15.11.2007 / 10:16 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Riemanns Donut (135-152)

Wir befinden uns in einem grossen, dunklen Raum, in dem es leicht muffig riecht. Der Untergrund ist nass und schmierig, die Wände geben bei Berührung nach, und das seltsame: Es gibt kein Echo. Stattdessen hört man von draussen ein dumpfes Rumoren, manchmal ein Grollen, dazwischen lange Phasen der Stille. Es könnte sich um das Innere eines Kuhmagens handeln oder um den Folterkeller der Inquisition, oder aber auch um ein dickes Physikbuch am Ende von Kapitel sieben. Und dann, direkt am Anfang von Kapitel acht, fällt alles in sich zusammen und es wird licht und klar.


Oberflächlich betrachtet: Eine Riemannsche Fläche vom Geschlecht 1 (weil kein Griff). In Wahrheit: Riemannsche Fläche vom Geschlecht 2, weil innen hohl (oft). Foto: Kathrin Passig
Fünfzehn Seiten voll geometrischer Analogien, und Geometrie ist es, was Penrose hervorragend kann. Das gesamte Buch besteht aus handgezeichneten Abbildungen, hunderte, unzählige, in denen durch geschickte Punktwolkenanordnung 3D-Effekte erzielt werden. Man weiss nicht, ob Penrose die 3D-Punktwolke erfunden hat, ich verfolge Architektur nicht sehr aufmerksam. Aber die Penroseschen 3D-Punktwolken werden als zweites grosses englisches Kunstwerk (nach Stonehenge) in die Geschichte eingehen. Grandios zum Beispiel der Dickbeinhund auf Seite 146 (eine Riemannsche Oberfläche mit "null" Griffen – ja, Hunde haben keinen Griff). Wegweisend auch das abstrakte bein- und schnabellose 3D-Küken auf Seite 148, ebenfalls eine Riemannsche Ebene ohne Griff, und konformal identisch zu einer Standardkugeloberfläche. Ein sagenhaftes Gespür für Punkte.

Wenn man vorher gewusst hätte, dass Intuition und Geometrie, die beiden Reiter der, Moment, waren es nicht drei, einen in Kapitel acht wieder heraushauen, dann, dann, aber es ist müssig darüber zu spekulieren. Wenn Hitler gewusst hätte, dass er den Weltkrieg verliert, dann, naja, dann hätte er ihn vermutlich trotzdem angefangen, zugegeben. Es ist wundervoll, wie aus dem vieldeutigen komplexen Logarithmus auf der Riemannschen Spiralrampe auf einmal eine klare Zuordnung entsteht. So unmittelbar einsichtig, warum, Cauchy-Riemann-Gleichungen hin oder her, komplexe Funktionen differenzierbar sind oder nicht (sie müssen infinitesimal "glatt" sein). Fantastisch auch der Einbau des Punktes "unendlich" in das komplexe Zahlenwerk, durch Abbildung desselben auf der Innenseite einer Kugel, nämlich der von Riemann.

Riemann, Riemann, Riemann. Das erinnert mich daran, dass ich kürzlich noch die Riemann-Hypothese mit Hilfe von niedlichen Igelbildern erklärt habe. Manche im Saal fanden es gut, andere nicht so. Vermutlich geht es Penrose mit seinen Punktwolken so ähnlich.

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