22.11.2007 / 11:28 / Sascha Lobo liest: Der ewige Spiesser (Ödön von Horvath)

Der ewige Spiesser Teil neun

Angenommen, jemand bräuchte ein Beispiel für das Stilmittel Untertreibung, dann würde derzeit gut passen: Sascha Lobo hat extrem schlechte Laune. In Wirklichkeit ist Sascha Lobos Laune von einer erdkernnahen Unterirdik, von der man noch in vielen Jahren nicht sprechen wird aus Angst. Über die Gründe möchte ich schweigen. Der Leser muss jedoch keinesfalls befürchten, dass dieses Launeloch sich negativ auf mein Lesemaschinenverhalten auswirkt. Im Gegenteil! Hier hilft mir ein Gehirnenzym, das Aggressivität in Produktivität umwandelt – was auch der Grund ist, weshalb ich Kathrin Passig, wenn sie in anderthalb Wochen aus Schottland zurückkommt, einen so grossen Brocken Prokrastinationsbuch vorlege, dass sie vor Freude nichts sagt. Bei derartig gigantischen, riesigen, notwendigen und weltverändernden Aufgaben wie diesem Buch ist es sinnvoll, wenig Respekt davor zu haben und es nicht unnötig gross zu reden. Das Gehirnenzym wandelt leider nicht sämtliche Aggressivität um, und so gehe ich ungewohnt kantig, man kann fast sagen: ungeschmeidig in die Lektüre. Es hilft, den Protagonisten ersteinmal in Grund und Boden zu hassen und das ist ja nun bei Kobler besonders leicht, diesem widerwärtigen Teilzeitfaschisten. Gleichzeitig kann ich meine Aufregung über die derzeitige sozialpolitische Entwicklung dort mithineinbringen, die sich am konservativen Widerstand gegen den Mindestlohn festmacht.

Nun ist in alten Büchern Parallelen zur Gegenwart zu suchen ebenso gefährlich wie alte Theaterstücke in die heutige Zeit zu übersetzen; Romeo als DJ kann schnell noch bedeutend unfrischer wirken als das Original und schliesslich zerfasert alles zu Metaphernbrei ohne tiefere Aussage. Der ewige Spiesser aber ist von von Horvath schon im Titel so angelegt, dass er universalverwendbar ist und so kann man Hauptfigur Kobler bescheuert finden und Spiesser, den Neokonservativen von heute meinen. Ich sehne mich nach einem Neocon, der aufsteht und sagt: "Also, ich bin gegen den Mindestlohn, weil ich den verdammten Pöbel nicht ausstehen kann, weil ich mich für etwas Besseres halte und weil ich glaube, dass das dumme, ungebildete Volk es nicht besser verdient hat: wenn es nicht hart arbeitet, soll es ihm ruhig schlechtgehen. Das mit dem Markt ist mir im übrigen gar nicht so wichtig, wie ich immer sage, Subventionen für meine Branche finde ich zum Beispiel super. Früher wäre ich bestimmt adelig gewesen." Kobler denkt ganz ähnlich, sicher wäre auch er gegen den Mindestlohn, aber: er denkt es eben nur. Es ist sehr geschickt von von Horvath, seinen Figuren im Buch mitten in Dialogen überraschende, entlarvende Sätze unterzuschieben, die aber mit "dachte er" schliessen. Die Differenz zwischen gedachtem und gesagtem Mut, das ist das Hauptmerkmal des Spiessers von von Horvath ebenso wie das des heutigen Spiessers.


Kommentar #1 von Dingens:

Ist Sascha Lobo nun in Ludwigsburg und wir brauchen keine Kommentare zu schreiben oder müssen wir doch?

22.11.2007 / 20:57

Kommentar #2 von Frau Grasdackel:

Unterirdisch schlechte Laune in Ludwigsburg? Wenn Sie gar nichts mehr merken wollen Herr Lobo, dann besuchen Sie doch dort die "Rockfabrik".

23.11.2007 / 03:06

Kommentar #3 von Sascha Lobo:

Nun, ich war in Ludwigsburg, bin jetzt wieder zurück und meine Laube hat sich etwas gebessert. Bzw. Laune. Ich würde fast sagen, sie ist hoch auf Null.

23.11.2007 / 15:54