21.11.2007 / 01:34 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Oberflächliches (179-197)


Auf mehrfachen Wunsch: Die Penrose-Punktwolke, angewandt auf eine beinlose Ente.
Eigentlich das Schwierigste beim Umgang mit der Wirklichkeit ist das Management der eigenen Dummheit. Es ist ein diabolischer Balanceakt: Ganz schlecht ist es, mit der eigenen Dummheit hausieren zu gehen, sie als Feigenblatt für mangelnde Sekundärtugenden vor sich herzutragen oder, noch schlimmer, sie kokett als nächstes grosses Ding zu verkaufen. Ebenfalls schlecht aber auch das andere Extrem: Die eigene Dummheit derart ernst zu nehmen, dass man von ihrer Allgegenwart, und sie ist allgegenwärtig, man wird seinen Kopf ja nicht los, erdrückt wird. Man darf sich wegen der eigenen Dummheit weder besonders toll fühlen noch besonders schlecht; man darf sie weder gutfinden noch darüber klagen. Die Dummheit existiert vollkommen entkoppelt vom Versuch, sie zu verkaufen oder sich ihr zu unterwerfen. Dummheit ist eine leidenschaftslose, unmenschliche Substanz – etwa so wie Meer oder Bier.

Ich gebe zu, dass ich eher dazu neige, meine Dummheit als Last zu empfinden, was falsch ist, denn was man als Last empfindet, ist auch eine. Dann wiederum neige ich dazu, die eigenen Lasten in Leuchtfarben auf grosse Plakate zu schreiben und durch Fussgängerzonen zu tragen, sinnbildlich wenigstens. Die erstgenannte Neigung stört beim Penrose-Lesen, die zweite beim Schreiben über das Penrose-Lesen, so dass ich mir wie im Zweifrontenkrieg vorkomme. Make this three, denn Penrose selbst ist natürlich auch ein Problem. Zum Beispiel in seinem leichtsinnigen Umgang mit den Cauchy-Riemann-Gleichungen, die, man hörte bereits davon, die Bedingungen für die Differenzierbarkeit komplexer Funktionen liefern. Erst erwähnt Penrose die CR-Gleichungen in Kapitel 7, und zwar ohne sie hinzuschreiben. Und dann erwähnt er sie nochmal in Kapitel 10 aus einer anderen Perspektive, wieder ohne sie hinzuschreiben. Merke: Etwas von zwei verschiedenen Seiten betrachten hilft nicht, wenn man es in einem dunklen Raum tut.

Ansonsten handelt Kapitel 10 von Oberflächen. Es geht um Skalar- und Vektorfelder auf Oberflächen, was langweilig klingt, aber, ach, fuck it, ich erkläre es zur Abwechslung mal: Wenn man über einen schottischen Berg geht, sagen wir über Beinn Mheadhoin (gespr.: Behn Vion), dann nimmt man vom Berg normalerweise nur seine Oberfläche wahr, eine interessant gewölbte zweidimensionale Struktur. Jetzt kann man zum einen an jedem Punkt dieser Oberfläche die Temperatur messen. Im Moment zum Beispiel zwei Grad plus auf dem Gipfel, brütende Hitze. Da Temperaturen keine Richtungen haben, obwohl es sich manchmal so anfühlt, heissen sie skalare Grössen, die Verteilung der Temperaturen über Beinn Mheadhoin also ein Skalarfeld. Zum anderen aber hat der Berg an jedem Punkt des Weges eine Steigung. Diese allerdings hat eine Richtung, wie man unschwer durch Herumklettern feststellen kann. Dinge mit Richtungen heissen Vektoren: ein Vektorfeld. Genaugenommen sogar ein Vektorfeld, das das Differential eines Skalarfeldes ist, nämlich das der Höhe über dem Meeresspiegel. Total kompliziert, so ein Berg.

Ich war jetzt seit Samstag nicht mehr am Meer und zum Dudelsacküben kommt man auch kaum noch. Entweder ist es schon dunkel draussen oder es ist Nacht und der Nachbar schläft schon. Drecksjahreszeit.

Sekundärliteratur: Die Ableitung der Cauchy-Riemann-Gleichungen. Nicht etwa zum Abschrecken, auch nicht zum Ergötzen, sondern als Service.

197 von 1049 Seiten

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Kommentar #1 von Kathrin:

Es wird schon aus einem guten Grund da stehen, aber: Wie kann ein Punkt auf einem Berg eine Steigung haben? Beim Herumstehen auf Bergen spürt man die Steigung (zumindest bei gängigen Steigungen) ja auch nicht, sondern erst, wenn man einen Schritt macht.

