09.07.2011 / 23:48 / Viele lesen: Klagenfurttexte 2011

Romanauszug


Theatercafé Klagenfurt, Home of my Heart. Foto von Angela Leinen
Nachdem ich die Geschichte einmal überflogen habe, schau ich mir noch die Aufzeichnung auf 3sat an. In der kurzen Ansprache am Anfang macht Gunther Geltinger darauf aufmerksam, dass er manchmal leicht stottert, und bittet um Nachsicht. Er erwähnt gleichzeitig, dass auch der Junge in seiner Erzählung mit diesem Leiden geschlagen ist.

Wie jetzt? Soll das heissen, dass es sich um seine eigenen Erinnerungen handelt? In seinem Videoportrait stottert er aber nicht. Oder sind die kurzen Pausen, die er beim Lesen macht, Teil einer Inszenierung, um Spannung zu erzeugen? Eigentlich könnte es mir ja egal sein, ich könnte das Verwirr-Spiel um Erzähler ist gleich oder eben nicht Autor vielleicht sogar geniessen. Allein, die Möglichkeit, der Autor kämpfe mit Sprachproblemen, bedeutet auch, er selbst könnte Opfer eines ähnlich grausamen Schicksals wie sein Hauptdarsteller geworden sein. Was bei mir Mitleid hervorruft und meinen inneren Literaturkritiker in Konflikte bringt, der Autor hat es doch eh schon schwer genug, ausserdem macht man das nicht, jemanden hänseln, der stottert.

Es ist der Gedanke, Geltinger selbst könnte diesen Horror als Kind erlebt haben, der mich etwas wie Empathie für den Jungen in der Geschichte entwickeln lässt. Beim Lesen lässt mich das geschilderte Unglück eher kalt, es gibt einen kurzen Moment des Hasses auf die Mutter, als sie sich zum Sterben ins Bett des Sohnes legt, aber es ist ein lauer Hass. Auch die Kacke-Kotze-Sperma-Arie reicht nicht aus, um die Figuren für mich lebendig werden zu lassen.

Romanauszüge sind für die Zuhörer oft schwierig, es muss weit ausgeholt werden, die verschiedensten Handlungsstränge werden eingeführt. Was an Stimmigkeit einer abgeschlossenen Geschichte nicht erreicht werden kann, könnte durch die ausgelöste Neugierde aufgewogen werden; ich bleibe gerne unbefriedigt, wenn man mich mit lauter losen Enden entlässt, wenn ich dafür Figuren und Konstellationen kennengelernt habe, die mich so sehr interessieren, dass ich mehr von ihnen lesen möchte.

Hier interessiert mich der angerissene Konflikt zwischen der künstlerischen Mutter und den drögen Verwandten erst mal nicht so, was nicht zuletzt an der Ausstattung und am Kostüm liegt. Die Mutter mit ihren "Seidenfetzen, die kaum etwas verhüllen", die leere Flaschen und Tablettenpackungen produziert, kenne ich ebenso aus unzähligen Filmen und Geschichten wie die "bereits aus der Form gegangene Tante mit ihrem speckigen Morgenrock, den Filzpantoffeln" und den grausamen Söhnen – ich weiss auch schon, wie es weitergeht.
Dann freue ich mich aber doch darüber, wie die Tante der Mutter, kaum ist die tot, den Satz "mein armer Junge" "abluchst".

Was mein Interesse weckt, sind die kleinen Szenen zwischen Mutter und Sohn, etwa wenn der Sohn die Mutter nachäfft, wie sie die Zigarette statt der Gabel in den Mund steckt, und beide lachen, oder wie er für sie den alten Mann ohne Zähne mimt, wie er sich für sie im Kaputten einrichtet, weil es ihre gemeinsame Intimität bedeutet.

Dennoch wäre es kein Roman, den ich lesen möchte, zu sehr habe ich das Gefühl, dass es sich bei den Bildern und Figuren um Stereotype handelt. Spinnen weist in seinem Plädoyer für diesen Romanauszug darauf hin, es liege in der Natur der Literatur, dass die immer gleichen Genres sich wiederholen, und man könne den guten Autor letztlich an seiner einzigartigen Stimme erkennen, mit der er das immer Gleiche erzählt. Mir ist diese Stimme hier zu wenig eigenständig. Als Beispiel sei die eingangs beschriebene kalte Winterlandschaft genannt, die auf den Seelenzustand des Jungen hinweist, der sich in "einer langen, vielleicht lebenslänglichen Kälte", befindet, "wenn Kälte überhaupt eine Beschreibung für den Zustand ist".

Wieder geht mir durch den Kopf, dass hier vielleicht wahre Ereignisse abgebildet werden und dass die echte Mutter und Tante des Autors als Vorbilder gedient haben und ich bezichtigte mich der Herzlosigkeit. Es hilft aber nichts, sie interessieren mich deshalb nicht mehr.

Der Autor trifft mich in einem ungeheuer schlecht gelaunten Zustand an. Ich sitze hier inmitten von Arbeit am Schreibtisch, wo mir der Kaffee ausgegangen ist, während ALLE anderen ihren "Grossen Braunen" beim Public Viewing im Freien einnehmen, danach radeln sie ins Maria Loretto und springen in den kühlen Wörthersee. Später tanzen sie dann um den Lendkanal, wo Tex auflegt, bevor sie gemeinsam den Abend mit anregenden Gesprächen im Theatercafé ausklingen lassen. Das Leben ist so ungerecht, verdammte Kacke Kotze.

Michaela Gruber / Dauerhafter Link


Kommentar schreiben

Name:

Eigene Meinung:

HTML geht aus Sicherheitsgründen gar nicht.
Links werden aus Spamgründen nicht automatisch in anklickbare Links umgewandelt.
Fett geht [b]so[/b], kursiv [i]so[/i] und durchgestrichen [strike]so[/strike].