14.01.2008 / 15:51 / Kai Schreiber liest: The Power Broker (Robert A. Caro)

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Isst kein Gemüse, Riesenzähne. Noch Fragen?
An etwas noch festzuhalten, das einmal sinnvoll oder schön war oder erschien, nachdem die Umstände sich längst geändert haben, ist nicht nur stur, es erreicht auch oft das Gegenteil des Erhofften. Wenn man zum Beispiel ein dickes Buch anfängt, um Interessantes zu erfahren, und mitten drin zwar merkt, dass das Buch einen nicht will, aber trotzdem weiter liest, dann ist man ein Esel. Auch andere Autoren haben schöne Worte, manche sogar schönere. Zum Glück habe ich dieses Problem nicht.

The Power Broker wird stattdessen zunehmend interessanter und lockt mich mit Einsichtsgemüse. Fünfhundert Seiten lang zog mich eine Karotte durchs Buch, die Karotte des Untergangs, aufgehängt am langen Stab der Leistungen Moses, aber jetzt kommt sie näher, bald kann ich von ihr abbeissen, mit einem Geräusch, das mir selbst gefallen wird, meiner Umgebung aber nicht. Insofern sind Karotten ein bisschen wie Äpfel, es ist aber trotzdem besser, dass man nicht von der Karotte der Erkenntnis spricht.

Und dies steckt drin in dieser leckeren Karotte: als Moses auf Long Island mit Machenschaften und Manipulationen aus Landschaft Parklandschaft erzeugte, waren Autos Luxusgüter, auf denen man in Wochenendausflüge ruckelte, und unter Parks stellte der grosse Mann sich Baseballrauten und Badehäuser vor, Tischtennisplatten, Strandkörbe. Natur kam im Mosesschen Weltentwurf nur vor, wo man mit dem Auto durch sie durchfährt, um sie aus dem Fenster zu bewundern. Auf Long Island war das nicht weiter schlimm, denn Long Island ist riesengross, und selbst ein paar Hundert Baseballfelder müsste man ordentlich ausschildern, sonst fände sie niemand jemals wieder.

In einer Stadt jedoch ist jede Petunie kostbar. Zudem änderte sich parallel zu Moses Aufstieg die Rolle des Automobils in der Welt, und aus dem niedlichen mechanischen Pferd mit der Kurbel vorne dran wurde allmählich das eine Ding unter Millionen, aus dem hinten Gestank rauskommt. Moses aber, besoffen von Macht, und Kritik nicht mehr zugänglich, sieht keinen Grund, sich zu ändern. Und so baut er weiterhin Zugangsstrassen, Betonwege und Sportanlagen, als längst Auswege aus dem Verkehrskollaps und grüne Oasen im wachsenden Stadtmoloch gebraucht würden.

Denn Moses folgt seiner eigenen Karotte, einem Gemüse namens Macht, und ist blind geworden für alles andere. Und das ist eine schöne Lehre, liebe Kinder, die wir hier ziehen wollen, ehe wir im nächsten Abschnitt von der "Liebe zur Macht" lesen: Gemüse ist nicht gut für Euch. Meidet das Gemüse.

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