13.11.2007 / 03:57 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Splendid isolation (89-97)


Descartes (weiss & wahrhaftig), isoliert. (Bild: Jono Rotten)
Als nächstes kommt das sogenannte Wachsbeispiel auf den Seiten 89 – 97 in der Reclamausgabe (S. 22 – 26 Meiner-Ausgabe). Dazu können Sie sich selbst was zusammenreimen, ich muss jetzt noch etwas anderes loswerden.

Da sind, finde ich, zwei ziemlich ungeheuerliche Bemerkungen im Descartestext. Erstmal behauptet er, dass nichts evidenter und leichter erkennbar sei als der eigene Geist. Er will damit sagen, dass es ein naives Vorurteil sei, dass die empirische Erkenntnis evidenter sei als die geistige – geschenkt. Es ist evidenter, dass ich denke, als dass ich irgendetwas so wahrnehme, wie es ist. Das sollte bei der ganzen Zweifelsmaschinerie in der 1. und 2. Meditation klar geworden sein. Aber leichter, ist das Geistige wirklich leichter zu erkennen? Sowas kann doch nur ein Mathematiker wie Descartes behaupten. Das sind Leute, die dann auch an Tafeln unter verzwickte mathematische Sätze schreiben: "Beweis: Trivial." – Und auch sonst sind Geist und Denken nicht immer so leicht transparent. Wissen Sie immer so genau, was Sie gerade denken? Ich nicht.

Dann behauptet Descartes noch, dass der Geist immer denke. Der Geist hat keine Aussetzer. Interessanterweise ist das eine These, die man weder beweisen noch widerlegen kann. Wenn man z.B. einen Filmriss hat, kann es ja dennoch sein, dass man in der Zeitspanne, die dem Gedächtnis fehlt, sich angeregt unterhalten hat oder komplexe Träume hatte. Aber was ist, wenn ich mich wirklich mal bewusstlos gesoffen habe und der res cogitans die Lichter ausgehen? Höre ich dann auch auf zu existieren, ich, dessen Existenz darin besteht, eine res cogitans zu sein? Darf man mich im Zustand tiefsten Rauschkomas ohne moralische Bedenken ins Jenseits befördern oder ähnliches? Meines Wissens nach taucht bei Descartes das erste mal in der Geschichte der Gedanke auf, das Wesen des Geistes bestehe in seinem aktuellen Vollzug. Vor Descartes war der Geist auch noch etwas Potenzielles (Stichwort intellectus possibilis in der Scholastik). Später wird Geist dann auch noch auf reines Bewusstsein reduziert (das ist er bei Descartes noch nicht). Heute diskutiert man fast nur noch über Bewusstsein, wenn man vom Geist-Körper-Problem spricht. Das sind massive Bedeutungsverschiebungen von Worten im Laufe der Geschichte, die man immer im, ähm, Geiste behalten sollte, wenn über 'Geist' diskutiert wird.1

Damit aber genug zur 2. Meditation. Was ist das Fazit bis jetzt? Der Vater der Neuzeit suchte die absolute Wahrheit, zweifelte alles an, was sich auch nur im Geringsten anzweifeln lässt, fand sein Ich als absolut wahrhaftig existierend, und sitzt nun da in seiner splendid isolation. Hände und Taschen sind leer, die Welt ist weggezweifelt, der eigene Leib ist weggezweifelt, Wissenschaften und Mathematik sind weggezweifelt, alles ist weggezweifelt. Sackgasse. Wie Gilbert Ryles 'Geist in der Maschine', ohne Ausweg. Er kann jetzt mit sich selbst Scrabble spielen, sein Weg als Wissenschaftler scheint hier zu Ende sein. Wie findet er wieder raus in die Welt, wenn er nur sein Ich zur Verfügung hat?

1 Z.B. ist auch das klassische Leib-Seele-Problem nicht dasselbe wie ein Geist-Körper-Problem oder gar ein Bewusstsein-Gehirn-Problem.

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