08.11.2007 / 20:16 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Cogito, ergo sum. (76-79)

Es ist ein bisschen paradox: Wenn es um das Wissen über die tiefsten Gründe der Welt geht, ist heute die Ungewissheit lieber als die Gewissheit. Da wird gerne Karl Popper nachgebetet, dass alle wissenschaftliche Erkenntnis vorläufig sei und auch falsch sein kann ("falsifizierbar ist", wenn man sich salbungsvoll ausdrücken will). Aber im Alltag wird sich furchtbar aufgeregt, wenn Ungewissheit über die Herkunft von Dönerfleisch herrscht, wenn man nie genau wissen kann, ob ein Produkt auch so sauber oder sicher ist, wie es einem erzählt wird, oder ob die Fahrzeiten der Bahn auch eingehalten werden. Wenn dann vor allem in der Lebensmittelfrage die Resignation Überhand gewinnt, heisst es: Man kann ja eh nichts 100% Sauberes mehr essen, selbst die Sojaprodukte der Veganer sind alle genetisch versaut, nix Gewisses weiss man nicht, es hat doch keinen Sinn mehr, eigentlich darf man gar nichts mehr essen, entweder man frisst das verseuchte Zeug, oder man muss aus der zivilisatorischen Nahrungskette aussteigen, sich in die Viktualienautarkie zurückziehen und abgekapselt auf einem Bauernhof sein Futter selbst herstellen. Ich schweife ab. Was ich sagen will, ist: So ähnlich funktionieren die 1. und die 2. Meditation von Descartes, nur halt auf dem Gebiet wissenschaftlicher Erkenntnis:

Descartes sieht alle Erkenntnis mit Zweifeln verpestet, seien es auch nur 0,1% böser Zweifel, dann konsumiert er die Erkenntnis nicht mehr, er will nur absolut sauberes Zeug, er zieht sich zurück in die Autarkie seines Selbst, weil die Welt da draussen stinkt. Auf dem Gehöft seines eigenen Denkens findet er dann die saubere Quelle: Ego cogito, ego sum, "ich denke, also bin ich". Das kann er nicht mehr anzweifeln, denn er kann nicht zweifeln, dass er zweifelt, man kann nur denkend denken, dass man denkt, Denken setzt voraus, dass es jemanden gibt, der denkt, etc. Heureka!

Aber langsam. Sehen wir zu, wie Desactes seine Entdeckung macht. Er sagt in seinem Geiste: "Ich ... denke ... also ..." – Stop! Sobald er beim Wort 'denke' ist, ist das Wort 'Ich' schon wieder weg. Es ist in der Erinnerung. Ist Erinnerung zweifelsfrei? Ne ne, da kann doch die böse Matrix zugeschlagen haben, die überall lauert. Die kann nicht nur realistische Träume vorgaukeln, sondern auch Erinnerung. Mist. Und auch: Sprache, Sprache, das hab ich doch irgendwo gelernt. Diese erlernte Sprache, mit der ich den Satz "Ich denke, also bin ich" ausspreche, ist die denn sicher? Kann doch auch nur ein Unfugding sein, das nur falsche Sätze produziert, die mir zwar richtig erscheinen, es aber gar nicht sind – genauso wie es Descartes bei den mathematischen Sätzen behauptet hat.

Das wird mir jetzt zu unheimlich. Ich gehe einkaufen. Bis später.

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