21.11.2007 / 01:45

Kommentar #2 von Kai:

Genauso wie Geschwindigkeit eine Momentangrösse sein kann: als mysteriöser mathematischer Grenzwert eines über Intervalle definierten, anfassbaren Dings.

21.11.2007 / 01:51

Kommentar #3 von Aleks:

Oder mit anderen Worten: Richtig ist, man muss einen Schritt machen, um die Steigung rauszufinden. Allerdings muss dieser Schritt nicht sehr gross sein, genaugenommen darf er sogar so klein sein, wie man ihn nur machen kann, der kleinste Schritt auf der Welt. Selbst eine Ameise wuerde mit einem Schritt die Steigung bemerken. Selbst eine winzige Ameise oder ein Wesen, dass in der Welt der Ameisen so klein ist wie eine Ameise, und so weiter. Dieses

21.11.2007 / 01:56

Kommentar #4 von Aleks:

21.11.2007 / 02:00

Kommentar #5 von Ruben:

Aber ein Intervall, egal wie klein, ist doch kein Schritt, das ist doch auch wieder nur was statisches, ein Stehen sozusagen.

21.11.2007 / 02:00

Kommentar #6 von Kathrin:

Ist das jetzt saubere, ordentliche Wissenschaft oder eher eine pragmatische Lösung, um überhaupt mal irgendwas messen und aussagen zu können, ohne dass ein Besserwisser aus dem Gebüsch springt und

21.11.2007 / 02:05

Kommentar #7 von Aleks:

Das ist saubere ordentliche Mathematik, jedenfalls wenn man die Ameisen und Berge weglaesst und stattdessen so redet wie Kai. Wenn man allerdings irgendwas -messen- will, dann helfen einem unendlich kleine Intervalle nicht so sehr und man arbeitet doch wieder mit richtigen Schritten auf dem Berg.

21.11.2007 / 02:08

Kommentar #8 von Ruben:

Ich habe hier eine recht starke Latenz zwischen Lesen und Begreifen.

21.11.2007 / 02:18

Kommentar #9 von Erika Zabel:

Ein Interval, egal wie gross, muss immer einen Schritt irgendwohin sein, allein um dem grundsatz der entwicklung zu folgen und diese laesst sich nur schwer negieren. sonst staende das arme interval ja einfach ohne alles da, totally blank, und das gibt es selbst bei Descartes nicht, dass sich irgendetwas sich selbst genuegt. hier natuerlich aus einem philosphischen ansatz heraus betrachtet, weil der schritt zurueck auch einer vorwaerts sein kann, wenn man ihn aufholt, oder auch nicht. also laut brecht: wer A sagt, muss nicht B sagen, er kann sich auch eingestehen, dass A falsch war.

21.11.2007 / 02:19

Kommentar #10 von Ruben:

Dies reduziert meine Latenz jetzt nicht wirklich.

21.11.2007 / 02:20

Kommentar #11 von Erika Zabel:

herr Ruben, ich hatte auch nicht vor Ihre latenz zu reduzieren, sollte sich Ihr kommentar aus meines beziehen. Sie sind mir doch so sympatisch. ich bin nur wirklich etwas entaeusch von der 3D-punktwolke – da habe ich mir mehr vorgestellt, als einen hoax ohne kopf.

21.11.2007 / 02:29

Kommentar #12 von Kai:

Der Schritt im Falle des Berges ist ja keiner in der Zeit, sondern einer im Raum. Der darf dann ruhig statisch sein, und am Berg stehen wie ein schräges Crickettor.
Die Steigung an einer bestimmten Stelle kann man so wenig messen wie die Geschwindigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt. Man kann Differentiale sauber und konsistent definieren, aber messen eben grade nicht, sie sind der unerreichbare Grenzwert, auf den eine Messserie zuläuft.

21.11.2007 / 02:31

Kommentar #13 von Kai:

Das ist übrigens keine Ente, sondern ein hochschwangerer Fisch da links.

21.11.2007 / 02:32

Kommentar #14 von bjoern:

Tetraodontinae spp. nehm ich an...

21.11.2007 / 02:44

Kommentar #15 von Erika Zabel:

ich hatte mich eher auf

21.11.2007 / 02:45

Kommentar #16 von bjoern:

ein wunder die projektionen des euklidschen raumes, sagte der alte und liess seinen blick zu den sternen schweifen

21.11.2007 / 02:48

Kommentar #17 von Kathrin:

Das heisst, für die Mathematik ist eine unendlich kleine Zahl nicht nur ziemlich nahe an Null, sondern GLEICH Null? Ich bin entsetzt und empört.

