30.11.2007 / 11:48 / Kathrin Passig liest: Alles (von allen)

Linda Warren: Die Liebeswonnen der Karin Finger (5-36)

"Die Liebeswonnen der Karin Finger" war ein Geschenk von Lesemaschine-Grafiker Martin Baaske, der es in einen an mich adressierten Rowohlt-Umschlag gesteckt und auf meinem Schreibtisch hinterlassen hat. Tagelang habe ich darüber nachgedacht, was der Rowohlt Verlag mir damit sagen wollte. Erschienen ist das Buch 1969 im heute noch existierenden Exakt-Verlag Konstanz, also vier Jahre, bevor es legal wurde, "einfache Pornographie" an Erwachsene zu verkaufen. Eine Kulturgeschichte der kleinen deutschsprachigen Pornoverlage wäre auch mal von irgendwem zu schreiben, man erfährt so wenig über diese Verlage, die sich zum Teil jahrzehntelang auf dem Markt behaupten können. Schon bald werden ihre Verleger vermutlich alt und tot sein, dann ist es zu spät. Der Odörfer Verlag aus Röthenbach ist auch so ein Fall.

Linda Warren ist offenbar kein Pseudonym eines Gruppe-47-Autors in Geldnot, sondern der Jerry-Cotton-Autor Walter Appel, der laut Wikipedia seit 1973 900 Romane verfasst hat. Das macht ungefähr alle zwei Wochen einen Roman, es kann also auch mit dem Prokrastinationsbuch noch klappen bis Ende Dezember. Walter Appel, mein Vorbild.

Es geht ganz verheissungsvoll los, auch wenn gleich auf den ersten Seiten mehrmals die verbotene Schulaufsatzwendung "Wir, das waren mein Vater, meine Mutter und ich" auftaucht. Der Stiefvater ist ein Schwerenöter, der der 16-jährigen Tochter zum Schluss einen Heiratsantrag machen wird, wie gleich der erste Absatz – aus rechtlichen Gründen? – vorwegnimmt. Ach, was waren das für glückliche, unschuldige Zeiten, als im Porno noch geheiratet wurde! Schwarzweissfotos junger Flittchen in Miniröcken schmücken die Erzählung. Schon auf Seite 14 verliert die bisher namenlose Stieftochter ihre, na ja, nennen wir es mal grosszügig: Unschuld. "Ich fühlte mich in diesem Augenblick sehr sicher in all meiner Jugend und dem Ungestüm meines Begehrens." Ein Satz, der gut auch in einem der Jungmädchenbücher von Astrid Lindgren stehen könnte, "Ferien auf Saltkrokan" oder "Britt-Mari erleichtert ihr Herz". Wo sind sie hin, die goldenen Tage, in denen sich die Menschen in der Pornographie nicht nur dafür interessierten, warum hier Stroh rumliegt?

Danach werden ein "Fischrestaurant (...) an einem hübschen kleinen Weiher", ein "hübsches kleines Balkanlokal" und eine "recht romantische Fischerschenke" aufgesucht, und erst auf Seite 21 ist auch mal von der "heissen Mulde meines Leibes" die Rede. Das erinnert ein wenig an die zwanghafte Beschäftigung mit Essen in den "Fünf Freunde"-Romanen, aber muss der Kriegshunger nicht 1969 allmählich vergessen gewesen sein? Auf bisher 7 Fotos war insgesamt eine halbe nackte Brust zu sehen. Beim Vorblättern kommen noch etwas weisse Unterwäsche, ein Schambehaarungs-Beinansatz und acht nackte Brüste hinzu, eine kursorische Suche nach Penissynonymen ergibt ... nichts. Das Buch enthält exakt null Penisse. Mit solchen Veröffentlichungen wird sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften jetzt noch 25 Jahre lang befassen müssen, bis endlich jemand das Internet erfindet. We've come a long way, baby.

Prokrastinationsbuch: 13 von 200 Seiten geschrieben.


Kommentar #1 von ibuh:

Also bitte, es heisst Penes, nicht Penisse. Solche falschen Pluralformen kann man vielleicht bei einer Zigeunerin unterm Rock verwenden, aber nicht in der Lesemaschine.

01.12.2007 / 12:39

Kommentar #2 von Bruno:

Wahrig: beide Formen.
Duden: beide Formen.
Mackensen: beide Formen.
ibuh: nur Penes.

01.12.2007 / 12:49

Kommentar #3 von Dr. Rumpf (das ungeheuerlich Din a. d. Sumpf):

Wahrig: beide Formen.
Duden: beide Formen.
Mackensen: beide Formen.
ibuh: nur Penes.
Dr. Rumpf diagnostziert: klarer Fall von Penesfixierung!

03.12.2007 / 03:48

Kommentar #4 von herzlichst: ihr Dr. Rumpf:

Es heisst natürlich: Dr. Rumpf (das ungeheuerlich DinG a. d. Sumpf), nicht etwa DIN A Sumpf, oder so.
a. d. ist eine Abkürzung für: aus dem!

03.12.2007 / 03:51

Kommentar #5 von Rudi K. Sander:

Liebe Frau Passig,
Kriegshunger vergisst man nie. Symbol: Suppe aus Kartoffelschalen. War nicht übel.

05.12.2007 / 22:41

Kommentar #6 von Kathrin:

Ich bin stolz und froh, dass wir Leser haben, die kompetent auf die Kriegshungerfrage antworten können. Es ist die breite demographische Aufstellung der Lesemaschine, wegen der wir 2008 für anderthalb Schrillionen von Google aufgekauft werden.

05.12.2007 / 23:13

Kommentar #7 von Walter Appel:

Hi,
da ich gerade im Internet zufällig auf diesen Eintrag stosse: Der oben genannte Roman ist absolut nicht von mir. Es ist zutreffend, dass ich unter Linda Warren z. B. etliche Frauen-Grusel-Romane (Mitternacht) usw. veröffentlicht habe. Von einer Karin Finger jedoch nichts. Abgesehen davon habe ich 1969 noch nichts veröffentlicht – ab 1973.
Die übrigen Angaben in Bezug auf den Eintrag bei Wikipedia und meine Person sind korrekt.
Ich wollte dies nur der Ordnung halber bemerken, stören tut es mich nicht.
Mit freundlichen Grüssen
Walter Appel, Autor

08.06.2010 / 01:17