02.11.2007 / 16:40 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Die Wurzeln der Wissenschaft (7-24)

Man muss natürlich im Urschleim anfangen. Im Unterschied zu den Urmenschen glauben wir heute daran, dass es im Universum einigermassen geregelt zugeht. Anlass dazu gibt u.a. die Tatsache, dass der grosse Lauf der Dinge offenbar komplett unabhängig ist von der Frage, ob man die Frau getötet oder das Abendbrot stehengelassen hat. Im selben Masse, in dem immer mehr Regeln in der Welt gefunden worden sind, haben sich unsere Götter stark verändert und haben jetzt z.B. keine Hörner mehr auf dem Kopf. Manche behaupten gar, es gäbe sie gar nicht mehr, was natürlich Quatsch ist: Wenn ich Gott wäre, würde ich mir auch eine Software "Gravity 0.9 beta" schreiben, die die Erde automatisch um die Sonne kreisen lässt, nur damit ich mich nicht jedes verdammte Jahr darum kümmern muss. Trotzdem darf ich ja wohl ab und zu unerwartet mit dem Fuss aufstampfen.

Wir überspringen hier ein paar Bronze- und andere Metallzeiten und kommen direkt zu Pythagoras und seinen Jüngern, wobei es sich um eine Art Geheimsekte handelte, von deren Erkenntnissen wir nur wissen, weil sich Spione eingeschlichten hatten. Interessante Vorstellung, Mathematik als Geheimdienst: "Hey, ich habe das rechtwinklige Dreieck erfunden." – "Pssssssst! Bist Du wahnsinnig?" – Als jedenfalls Pythagoras und Co. nach und nach immer mehr abstrakte Mathematik unters Volk warfen, trat gleichzeitig die Frage auf, ob diese Welt der Mathematik, allgemeiner: die platonische Welt der Ideen, wirklich existiert, oder ob wir sie uns nur ausdenken. Gibt es Zahlen wirklich, auch ausserhalb unseres Kopfes? Gab es den Mandelbrot-Apfel schon vor seiner Entdeckung? Andersrum: War das Fermatsche Theorem schon wahr, bevor es bewiesen wurde? (Wem auffällt, dass objektive Wahrheit und platonische Existenz hier nahezu synonym verwendet werden, der hat Penrose richtig verstanden.) Die Antwort lautet natürlich "ja, und wer es nicht glaubt: Tod durch den Strang".

Und jetzt zurück zu Gott, vermutlich zum letzten Mal für eine Weile. Die mathematische Welt, von deren Existenz wir überzeugt sind, regiert offenbar die physikalische Welt. (Vielleicht nicht alles, auf diese Meinung steht noch nicht die Todesstrafe, aber doch sehr grosse Teile davon.) Gleichzeitig regiert die physikalische Welt wesentliche Teile, evt. sogar alle, unserer mentalen Welt, auch wenn sich hier Descartes (siehe dort) unruhig im Grabe herumwirft. Aber solange mir niemand einen Geist ohne Körper zeigt, teile ich hier Penroses Vorurteil. Und zum dritten können wir mit unserem mentalen Weichteil da im Schädel drin wiederum grosse Teile, eventuell alle, der mathematischen Welt erfassen, sonst läge auch dieses dicke Buch nicht da, wo es jetzt liegt. Warum also ist es so, dass die physikalische Wirklichkeit so präzise der Mathematik folgt, von deren Existenz einige hier vermutlich immer noch nicht ganz überzeugt sind? Und wie kommt es, dass ein grauer Haufen aus Physik künstliche Gehirne erfinden kann? Wer da noch behauptet, die Welt sei frei von Mysterien, der soll stattdessen Mecki lesen.

Grosse Vorfreude auf die Quanglements.

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Aleks Scholz / Dauerhafter Link / Kommentare (1) / Buch kaufen und selber lesen


Kommentar #1 von Rudolf Stauner:

Wir Gehirnbesitzer verstehen eben leider nur, was wir selber gemacht haben. Und auch dies oft nur halb. Die Welt im Ganzen wird eben immer über unsere Hutschnur gehen. Und mit solch einem Gehirn echte Gehirne beschreiben, wird sowieso nicht klappen. Mir ist schleierhaft, wie es den Gehirnforschern gelungen ist, an Gödels Einsicht vorbei, solche Summen locker zu machen für ihre Spielchen mit den bildgebenden Untersuchungsmethoden. Sie werden den Trick des Gehirns, ohne ein Speicher im Computersinne zu sein, sich erinnern zu können, nie herausbekommen. Einer ihrer Hauptfehler ist, den sie sogar eingestehen: Sie messen immer Aktivitäten ÜBER dem Normallevel; was bei ihren Versuchen in den Gehirnregionen abrutscht vom normalen Aktivitätsniveau, können sie nicht erfassen.

07.11.2007 / 17:17