31.07.2008 / 06:37 / Kai Schreiber liest: The Power Broker (Robert A. Caro)

Macht macht mächtig (496-636)


"Give orange me give eat orange me eat orange give me eat orange give me you." – Nim Chimpskys längster Satz. Ob in Robert Moses' längstem Satz auch Orangen vorkamen, ist nicht bekannt.
Als wir Moses verlassen haben, wurde er grade vorausschauend für New Yorks Selbsterwürgung mit Autoschlangen verantwortlich gemacht. Das ist zwar ein angesichts seiner selbstherrlichen Strassenbauprojekte monströsen Ausmasses nicht ungerechtfertigter Vorwurf, aber so mächtig kann ein einzelner Mann doch nun auch wieder nicht sein, dass man ihm allein den Verkehrskollaps eines der grossen Zivilisationszentren anhängen könnte. Und was überhaupt konnte wohl noch Fürchterliches kommen, nachdem schon meilenweise böse Strassen gebaut waren? Das Buch bekam ein Lesezeichen reingeschoben, und einen Ehrenplatz.

Und während der dicke Ziegelstein neben dem Bett Staub ansetzte, wurde ich ihm mehrfach untreu – jedenfalls insofern ein Liebesverhältnis als Metapher fürs Lesen nicht sowohl zu dämlich als auch zu gegenseitig wäre. Unter anderem betrog ich Moses mit der Geschichte von Nim Chimpsky, dem Schimpansen, mit dem die Psychologie der Linguistik heimleuchten wollte. Am Namen, der dem Tier gegeben wurde, kann man sowohl ablesen, dass es gegen Chomskys These nur der Mensch habe die Fähigkeit zur Sprache gehen soll, als auch, dass das Tier eine abhängige Grösse ist, seine Individualität nur von Interesse, wo sie der Veröffentlichung und dem Argumentieren dient. Das Experiment war ein Fehlschlag, mit hunderten affenseits gelernter Vokabeln, aber keiner nachweisbaren Grammatik in ihrer Anwendung. Nach dem Ende wurde das jahrelang in einer Familie an der Upper West Side aufgezogene Tier, das sich selbst für einen Menschen halten musste, dann leidend und depressiv durch Käfig um Käfig geschleift, bis Nim Chimpsky endlich in einem verstarb. An einem Herzinfarkt im mittleren Schimpansenalter, als Inbegriff des ohnmächtigen Entmündigten.

Abgesehen von der Buchempfehlung, die im vorigen Absatz versteckt ist, nützt Chimpsky hier auch als Schablone für Moses, denn zu Beginn der zweiten Hälfte des nun wieder abgestaubten Ziegelsteins gelingt Moses ein Putsch beachtlichen Ausmasses. Einem Schimpansen gleich, der sich an die Spitze intrigiert, und doch ganz anders als Chimpsky, verwandelt Moses mit tief in Gesetzestexten versteckten juristischen Winkelzügen die Triborough Bridge Authority von einer Privatfirma mit quasistaatlichen Befugnissen, aber scharf begrenzter Lebensdauer, in ein kleines Privatkönigreich innerhalb von Stadt und Staat New York. Fortan kann Robert Moses Strassen bauen und Brücken, Parks und öffentliche Gebäude, er kann Wegzoll eintreiben, verfügt über eine Polizeitruppe und das Recht, eigene Quasigesetze zu erlassen, und niemand, nicht der Bürgermeister, nicht die Regierung, können ihm dreinreden. Und wenn Parlament oder Gouverneur später aufgehen sollte, was sie mit dem Erlass dieses harmlosen Gesetzes angerichtet haben, werden sie feststellen, dass eine Rücknahme dieser neuen Befugnisse nicht mehr möglich ist.

Wie ein Alpha-Schimpanse auf seinem Hügel hockt Moses nun in seiner neuen Burg auf Randall Island, wo ihn der East River als Wassergraben vor dem Rest der Stadt und ihrer armen Bevölkerung schützt. Der Weg zu dieser erstaunlichen Machtfülle führte über Sprache und ihre juristischen Subtilitäten: in your face, Mr. Nim Chimpsky.

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