseinsphänomene wie Qualia u.a. ist für Descartes körperlich (mit)verursacht. Das rein Mentale aber, also der Teil unseres Oberstübchens, der abstrakte Beweise führt und Wissenschaft betreibt, der ist nicht einfach platt identisch mit ein paar Kilogramm funktional organisiertem Eiweissschleim. Anders gesagt: Das eigentliche Leib-Seele-Problem beginnt erst richtig beim Phänomen der Wissenschaft. Angenommen, es gibt eine neurophysiologische Theorie T1, die alles Mentale komplett auf Eiweisschleim reduziert. Reduziert sie sich dann auch selbst komplett auf Eiweisschleim? Sie müsste alle wissenschaftlichen Prädikate wie "ist beweisbar", "es folgt, dass", "es erklärt", "bezieht sich auf", "ist möglich" etc., auf Schleimaktivität zurückführen. Dazu bräuchte es eigentlich eine Metatheorie T2, die das leistet und selbst wieder wissenschaftliche Prädikate enthält. Deshalb braucht es dann eine Theorie T3, die T2 auf Eiweissschleim reduziert, und dann eine Theorie T4, die T3 usw. Ein infiniter Progress. Oder vielleicht ist es auch einfach nur ein fehlerhafter Zirkel. Auf jedenfall aber mental shit.
______

1 Wer's wirklich genau wissen will, schaut nach in: Godehard Brüntrup: Das Leib-Seele-Problem, 3.Aufl. 2008.

2 Im nominalistischen Possibilismus sind diese möglichen Welten sogar als real existierend angenommen und die Wirklicheit ist indexikalisch: Für jede dieser Welten ist die eigene aktuell existierend, die anderen nur möglich. Für den platonistischen Aktualismus dagegen sind mögliche Welten nur Weisen der Beschreibung, wie unsere aktuelle Welt hätte sein können.

3 Ein Beispiel für die Entgegensetzung: Das Mentale ist privat, das physische ist nicht privat. Hirnströme sind beobachtbare 'public entities', sie sind komplett in der 3.-Person-Perspektive beschrieben, während mein Ich sich gerade notwendig dadurch auszeichnet, dass es privat und 1.-Person-Perspektive ist. Niemand anderer kann meine Perspektive einnehmen und mein Ich unter meiner 1.-Person-Perspektive beschreiben, erst recht keine objektiv-intersubjektive wissenschaftliche Theorie.

4 Man nennt den Übergang von (2) auf (3) in der Literatur auch gerne einen Übergang von einer Modalität 'de dicto' zu einer Modalität 'de re'. Erstere bezieht sich auf das, was uns in einem bestimmten epistemischen Zustand als möglich erscheint, letztere auf das, was real möglich ist.

Ruben Schneider / Dauerhafter Link / Kommentare (19)


Kommentar #1 von Andreas:

Genau dieser infinite Regress von Theorien braucht die materialistische Position nicht zu widerlegen. Der unendliche Regress könnte sich irgendwann schliessen und zu einer auf sich selbst bezogenen "seltsamen Schleife" werden, die der Schlüssel zur Hervorbringung mentaler aus physikalischen Zuständen sein könnten. Klingt vielleicht ein bisschen gewagt, ist aber im wesentlichen die Position von Douglas Hofstadter, nachzulesen in "I Am a Strange Loop" (Hofstadter ist vor allem durch "Gödel, Escher, Bach" bekannt geworden). Hofstadter schiesst vielleicht etwas übers Ziel hinaus, aber ich halte schon die erste dieser 5 Schritte von Descartes für fragwürdig.

