06.11.2007 / 18:02 / Sascha Lobo liest: Der ewige Spiesser (Ödön von Horvath)

Der ewige Spiesser


Diesem Spruch auf einer Klowand 2006 zu Berlin wohnt ein Mini-Ödön inne, was ja wohl das grösste Kompliment für einen Klospruch sein dürfte.
Antifaschist sein ist heute einfach und schnell zu erledigen, viele engagierte Kämpfer gegen die braune Brut überfliegen heute in der Mittagspause einen kurzen Ausschnitt der 4000-teiligen Serie "Hitler und so" des Spiegel, unterschreiben online für ein vollständiges Verbot von Sachsen und fühlen sich damit in ihrer politischen Haut pudelkernwohl. 1930 aber war es etwas schwieriger, gegen Nationalismus und Faschismus zu sein, weil die offensichtliche Verbindung von faschistoidem Wort und unmenschlicher Tat noch bezweifelt werden konnte. Deren Nährboden jedoch war schon zu erkennen und konnte – entsprechende Feinfühligkeit vorausgesetzt – ähnliche Schwingungen der Widerwärtigkeit verursachen wie heute: der Geist des Spiessers, hier im ursprünglichen Sinn als nationalegoistischer, sich ständig von dunklen Mächten bedroht fühlender Blickwinkelzombie. Ödön schreibt in einer drittelseitigen Einleitung, dass es eine neue Form des Spiessers gibt, die erst noch im Werden ist:

Es soll nun versucht werden, in Form eines Romans einige Beiträge zur Biologie dieses werdenden Spiessers zu liefern. Der Verfasser wagt natürlich nicht zu hoffen, dass er durch diese Seiten ein gesetzmässiges Weltgeschehen beeinflussen könnte, jedoch immerhin.

"Jedoch immerhin." – ein Halbsatz wiederum reicht, um tonnenschwere Resignation und trotzdem den notwendigen Kampf auszudrücken; abgesehen davon dürfte es sich um den Urahn des heute unverzichtbaren "Aber hey!"-Arguments gehandelt haben, mit dem Kausalketten zwar nicht umgedreht werden können, aber hey!

Der Protagonist des Buchs heisst Alfons Kobler und pendelt charakterlich mühelos zwischen verschiedenen Aggregatzuständen: mal ist er windig, dann wieder schmierig und auch das Starre geht ihm leicht von der Hand. Wo man politisch sein sollte, ist er uninteressiert, wo man menschlich sein sollte, ist er politisch reaktionär. Er lebt von einer Mischung aus Schleimerei und Betrügereien, er ist ein Verkäufer, der sich für einen Kaufmann hält, handeln und übervorteilen scheinen ihm gleichbedeutend. Das Neue an Koblers Spiessigkeit ist nun, dass er sich auf eine Art für progressiv hält – die eingebildete Fortschrittlichkeit verpackt er in Floskeln:

Nämlich habe ich mir schon oft gedacht, dass man das Ausland kennenlernen soll, um seinen Horizont zu erweitern ... denn man muss sich mit den Verkaufsmethoden des Auslands vertraut machen.


Kommentar #1 von auch ein Herumblätterer:

Um zu sehen, wie die Menschen des ersten Drittels des vergangenen Jahrhunderts in den bekannten braunen Reichsschlamassel hineingeschliddert sind, kann man auch mal chronologisch die kleinen Essays von Walter Benjamin aus dieser Zeit lesen. Man erkennt sofort: In allen intellektuellen Köpfen dieser Zeit, rechten und linken, die gleiche ins potentielle Unrecht abrutschende Sprache, Stichwort damals: Revolution von oben. Ein typischer Typ dieser Zeit: Arnold Bronnen, der hat den Schwung von links nach rechts und wieder (halb) zurück spielend geschafft. Er konnte erst mit Brecht und dann genauso elegant mit Gundolf, Goebbels und Jünger.
Diese Glatten zeigen jedem, wie rutschig der sogenannte Geist sein kann, den andere auch das falsche Bewusstsein genannt haben.

07.11.2007 / 16:22