07.11.2007 / 11:04 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Follow the dead rabbit (86-102)


Foto, Lizenz
Seit gestern liegen zwei tote Kaninchen auf dem Parkplatz neben dem Institut, nur wenige Meter voneinander entfernt. Das ist seltsam, weil man die Tage davor nur ein Kaninchen dabei beobachten konnte, wie es an Myxomatose zugrunde ging; am Schluss bewegungsunfähig, von Fliegen gequält, Buckel am ganzen Körper, mit blutenden Augen. Wenn ein Buch mit dem Anspruch antritt, 'a complete guide to the laws of the Universe' zu sein, dann muss es ja wohl auch erklären, warum niedliche Felltiere von unansehnlichen Viren verunstaltet werden müssen. Jedoch kein Wort von Myxomatose, ja, nicht mal von Kaninchen im Index von The Road to Reality. Und statt "furry animal" steht da "fuzzy metric". Na toll.

Physikbücher, die für irgendeine Allgemeinheit verständlich sein sollen, funktionieren immer nach dem gleichen Schema. Zunächst geht es sehr langsam und bedächtig los, etwa über 5% des Gesamtumfangs. In dieser Phase kommt man gut klar, sieht aber nicht so recht, was das jetzt mit dem Urknall zu tun hat, aber, hey, wer weiss. Später wird sich herausstellen, dass man dieses Vorgeplänkel auch mit dumdidum (engl.: well, well, well) hätte vollschreiben können. Dann aber fällt dem Autor auf, dass er in diesem Tempo 20.000 Seiten braucht, und nicht nur 1000, und er zieht die Daumenschrauben kurz und heftig an. An diesem Punkt steigen 99% der Leser aus, und eigentlich könnte man alles, was danach kommt, wieder mit dumdidum bedrucken, niemand wird es je lesen. Bei Penrose wird dieser wichtige Übergang zwischen zwei dumdidum-Populationen vollkommen unterschiedlicher Natur auf cirka Seite 93 erreicht. Die Dichte an ernsthaften Gleichungen erreicht die kritische Schwelle von fünf pro Seite, und zugleich torpediert der unerbittliche Engländer den armen Trottel mit Aufträgen in Fussnoten: Do this. Spell this out. Check this. Show this. Show this (ignoring x=0). Wenigstens Ausrufezeichen hätte er zur Ermunterung einbauen können.

Ich habe das alles schon tausendmal erlebt und falle auf solche idiotischen Tricks nicht mehr rein. Niemand kann mir erzählen, dass Penrose diese Logarithmen und Potenzen von komplexen Zahlen und ihre geometrische Darstellung in der komplexen Ebene später noch braucht, bestimmt erzählt er uns das nur, weil, ähm, weil er eine schwere Kindheit hatte. Und deshalb sehe ich auch keinen Anlass, mein rudimentäres Vordiplomswissen in höherer Mathematik auszugraben, und verharre in einem diffusen, prä-komplexen Zahlennebel, komme, was da wolle. Man muss einfach immer weitermachen, immer weiter, das ist überhaupt das Wichtigste im Leben. Immer weitermachen. Manchmal, so wie hier, fühlt es sich so an wie Walk the Plank, jedoch immerhin.

Ich kann also jedem nur empfehlen, Kapitel 5 mit staunender Ignoranz zur Kenntnis zu nehmen. Penrose verwendet in diesem Kapitel circa zehn Mal die Worte "magisch" und "mysteriös", ein klares Zeichen, dass er selbst nicht weiter weiss. Ich gehe davon aus, dass er sich demnächst besinnt und das restliche Buch mit Bildern gesunder Kaninchen füllt.

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Aleks Scholz / Dauerhafter Link / Kommentare (3) / Buch kaufen und selber lesen


Kommentar #1 von in nomine Schrödinger:

Erwin Schrödinger sagte hierzu: "Eine Wissenschaft, die sich nicht dessen bewusst ist, dass die Begriffe, die sie für relevant und wichtig hält, letztlich dazu bestimmt sind, in Begriffe und Worte gefasst zu werden, die für die Gebildeten verständlich sind, und zu einem Bestandteil des allgemeinen Weltbildes zu werden – und eine theoretische Wissenschaft, sage ich, in der dies vergessen wird und in der die Eingeweihten fortfahren, einander Ausdrücke zuzuraunen, die bestenfalls von einer kleinen Gruppe von Partnern verstanden werden, wird zwangsläufig von der übrigen Kulturgemeinschaft abgeschnitten sein; auf lange Sicht wird sie verkümmern und erstarren, so lebhaft das esoterische Geschwätz innerhalb ihrer fröhlich isolierten Expertenzirkel auch weitergehen mag."
Das spricht für sich, meine ich.

07.11.2007 / 14:05

Kommentar #2 von Aleks:

Das stimmt zwar, aber in einer Umgebung, in der Wissenschaftler vorwiegend dafuer bezahlt werden, wie gut sie ihre "kleine Gruppe von Partnern" beeindrucken koennen, und das Uebersetzen ihrer Begriffe in Allgemeingut unbezahltes, zudem anstrengendes Hobby und somit freiwillig ist, kann man ja wohl kaum, ich weiss nicht, aber die zweite Satzhaelfte ist oft so unnuetz.

07.11.2007 / 14:25

Kommentar #3 von Roland:

So, ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Genauso fuehlt sich die Penrose-Lektüre an: Komplexe Zahlen, Trigonometrie, meine 80er Jahre in der Sekundarstufe 1. Penrose ist mir in dieser Zeit auch das erste Mal über den Weg gelaufen, in Kolumnensammlungen von Martin Gardner und in den Erläuterung zu meiner Escher-Gesamtausgabe. Es wurde also Zeit.
Wahrscheinlich sollte ich während des Lesens auch wieder Dead Kennedys hören. Komme mir aber komisch vor, sie aufs Handy zu spielen.

08.11.2007 / 13:50