21.11.2007 / 22:18 / Kathrin Passig liest: Alles (von allen)

C.W. Ceram: Götter, Gräber und Gelehrte (13-37)

Dieses Buch stinkt. Obwohl es nagelneu ist (2. Auflage der Sonderausgabe vom Dezember 1999, Rowohlt), riecht es wie fussschweissige Turnhallenmatten. Von welchem Teil des Buchs das Muffeln herrührt, Hochglanzseiten, normale Seiten, Klebebindung, Pappeinband, ist nicht auszumachen. Warum werden Verlage nicht klüger, was stinkende Bücher angeht? In allen Lesememoiren berühmter Leute ist vom Wohlgeruch neuer Bücher die Rede, da kann man doch mal in den Auftrag an die Druckerei schreiben: Das Buch soll bitte nicht nach Turnhallenschweiss stinken.

Ich habe "Götter, Gräber und Gelehrte" wie jeder normale Mensch schon mal mit 14 gelesen. Die Leseontogenese rekapituliert die Lesephylogenese, und in der Pubertät arbeitet man sich allmählich durchs zwanzigste Jahrhundert, bis sich die Lesekiemen verwachsen. Später muss man dann ersticken, wenn man auch nur die erste Seite eines Buchs von Heinrich Böll aufschlägt.

Der erste Satz lautet:

Ich rate dem Leser, das Buch nicht auf der ersten Seite zu beginnen.

Schon aus Misstrauen muss ich jetzt natürlich alles ganz von vorne lesen, wer weiss, worüber der Autor hier hinwegtäuschen will. Und es ist leider immer noch alles so interessant wie damals, das ganze Erwachsenwerden war für die Katz, ich hätte genausogut 14 bleiben können. Wahrscheinlich stimmt das alles überhaupt nicht, was Ceram da behauptet, aber ist mir ein Funken Kritikfähigkeit zugewachsen? Willenlos fahre ich auf der Kindereisenbahn durchs antike Wunderland, rechts Herculaneum, links Winckelmann. Wäre nicht der beissende Gestank, ich hätte noch einmal alle 447 Seiten lesen und neue, grossartige Berufswünsche fassen müssen. Aber dafür reicht die Zeit nicht, denn ich habe zu tun, vom Nichtstun wird man nicht zum C.W. Ceram der Prokrastinationsforschung. "Götter, Gräber und Gelehrte" ist in einer Auflage von fünf Millionen erschienen, da müssen Lobo und ich noch hin, und was ist daran bitte unrealistischer als an Heinrich Schliemanns Jugendplänen?

Schöne Wörter: Stubenfleiss, Lapilli, Striegel, grindigte Köpfe, Perückengelehrsamkeit, betölpeln, Grabädikula, Pentagondodekaeder

Nicht so schöne Wörter: blauen ("Und wieder blaute der Himmel.")

Dazugelernt: Keine Zeit mit dem Zusammenraffen von Wertsachen verlieren. Winckelmann war von "besonderer Veranlagung". Antike Zecher liessen sich beim Singen von Hasen die Hand lecken.

Fundort: Bücherregal von Aleks Scholz ("Mein Verleger sagt, ich muss das lesen, angeblich kennt das jeder ausser mir.")

Prokrastinationsbuch: 11 von 200 Seiten geschrieben.


Kommentar #1 von irgendwem:

Kann man Eintrittskarten zum Bücherregal von Aleks Scholz erwerben?

21.11.2007 / 22:39

Kommentar #2 von Aleks:

Easyjet nach Glasgow, X24-Bus nach St. Andrews, dann 95er-Bus bis Kingsbarns. Gaestezimmer dritte Tuer links, Bier im Kuehlschrank, Buecherregal geradeaus durchgehen. Keine zu hohen Erwartungen.

21.11.2007 / 23:15

Kommentar #3 von R. K. Sander:

Bücher zum Thema Antike gibt es viele. Nur wenige haben aber das Potential den Leser jenseits der Klischees von Sklavenlust und Symposien zu bringen.
Nämlich in die rauhe spirituelle Wirklichkeit imperialer Emergenzen.
Dass dazu das Lecken der Hand durch einen Hasen gehört ist sicherlich bemerkenswert.
Man merkt also, dass der Autor der Revision das Buch gar nicht gelesen hat.
Ich auch nicht.
Dennoch bekräftige ich, dass die Identifizierung des Menschen mit heidnischen Göttern immer noch der wichtigste Überlebensinstinkt ist, wenn man keine Sklaven hat. Dies ist es auch, was das Buch wahrscheinlich am Ende an Substanz zurücklässt.
Deswegen sage ich an dieser Stelle: Ave Diana.

22.11.2007 / 01:02

Kommentar #4 von so einfach:

so einfach ist das also dahin zu kommen. und ein gästezimmer gibt es auch noch.

22.11.2007 / 17:47

Kommentar #5 von Rudi K. Sander:

Der Kommentar Nr. 3 ist NICHT von mir.
Richtigstellung nach dem Pressegesetz.Tschüss

22.11.2007 / 19:08