18.01.2008 / 00:43 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

|DEAD> im Quantenshop (527-577)


Auch mal an was anderes denken
Foto, Lizenz
Wenn es einen Bedarfshandel für Quantenphysiker gäbe, so wie es auch Läden für Angler, Zahnärzte und Bergsteiger gibt, dann sähe das Sortiment ungefähr wie folgt aus: Zunächst benötigt man natürlich die Quanten selbst, also eine Auswahl an Photonen, Elektronen, Neutrinos in kleinen und grossen Dosen1. Dann eine grosse schwarze Kiste, mit Löchern, durch die Photonen rein- und rausfliegen können, braucht man ständig. Drittens Standardkram wie Reflektoren, Detektoren, Strahlteiler, alles mit oder auch ohne Masse2. Viertens, ganz wichtig, Katzen – aus seltsamen Gründen das traditionelle Versuchstier in den Gedankenexperimenten der Quantenphysik, keinesfalls Ratten oder Mäuse, so wie in allen anderen Branchen3. Und schliesslich eine Bombe, denn ohne Bombe funktioniert die moderne Physik nicht4.

Wäre eine Welt ohne Quantenmechanik eine bessere Welt? Vielleicht. Andererseits gäbe es in einer solchen Welt keine Atome. Anders als die Planeten, die ruhig um die Sonne trödeln, können Elektronen nicht einfach um einen positiv geladenen Atomkern kreisen, weil sie dabei Energie abstrahlen und folglich in unangenehm kurzer Zeit in den Kern stürzen würden. Kaputt ist das schöne Atom und man muss den Quantenmechaniker rufen. Der ersetzt das Elektron durch eine sauteure Wellenfunktion, so dass es praktisch gleichzeitig überall ist, jedenfalls, wenn man nicht hinsieht, und schon läuft das Atom wieder zur allgemeinen Zufriedenheit.

Aber was ist diese Wellenfunktion eigentlich? Hier wird es ein wenig beunruhigend, denn genaugenommen weiss das niemand so richtig. Es könnte ein dreckiger Workaround sein, eine Art Krücke, um mit der Realität klarzukommen, aber vielleicht ist es auch eben diese Realität. Man tauscht also mit dem Glauben an den Quanten-Shop eine verschwommene Vorstellung von Wirklichkeit gegen eine andere ein und erhält dafür eine Garantie auf die Existenz von Atomen. Meine Güte, man hat schon von schlechteren Geschäften gehört.

Der Mann von Quantendienst würde es vermutlich so erklären: Ein Quant muss man sich so vorstellen wie eine Mücke im dunklen Schlafzimmer. Ort und Bewegung sind reichlich unbestimmt, obwohl man den Eindruck gewinnt, dass sie sich meist in der Nähe der Lampe aufhält. Ausserdem nervt sie ein wenig, aber das war's auch schon, was man über die Mücke weiss. Genau wird man sie erst sehen, wenn man sie erschlagen hat, aber dann ist sie nicht mehr dieselbe. Oder wie es der Experte in seinem komischen Kauderwelsch ausdrücken würde: Die Wellenfunktion kollabiert zum Zustand |DEAD>. Mückenpsychoanalytiker haben vermutlich ganz ähnliche praktische Probleme wie Quantenphysiker.

Das alles kann einem natürlich vollkommen egal sein, wenn man zu denen gehört, denen es ausreicht zu wissen, dass das Auto fährt, egal wie. Wenn dann Rauch aus dem Atom, äh, Motorraum kommt, nun, darum sollen sich andere kümmern.

1Weiterhin nicht verfügbar ist das Zehnerpack Higgs-Bosonen. Reservieren Sie sich Ihr Exemplar jetzt und Sie erhalten es pünktlich zum Erscheinungstermin.

2Gerade hereingekommen: Das Partypaket mit vierdimensionalen Party-Scherzwürfeln und unsichtbarem Superstring mit 10 geheimen Dimensionen. Verblüffen Sie Ihre Freunde!

3Vor der Kasse dann noch ein Regal mit maxwellschen Heizhandschuhen (Dämon nicht im Lieferumfang enthalten) und makroskopischen Duplo-Quanten (leicht zu greifen für Anfänger).

4Im Angebot übrigens gerade das Heisenberg-Multitool ("Es misst den Ort! Es misst den Impuls! Jetzt neu mit Säge!").

577 von 1049 Seiten

Aleks Scholz / Dauerhafter Link / Kommentare (3) / Buch kaufen und selber lesen


Kommentar #1 von Aleks:

Alle Fussnoten von Kathrin aka Superstring Passig.

18.01.2008 / 00:44

Kommentar #2 von General Jack D. Ripper:

Herr Scholz, unter uns, Sie sind so ziemlich der Einzige, der die Leserei noch konsequent durchzieht. Und dann noch eine Aufpolierung meiner mageren Kenntnisse des Quanten-Hirnschwurbels...
Es muss jetzt mal gesagt werden, vielen Dank!

18.01.2008 / 05:42

Kommentar #3 von MJ:

Bewundernswerter Impuls an diesem Ort hier, muss man wirklich sagen.

18.01.2008 / 14:42