15.08.2008 / 21:51

Kommentar #2 von RKS:

Nun, das Ziel, welches sich Ruben Schneider selbst gesetzt hatte, war ja, den strengen Denker Descartes ohne moderne Denkmittel und Denkfiguren aus seinem historischen Kontext heraus ernst zu nehmen und zu versuchen, ihn so zu verstehen, als wäre man sein Zeitgenosse. Ich denke, Herr Schneider ist dieser Aufgabe treu geblieben und dem Sachverhalt gerecht geworden (auch wenn er den Meister Descart zuweilen mit modernem Jargon "gepiesackt" hat). Insoweit scheint mir die paradigmatische Wende, die das Denken und Suchen von Descart ja wohl unbestritten darstellt, bestätigt zu sein, (wenn ich auch, für mein Teil, bei einigen Schritten der logischen Beweisführung schlicht überfordert bin).
Was das Denken von Douglas Hofstadter anbelangt, ist seine Figur des Strange Loop, also der strengen Schleife, von modernen Denkern gern angenommen worden: Man fürchtet sich heute nicht, wie früher, vor infiniten Regressen oder Zirkeln, die man folgerichtig nicht mehr vitiös nennt, sondern einfach als "fruchtbar" ansieht, man kennt genügend Mittel, Paradoxa zu entparadoxieren, und der Begriff des (sich einstellenden) Eigenwertes bei (schwer berechenbaren) rekursiven Funktionen ist auch geläufig; all dies lässt es schon langsam plausibel erscheinen, dass Operationen reiner Selbstreferenz durchaus reine reale Werte hervorbringen können: Die unbestritten gegebene physikalische, also "mechanische" Tätigkeit des menschlichen Gehirns (elektrische plus chemische Signalabläufe) als Operationen der res extensa produziert ja offensichtlich das Phänomen der res cogitans, ohne dass sich moderne Denker genötigt sehen, den gesetzten Dualismus Descartes' zwischen den beiden "res" als ZWEI VERSCHIEDENE Entitäten nachzuvollziehen. In den Worten meines Vorredners: Aus physikalischen Strukturen entstehen mentale Zustände, die man dann am schlichtesten Bewusstsein nennt, man dürfte aber ohne Schade auch Geist sagen oder gar Seele.

15.08.2008 / 23:48

Kommentar #3 von Andreas:

Da bin ich völlig einverstanden, dass Ruben Schneider die Ideen von Descartes gut darlegt (ok, um das wirklich zu beurteilen, kenne ich Descartes wohl zuwenig gut). Ich wollte nur ein Fragezeichen setzen hinter die neurophysiologische Betrachtung des Leib-Seele-Problems, die meiner Ansicht nach nicht zu "mental shit" führen muss, jedenfalls nicht, wenn man sich vor diesen seltsamen Schleifen nicht fürchtet. Aber auch Hofstadter hat das Problem natürlich nicht gelöst, aber einige sehr inspirierende Gedanken formuliert, in welche Richtung es gehen könnte.

16.08.2008 / 17:48

Kommentar #4 von RKS:

Lieber "Andreas",
leider ist mir eben hier ein längerer, schon geschriebener Text an Sie weggerutscht und verlorengegangen, weil ich eine Webadresse herbeiklicken wollte und dabei war es dann geschehen.
Ich hatte meine Zufriedenheit formuliert, dass wir beide nicht aneinander vorbeigeredet haben und halbwegs zu einem Konsens gekommen sind. Ein Philosoph bin ich ja auch nicht und kann dem Ruben Schneider nicht das Wasser reichen. Aber er fordert ja immer: ruhig Blut und, bitte, selber denken.
Als Anregung: Klicken Sie doch einmal rein bei der "Luhmannliste", einem entsprechenden Diskussissionsforum der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG und dem Deutschen Forschungsnetz DFN: LUHMANN@LISTSERV.DFN.DE oder gleich ins dazugehörige Archiv: http://www.listserv.dfn.de./cgi-bin/wa?AO=Luhmann&F=P&T=0; für die Liste muss man sich mit der E-mail-Adresse anmelden; das Archiv ist jedem zugänglich; hier läuft gerade ein Thread zum ähnlichen Thema: Körper und Geist, Denken und Sprechen.
MfG

16.08.2008 / 22:26

Kommentar #5 von bjoern:

ohne allzu viel philosophisches Hintergrundwissen mitzubringen: wie wird denn der dargestellte formallogische Zusammenhang der Unterschiedlichkeit der Eigenschaften "der komplexwertigen Integralrechnung fähig sein" und "ein Stein sein" gerecht? Ich erkenne das nicht in der Formel. Anders ausgedrückt, worin begründet sich denn die Unterschiedlichkeit dieser Eigenschaften formallogisch/philosophisch.

