22.11.2007 / 12:54 / Jochen Schmidt liest: Liebe als Passion (Niklas Luhmann)

Hoffentlich nachvollziehbares Anplausibilisieren (1-12)


patior – pati – passus sum
Luhmann gilt als Autor, bei dem jeder Satz ein Türsteher für einen Club ist, in dem Männer sitzen und erfolgreich kommunizieren. Ich will ja auch gar nicht rein, nur mal gucken, ob wer da ist, den ich kenne. Komisch, dass Luhmann als trocken gilt, nur weil er unverständlich schreibt, und Celan mit denselben Mitteln die Frauenherzen erobert. Aber gibt es überhaupt zwei verschiedene Unverständlichkeiten auf der Welt? Ist nicht jeder Text, den ich nicht verstehe, ein Gedicht?

Wie in jedem meiner Bücher steckt auch im Luhmann ein Bleistift, an der Stelle, wo ich bei der Lektüre aufgegeben hatte, hier auf Seite 42. Ich könnte also diesmal einfach nur die beim ersten Anlauf angestrichenen Stellen lesen, aber das würde bei Luhmann nicht mal schneller gehen, eine der Eigenheiten seines Stils. Ausserdem stelle ich bei einer Stichprobe fest, dass mir dann der Satz: "Parsons hatte bereits gelegentlich den Gedanken, dass ein differenziertes System nur deshalb ein System ist, weil es durch Differenzierung entstanden ist", entgangen wäre. Es gibt Tage, an denen ich ihn verstehe.

Ein Vorwurf von Seiten der Frauen an mich war immer, ich würde "alles" zerreden. Dabei kann man über "alles" gar nicht reden. "Entsprechend wird Liebe hier nicht [..] als Gefühl behandelt, sondern als symbolischer Code, der darüber informiert, wie man in Fällen, wo dies eher unwahrscheinlich ist, dennoch erfolgreich kommunizieren kann." Beim nächsten Mal versuche ich es mit diesem Kompliment: "Sie wirken wie jemand, mit dem man erfolgreich kommunizieren kann." Schöner kann man es nicht sagen, nur dass es in der Liebe bekanntlich keinen Schönheitspreis gibt.

Die Theorie wird zeigen "dass Liebe nicht nur eine Anomalie ist, sondern eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit." Das klingt beruhigend, auch wenn es nur ein geringer Trost ist, dass das eigene Leid lediglich unwahrscheinlich ist und nicht anomal. Dass der Code dazu ermutigt, entsprechende Gefühle auszubilden, und ohne Liebesromane niemand verliebt wäre, ist ja ein alter Hut. Luhmann hat für seine Untersuchung Romane des 17. und 18.Jahrhunderts gelesen, sich bewusst zweit- und drittrangige Literatur gesucht und "ein unsachliches Prinzip der Zitatauswahl gelten lassen, nämlich die sprachliche Eleganz der Formulierung." Wie schön, wo doch in der Wissenschaft Eleganz heute das fest verrammelte Tor ist, durch das sich die Unsachlichkeit keinen Einlass mehr verschafft.

Wörter, zu schön, um in der Soziologie zu versauern: – "anplausibilisieren", "Selbstbeweglichkeit"

12 von 230 Seiten

Jochen Schmidt / Dauerhafter Link / Kommentare (1) / Buch kaufen und selber lesen


Kommentar #1 von Rudi K. Sander,:

Lieber Jochen Schmidt,
sie haben Recht: "Liebe als Passion" ist, ohne Vorbereitung, keineswegs der leichteste Einstieg in die Luhmannwelt. Aber den gibt es ohnehin nicht. Bei Luhmann muss man auf seinen klaren Stil vertrauen (Dietrich Schwanitz: "Luhmann ist in der Wissenschaft ein grosser Stilist") und Geduld haben, weil alles, was er schreibt und erläutert, immer, notgedrungen, zirkulär ist. Es gibt eben für nichts und bei nichts einen singulären Anfang: Man ist, als Leser, als Denker, als Mensch, schon immer mittendrin.
Schade, dass ich ein alter Luhmannhase bin: Von Ihnen hätte ich mich gerne und erfolgreich zur Luhmannlektüre verführen lassen. Wer einmal begriffen hat, das Gesellschaft das Unwahrscheinlichste aller Unwahrscheinlichkeiten ist und dann staunt, dass es sie doch gibt, der kommt von Luhmann nicht mehr los. Danke für ihren intelligenten liebevollen Text.
Herzliche Grüsse, RS.

22.11.2007 / 14:07