17.12.2007 / 14:04 / Kathrin Passig liest: Alles (von allen)

Am nackten seidenen Faden ins Ungewisse

Es ist ein kühner Plan, der so wohl noch nie angepackt wurde: Drei Bergsteigerbücher wollen in einem Zug durchstiegen werden. Gute Vorbereitung ist alles, die drei Bücher sowie reichlich Pervitin und Getränke müssen neben dem Bett bereitliegen. Und dann frisch eingestiegen in Hans Kammerlanders "Am seidenen Faden".

Kammerlander setzt beim Schreiben auf redundante Sicherungstechniken: Von der "formschönen Gestalt" des K2 ist da die Rede, "wir tranken viel Flüssigkeit", und der "künstliche Flaschensauerstoff" kommt nicht gut weg. Dafür macht der Autor reichlich vom künstlichen Flaschensauerstoff unter den spannungserzeugenden Mitteln Gebrauch: "... und ich hatte keine Ahnung, dass ich nur neun Tage später in Bruneck im Krankenhaus liegen sollte." Ja. Nun.

Aus seinem Tagebuch zitiert Kammerlander ausgewählte Stellen: "... müssen wir aufpassen, sonst steckt man da oben schnell in blitzgefährlichen Situationen, diese Gewalten, diese wahnsinnigen Naturgewalten". Womöglich hat man am Berg wirklich keine Einsichten, die man nicht auch zu Hause im Lehnstuhl haben könnte, wie es Thomas Kastura über Arktis und Antarktis behauptet ("Grosse Gedanken werden an den Erdachsen gemeinhin nicht gedacht."). Oder aber es gibt nicht viel mehr zu sagen als das, was auch das Supatopcheckerbunny zum Hochgebirge zu sagen hätte, nämlich dass die Berge sehr gross, die Situationen blitzgefährlich und die Naturgewalten wahnsinnig sind.

Gut, die meisten Menschen haben eben maximal ein ausgeprägtes Talent, und Spitzenbergsteiger müssen mindestens noch ein zweites haben, nämlich das zur Geldbeschaffung. Andauernd werden teure Zelte voll teurem Material durch Lawinen und Stürme aus den Hochlagern gerissen, was noch übrig ist, wirft man auf dem Abstieg zwecks Gewichtsersparnis von sich, für einen Achttausender muss man mindestens zwei Monate vor Ort plus Vorbereitungszeit zu Hause einkalkulieren, von den teuren Permits ganz zu schweigen. Woher kommt das ganze Geld? Zumindest bei Kammerlander erfahren wir darüber nichts.

Zum Glück ist der Ausstieg nahe. Nur leicht ermattet lasse ich den Kammerlander hinter mir und packe unverzüglich den Messner an. Die Geldfrage wird hier zumindest gestreift, denn ein Teil der Probleme am Nanga Parbat scheint daher zu rühren, dass man sich als Bergsteiger den Entscheidungen seiner Geldgeber und Expeditionsleiter zu beugen hat. Aber über das, was über das Hochgebirge doch herauszufinden sein muss, schweigt auch Messner. Kulturwissenschaftler schreiben 900-seitige Monographien über den Zahnstocher, und ausgerechnet über das Bergsteigen soll es gar nichts zu sagen geben, ausser dass eben die Berge hoch sind und es rechts oder links oft steil nach unten geht? Messner ist dafür ein Mann der Metaebene, und so erfährt man von ihm immerhin einiges über die Zusammenhänge zwischen dem Tod von Herligkoffers Halbbruder Willy Merkl und dem Tod Günther Messners am Nanga Parbat, über den Zerfall der Ich-Wahrnehmung in Extremsituationen und schattenhafte Begleiter.

Und jetzt aus Messners Schatten in Diembergers gleissenden Sonnenschein. Kurt Diemberger ist ein angenehm neugieriger und freubereiter Mensch, er geht auch mal weite Wege einfach nur zum Spass, um irgendwas anzugucken, was weder Gipfel ist noch Prestige verheisst. Auch Diemberger verrät uns nicht alles, was er über die "Eroberung des Nutzlosen" weiss: "Manche Berggestalten sind wie starke Persönlichkeiten. Andere sind reine Zeitverschwendung." Man wüsste doch gern mehr darüber, was eine Berggestalt zur reinen Zeitverschwendung macht, aber dafür gibt es hier endlich Informationen zur Expeditions-Psychodynamik, die Mitbergsteiger haben Eigenschaften und nicht nur Namen, und der Nebel, der bisher über der Landschaft lag, lichtet sich.

Dann erreiche ich die letzte von 1059 Seiten. Ich bin zu erschöpft, um mich zu freuen, reiche mir nur still die Hand und gedenke derer, die vor mir mit diesen Büchern gerungen haben und an ihnen gescheitert sind.

Prokrastinationsbuch: 30 von 200 Seiten geschrieben.


Kommentar #1 von Rudi K. Sander:

Mir ist der Kreuzberg schon zu hoch.

17.12.2007 / 14:23

Kommentar #2 von Horst Hirst:

Kann es sein, dass Piper eine Bergsteiger-Reihe im Programm hat?

17.12.2007 / 17:39

Kommentar #3 von Gerlinde M.:

Kann es sein, dass die Bücher von der Piper Aircraft Corporation sind? Eine Piper PA 28 hat immerhin eine Dienstgipfelhöhe von 4298 m, eine Reichweite von 967 km und 4 Sitzplätze.

17.12.2007 / 18:16

Kommentar #4 von Kathrin:

Vermutlich war es ungefähr so: "In eisige Höhen" von Jon Krakauer war schon immer bei Piper/Malik und hat sich verkauft, wie sich warme Erbsensuppe mit Würstchen in einer Skihütte auf dem South Col des Everest verkaufen würde. Daraufhin dachte man sich bei Piper, dass es vielleicht eine Zielgruppe für solche Bücher geben könnte, und siehe da.

17.12.2007 / 18:40

Kommentar #5 von Laika:

Noch ein anderes, auch bei Piper: Joe Simpson, Im Banne des Giganten, Der lange Weg zum Eiger.
Schenke ich meinem Vater – er ist ein grosser Bergsteiger. Manchmal musste ich mit. Bin seit längerem flügge und schlief trotzdem kürzlich bei -10 C im offenen Leanto. Das mache ich so schnell nicht noch mal.

17.12.2007 / 21:05

Kommentar #6 von bjoern:

haben sie hier ihre mentale vorbereitung auf "sie befinden sich hier" recyclet, oder sind menschen im schnee ein metathema frau passig?

17.12.2007 / 21:27

Kommentar #7 von Willibert Walfuss:

Dieser bjoern stellt immer so komische Frage. Ich glaube fast, er denkt, Texte haben Autoren.

17.12.2007 / 21:33

Kommentar #8 von Rudi K. Sander:

Dem stimme ich gerne zu: Texte haben zum Pseudoautor immer nur den einen, nämlich die Gesellschaft. Alle reden und reden, sie drehen und wenden die ihnen durch ihre Sozialisation sozial angelieferte Sprache. Auch wenn man das Argumentationsergebnis dann zwischen zwei Buchdeckeln konserviert findet, es ist der grosse Behemoth, der sich hier artikuliert. Deshalb heisst es dann cool: Es ist nichts als die Kommunikation, die sich – kommunizierend – hinein in die beschränkte Ewigkeit fortpflanzt, zwar durchaus adressierbar, aber doch am Ende ganz unpersönlich. Die Gesellschaft als Figur der grosse Lümmel, der als Volksmund so vor sich hinbrabbelt.

18.12.2007 / 11:30