17.08.2008 / 16:29

Kommentar #6 von Andreas:

Lieber "RKS"
Danke für den Hinweis mit der Luhmann-Diskussion, da werd ich mich mal ein bisschen vertiefter umschauen, sobald ich dazukimme, ich kannte diese DFG-Foren gar nicht (bin in der Schweiz zuhause). Und Hofstadter ist mir in dem Zusammenhang in den Sinn gekommen, weil ich mir grad einen weiteren seiner Wälzer vorgenommen habe, "Le Ton beau de Marot", ein Wortspiel schon im Titel wie üblich. Aber schön, dass wir uns mehr oder wenig einig zu sein scheinen, ja, selber denken, darauf kommts an, einverstanden, und Philosophen sind wir wohl nur nicht, wenn wir das als Berufsbezeichnung und nicht als Geisteshaltung auffassen. In diesem Sinn!

18.08.2008 / 01:07

Kommentar #7 von RKS:

Lieber "Andreas"
lassen Sie mich bitte wissen, welcher deutsche Titel sich hinter "Le Ton beau de Marot" verbirgt? Ich habe von Hofstadter neben "Goedel- Escher-Bach" nur das "Metamagicum" und die "Die FARGonauten"
Gruss, RKS

18.08.2008 / 13:47

Kommentar #8 von Andreas:

Meines Wissens gibt von "Le ton beau de Marot: In Praise of the Music of Language" nur das englische Original. Schon die anderen Bücher sind ja schwer zu übersetzen, aber bei diesem hielte ich es wirklich für noch schwerer. Es geht nämlich darin gerade um das Problem des Übersetzens, das er anhand einiger Dutzend Übersetzungen ins Englische desselben französischen Gedichts von Clement Marot diskutiert. Und wie immer bei Hofstadter geht es letztlich um Kognition an sich, die Übersetzungsproblematik ist für einfach ein spezielles "Fenster" zu diesem Thema, übersetzen als ein Spezialfall analogischen Denkens. Und "Ton beau" ist auch als "tombeau", Grabstein, zu verstehen, denn seine verstorbene Frau spielt auch eine Rolle...

18.08.2008 / 16:37

Kommentar #9 von RKS:

Schade, für den Moment, aber vielleicht findet sich ja ein Übersetzer und ein Verlag, dieses Ding ins deutsche Sprachfeld hineinzubringen. Französich ist bei mir ganz rudimentär, jedenfalls reicht es bei weitem nicht für die Gedankenhöhe eines Douglas Hofstadter; und für Englisch dürfen die Anforderungen an meine Sprachpraxis – zwei Jahre in England vor vierzig Jahren – auch nicht solche Abstraktionshöhen erreichen. Also warte ich ab.
Zurück zu Descart (damit der Ruben Schneider nicht berechtigt moniert, es werde seine Arbeitsbühne hier zweckentfremdet): Die Luhmannliste ist mit den Themen "Sprechen/Denken/Sprache/SELBST" ziemlich dicht an Descart's Thematik: Dualismus oder Monismus; wer denkt?, das Individuum (= psychisches System) oder die Gesellschaft als Sinnfeld der Gesamtkommunikation? Welcher Rolle kommt hierbei, beim Sprechen, dem Bewusstsein zu?, denn beide, Bewusstsein UND Gesellschaft erzeugen das kommunikative Sinnfeld.
(Ich möchte Sie neugierig machen).
Gruss, RKS

18.08.2008 / 18:22

Kommentar #10 von Andreas:

Ich hab die Luhmannliste immer noch nicht seriös angeschaut, aber eines vorweg: Ich finde es gerade spannend an Blogkommentaren, wie sie auch ein "Eigenleben" entwickeln können und sich dabei mitunter weit vom Thema des ursprünglichen Blogeintrags entfernen. Insofern wäre ich enttäuscht von Ruben Schneider, wenn er sich darüber beklagen sollte, dass sich unsere Kommentare nicht nur um seinen Blogeintrag drehen bzw. gedreht haben.