21.11.2007 / 08:13

Kommentar #18 von bjoern:

nicht ganz, also eigentlich garnicht, der unterschied ist infinitesimal also unendlich klein aber eben nicht null... wie auf dem konto, sehr sehr wenig ist nicht nix

21.11.2007 / 09:41

Kommentar #19 von Ruben:

Also noch hat mich mein Grundstudiumswissen nicht komplett verlassen, ich lass mich hier nicht so einfach lumpen: Es gibt nichts

21.11.2007 / 10:37

Kommentar #20 von Ruben:

Will sagen: Ich schlage mich auf Kathrins Seite. "Unendlich klein" ist null und nichtig.

21.11.2007 / 11:05

Kommentar #21 von Sherlock Homes:

Danke, Ruben. Und Kai@12, meintest Du nicht eher ein CrOcket-Tor? (=erhöhte Verletzungsgefahr im Sommer, weil man die kleinen Drahtbögen auf dem Rasen nicht so gut sieht.) Ein Cricket-"Tor" hingegen ist eigentlich ein Wicket und streng genommen kein Tor.

21.11.2007 / 12:34

Kommentar #22 von Ruben:

Kommentar #19 ist immer noch kaputt, ich werde mich beschweren.

21.11.2007 / 19:54

Kommentar #23 von bjoern:

weil ich einmal angefangen hab mich einzumischen... ich will an niemandes grundstudiumswissen zweifeln, hängt sicher auch von fach und die welt wär besser wenn es auf alles eine alleingültige antwort gäbe, sagen die faschisten, aber in der mathematischen anwendung auf die sich die vorherige diskussion bezieht wird dieses FAST nix vorraussetzung für die grenzwertige annäherung an den betrachtungspunkt oder, um im bild vom schritt am berg zu bleiben, ich muss diesen schritt machen weil ich sonst nicht weiss in welche richtung ich mich bewege.
folgender vergleich hinkt ein bisschen ist aber vielleicht ganz anschaulich: wenn ich eine zahl durch eine unglaublich kleine zahl dividiere kommt eine unglaublich grosse zahl raus, durch null kann ich aber nicht dividieren (nicht definiert)

21.11.2007 / 22:50

Kommentar #24 von Ruben:

Alles muss man selber machen. In #19 sollte stehen: Also noch hat mich mein Grundstudiumswissen nicht komplett verlassen, ich lass mich hier nicht so einfach lumpen: Es gibt nichts "unendlich kleines". Es gibt nur Umgebungen mit fester positiver Grösse, die aber stets durch eine Umgebung mit geringerer positiver Grösse unterboten werden können (in der dann im Konvergenzfall jeweils alle Glieder einer Argument- oder Fuktionswertfolge mit nur endlich vielen Ausnahmen liegen). Keine dieser Umgebungen ist "unendlich klein". Ich weiss nicht, was "unendlich klein" sein soll. Daher schlage ich mich auf Kathrins Seite: "Unendlich klein" ist null und nichtig.

21.11.2007 / 23:14

Kommentar #25 von Kai:

Der Grenzwert einer gegen Null konvergierenden Folge ist zwar null, die Elemente der Folge aber natürlich nicht. Björn hat zwar recht, wen er sagt, dass Division durch Null nicht definiert ist, aber eine wichtige Ausnahme besteht dann, wenn der Zähler des Bruches auch so eine Folge ist, und der Grenzwert 0/0 wäre. Dieser Unterschied ist das Herz der Differentialrechnung, und markiert, so gesehen, den Unterschied zwischen dem Grenzwert einer Folge beliebig kleiner (und ausserdem gegen Null strebender, das ist nämlich nicht dasselbe) Zahlen, und der Null selbst, der man nicht mehr ansieht, wie man sie erreicht hat, sozusagen: 0/0 ist nicth definiert, lim dx/dy für dx->0, dy->0 in der Regel aber schon.

21.11.2007 / 23:56

Kommentar #26 von bjoern:

na toll, und ich bemüh mich um bildhafte sprache... konvergenz erreicht aber nie identität und zumindest im bereich der reelen zahlen ist das vorhandensein einer grösse die komplementäre aussage zu null

22.11.2007 / 00:34

Kommentar #27 von Stefan Scherer:

An dieser Stelle sei es erlaubt, den kürzesten Mathematikerwitz einzuwerfen:
Sei epsilon kleiner Null.

22.11.2007 / 20:25