04.11.2007 / 11:29 / Sascha Lobo liest: Der ewige Spiesser (Ödön von Horvath)

Der ewige Spiesser


Eine gewisse Ähnlichkeit mit Joachim Lottmann muss man Ödön von Horváth zugestehen
Einen besseren Vornamen als Ödön von Horváth kann man schon mal gar nicht haben. Dabei ist es sehr leicht, schlechte Namen zu haben, exotische Gemüse etwa heissen oft hässlich. Topinambur hört sich noch nicht einmal ausgedacht an, Portulak mutet wie ein verunglücktes Portugal an und Tapioca wie der uneheliche Bruder von Noriega. Ödön aber ist die ungarische Version von Edmund, was wiederum Schützer des Besitzes heissen soll, was jedoch so wenig mit irgendwas anderem zu tun hat, dass ich diese Faktensackgasse verlassen möchte und direkt zum Buch "Der ewige Spiesser" komme.

Vielleicht sollte ich sagen, dass ich dieses Buch schon mal gelesen habe. Ich weiss nicht mehr ganz genau wann, aber es war in einer schwierigen emotionalen Gesamtsituation, es kann sich also nur um die Jahre 1991, 1992, 1993, 1995, 1997, 1998, 2000, 2001, 2002, 2003 oder 2004 handeln. Erinnerlich ist mir das Buch, weil es, so schrieb ich damals irgendwo auf, mir die beste halbe Stunde des gesamten Halbjahrs bescherte. Eventuell handelte es sich um 2004. Der Grund dafür ist einfach: Das Buch "Der ewige Spiesser" von Ödön von Horváth, ein Kurzroman aus dem Jahr 1930, enthält den lustigsten Satz der Literaturgeschichte. Ich muss wiederum etwas ausholen und erläutern, dass mich der Begriff "Bohème" seit vielen Jahren verfolgt, er gärte praktisch in meinem Kopf innen drin, bevor er sich dann in einem auch für mich überraschenden Seitenschlot 2006 heftig entlud. Dementsprechend heftig habe ich bei der Lektüre des Buchs reagiert, als auf Seite 181 kurz hintereinander erst der Begriff Bohemien und dann sofort der beste Satz der Literaturgeschichte auf mich einstürzte, ich erinnere mich doch wieder, es muss im Herbst 2004 gewesen sein, ich sass mit einer Flasche Augustiner in der abgewracktesten Strand- bzw. viel mehr Stegbar Berlins, dem Club der Visionäre, las diesen Satz und meine Atmung setzte aus. Mein Bewusstsein hatte sich regelrecht an dem Satz verschluckt, obwohl er sehr kurz ist, aber in seiner Wirkung glich er einer verschluckten Gaspatrone mit Zeitzünder.

Eventuell hat mich dieser Satz gerettet, denn ich war damals in eher desolater Stimmung und brauchte den monatlichen Weltvorrat an Selbstmitleid in der Regel in drei bis vier Stunden ganz allein auf. Von mir verfasste Texte aus dieser Zeit zeigen ein heute kaum mehr nachvollziehbares Mass an mir selbst vorgespielter Verzweiflung. Der Satz aber riss mich jählings heraus, ich bekam wieder Luft, der Himmel klarte auf, die Nacht wurde warm und der folgende Tag strahlte golden über meinem Kopf bis heute.

"Soziologisch betrachtet, stammte er aus k. u. k. Offiziers- und Beamtenfamilien, aber er hatte nie was übrig für das Bürgerliche. Er war der geborene Bohemien. Bereits 1905 ging er ohne Hut."


Kommentar #1 von Sascha Lobo:

Ja, ich weiss, es fällt einem schwer Kommentare zu schreiben unter einen solchen, geradezu humoresk erhabenen, entertainmentehernen Satz. Langsam könnte aber jemand einwenden, dass es sich gar nicht um den lustigsten Satz der Literaturgeschichte handelt und ich könnte dann widersprechen usw.

04.11.2007 / 20:12

Kommentar #2 von mopé:

kommt nicht in frage.

04.11.2007 / 20:52

Kommentar #3 von Ein Emphatiker:

wollte schon kommentieren, aber Ihre Depressionsbeichte hat mich selber depressiv gemacht.

05.11.2007 / 10:34

Kommentar #4 von Heiko Tänschel:

Das mit dem Super-Vornamen stimmt auch nicht, Ödön erinnert mich immer an Ödem, deshalb habe ich mir auch noch nie ein Buch von dem gekauft.

05.11.2007 / 11:38

Kommentar #5 von Schweinekacke:

Wann reden sie denn mal übers Buch – und nicht über sich?

14.11.2007 / 21:04

Kommentar #6 von Daniel E.:

fand den Eintrag so geil, dass ich mir sofort das Buch gekauft hab. Danke

09.06.2008 / 16:03

Kommentar #7 von meta:

krisenjahr 2007 :)oder vielleicht sehe ich die lustige seite nicht. Kontext bitte.

10.09.2008 / 13:30