19.08.2008 / 13:27

Kommentar #11 von Ruben:

ad #1: Was Sie ansprechen, ist die ontologische Seite des Problems, mir ging es im letzten Absatz um die epistemische Seite: Ein infiniter Progress in einer Erklärung wäre einfach eine Verschleierung des Probems. Wenn man eine Erklärung oder Theorie T1 angibt, die das Problem auf eine Theorie T2 verschiebt, und zur Erklärung auf eine Theorie T3 verweist, die das Problem aber schon wieder reproduziert, und dieses Spiel weitertreibt ad infinitum, dann heisst das auf gut deutsch einfach, dass man eben einfach keine Erklärung abgeliefert hat, sondern immer nur weiter vertröstet und sagt, die Erklärung kommt halt auf der jeweils nächsten Metaebene... auf der epistemischen Ebene ist das einfach schofel und deswegen nicht ohne Grund ein klassischer Logikfehler.

19.08.2008 / 14:58

Kommentar #12 von Andreas:

ad #11: Ich bin mit Ihnen einig, dass eine Theorie, die Bewusstseinsphänomene "von aussen" erklärt, ohne über sich selbst Auskunft zu geben, einer weiteren Theorie bedürfte, die genau dies leistet, und so weiter, womit wir in der Tat in einen infiniten Regress kämen. Wenn aber eine Theorie entsprechende selbstbezügliche Elemente (auch) enthielte, könnte dieser infinite Regress eventuell vermieden werden. Als Analogie (nicht mehr, nicht weniger) könnten eventuell Strukturen von der Art der Gödelschen Konstruktionen dienen, dies ist jedenfalls Hofstadters Punkt. Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob sich die Bewusstseinstrukturen wirklich von ihrem materiellen Träger, dem Eiweissschleim also, abstrahieren lassen und etwa in einem Computer nachbauen liesse. Wobei ich jetzt schon wieder auf der ontologischen statt der epistemischen Ebene bin, klar. Aber lassen sich diese beiden Ebenen bei diesem Problem wirklich strikt trennen?

20.08.2008 / 12:43

Kommentar #13 von Ruben:

ad #5: Die Formel bezieht sich auf die Proposition ω = 'Körper und Geist identisch'. Was ich sagen wollte, ist, dass Identität eine strikt notwendige bzw. essentielle Relation ist, d.h. a und b sind identisch genau dann, wenn sie in allen Welten, in denen sie existieren, identisch sind (de-re-Modalität). Deshalb habe ich in der Formel über alle Welten quantifiziert, in denen Körper und Geist vorkommen (R soll da nur diese epistemische Zugänglichkeitsrelation sein). Die Sache mit dem Sumpfhuhn bezieht sich auf den modalen Status von Eigenschaften: Manche Eigenschaften sind notwendig, manche nicht. Es ist nicht notwendig, dass mir die Eigenschaft 'hat in den letzten Tagen zuviel gesoffen' zukommt, hingegen kommt mir die Eigenschaft 'ist Mensch' notwendig zu (eine essentielle Eigenschaft).

21.08.2008 / 14:02

Kommentar #14 von Ruben:

Andreas: Ich dachte eigentlich ganz simpel an das Kompaktheitstheorem, dass eine sinnvolle Erklärung nur aus einer endlich-kompakten Menge von Schritten bestehen darf. Die Frage, ob sich Bewusstseinstrukturen auch auf anderer physischer Grundlage realisieren lassen als Eiweissschleim, finde ich hochinteressant. Wenn Geist und Gehirn identisch sind, sind sie dann token-identisch oder type-identisch? Ist ein Bewusstseinsphänomen A identisch mit einer allgemeinen Gehirneigenschaft B (type-Identität: Immer, wenn ein Wesen A hat, hat es die Eigenschaft B), oder ist es identisch mit einem partikulären physischen Ereignis im Gehirn (token-Identität: Jedesmal, wenn A auftritt, ist es mit einem raumzeitlich einzigartigen Ereignis für sich identisch)? Wenn sie token-identisch sind, dann kann ein bestimmter mentaler Zustand auf der einen Seite identisch sein mit einem Ereignis in unserem Gehirn, aber auf der anderen z.B. auch mit einem Ereignis in einem Organismus, der überhaupt nicht auf Kohlenstoffbasis aufgebaut ist, bei irgendwelchen Aliens etwa. Er wäre multipel realisierbar. Bei einer type-Identität könnten unsere Bewusstseinsphänomene nur vorkommen, wenn auch Typen von Organstrukturen genau unserer Menschen-Bauart vorliegen. Dann wird es extrem schwierig, mit nichthumanoiden Aliens zu kommunizieren, d.h. mit ihnen qualitativ gleiche mentale Zustände zu teilen. Die werden uns dann anschauen wie ein Schwein ins Uhrwerk blickt.

21.08.2008 / 17:08

Kommentar #15 von bjoern:

vielen dank für #13, aber das erklärt nach meinem verständnis noch viel weniger warum, trotz der Proposition ω = 'Körper und Geist identisch', ein Huhn 'komplexwertig rechnen können' (geistige divergenz) aber nicht 'kein geflügeltes wirbeltier sein' (körperliche divergenz) kann. ging es jetzt also nicht darum descartes' ausgangsargument zu formulieren, oder versteh ich was falsch?

22.08.2008 / 01:08

Kommentar #16 von Ruben:

Ich wollte nur illustrieren, was Notwendigkeit im Konzept der möglichen Welten bedeutet: Wenn Körper und Geist identisch sind, dann sind sie es notwendigerweise. Notwendigerweise heisst, dass sie in allen möglichen Welten identisch sind. Genauso wie 'Das Huhn ist notwendigerweise ein geflügeltes Wirbeltier' bedeutet, dass es in allen möglichen Welten ein geflügeltes Wirbeltier ist. Es gibt keine mögliche Welt, in der das Huhn eine Atomrakete ist. Die Zugehörigkeit des Huhns zu seiner Art ist notwendig, sonst wär es kein Huhn. Bei anderen Features wie der Fähigkeit zur komplexen Integralrechnung lässt sich vielleicht irgendeine mögliche Welt finden, in der es auf Integrale gedrillte Hühner gibt, ansonsten ist es aber nicht notwendig, dass ein Huhn komplexe Integrale beherrscht, um ein Huhn zu sein.

22.08.2008 / 01:21

Kommentar #17 von Ruben:

Zugegeben, das Hühnerbeispiel ist arg an den Haaren herbeigezogen. Es gehört vielleicht auch notwendigerweise zum Huhn dazu, dass es keine komplexe Integralrechnung kann. Ich wollte eben nur sagen: Wenn etwas notwendig so ist, dann ist es in allen möglichen Welten so, sei es Identität oder das Besitzen einer Eigenschaft...

22.08.2008 / 01:29

Kommentar #18 von RKS:

Wer sich auf romanhafte Weise mit dem Thema der Parallelwelten und den Möglichkeitsräumen auseinandersetzen möchte: Man lese "Schilf" von Juli Zeh (2007); die Dame ist – auf erzählerische Weise – der Problematik vollauf gewachsen.

22.08.2008 / 20:09

Kommentar #19 von Andreas:

ad #14: Danke für die Unterscheidung zwischen token- und type-Identität, das bringt es wohl auf den Punkt. Und dass eine Erklärung nur aus einer endlichen Menge von Schritten bestehen kann, damit bin ich natürlich einverstanden. Was einen Verweis auf "unendliche" Strukturen natürlich nicht ausschliesst, man denke nur an das Prinzip der vollständigen Induktion – aber das ist rein metaphorisch zu verstehen, ich verstehe von dem ganzen wirklich viel zu wenig, um da irgendeine sinnvolle substanzielle Aussage machen zu können.

23.08.2008 / 18:42