29.06.2010 / 23:22 / Viele lesen: Klagenfurttexte 2010
Schottland, einzige postapokalyptische Landschaft Europas (Foto)
Es gibt genau zwei Dinge, denen ich vollkommen unkritisch begegne, und zwar Geographie und Postapokalypse. Dorothee Elmigers Einladung an die Waghalsigen hat beides und kann daher gar nicht verlieren*. Beim ersten Hören blieb der Sinn angenehm unscharf (ringsum angestrengte "hä"-Laute im ORF-Pressezentrum), aber die Wörter kamen sofort durch. Wenn es eine Gattung der Superwörter gibt, dann ist dieser Text voll davon: Flugmaschinen, Mekongdelta, Hotzentötzbrücke, eine lange Liste von Wüstennamen. Wüstennamen sind die Grosswesire unter den Superwörtern.
Inhaltlich geht es wohl um zwei Schwestern, die versuchen, sich in einer verwüsteten Landschaft mit Fördergerüsten und Schienensträngen zurechtzufinden, wobei sie vor allem auf Bücher angewiesen sind, viele verschiedene Bücher. Wenn man vorher John Hillcoats The Road gesehen hat oder wenn man einmal in den schottischen Highlands war, ist es nicht schwer, sich die Gegend vorzustellen, speziell wenn gleichzeitig Samuel Barbers Adagio for Strings läuft**, keine Ahnung, wie last.fm das macht. Genau wie bei 'The Road' auch diffus im Unklaren die Ursache des Weltuntergangs, irgendein Feuer, irgendwelcher Aufruhr, man weiss es nicht, und wer will das auch hinterher noch wissen.
Die Ortsangaben im Text ergeben keinen rechten Sinn; die Geschichte spielt in einem Kohlerevier, die Orte heissen St. Beinsen, Belkenburg, Wildenstadt, Wärgl, alles Orte, die vage in der Schweiz liegen könnten, bei denen Google Maps jedoch hilflos mit den Schultern zuckt. Stattdessen behauptet die Erzählerin, Rosa Stein, ein in diversen Büchern erwähnter Fluss Buenaventura würde, ihren Nachforschungen zufolge, durch dieses Gebiet fliessen. Im Text fliesst der Buenaventura durch Florida, in einen grossen See oder in den Pazifik, eindeutig aber in Nordamerika. Oder vielleicht auch in Italien, wie man später erfährt. Entweder wünscht sich Rosa Stein diesen Fluss und geht ihn deshalb in ihrem deutschsprachigen Kohlenrevier suchen, oder aber die Geschichte ist prinzipiell geographisch verwirrt und Missouri liegt direkt neben dem chinesischen Meer. Mir ist das natürlich vollkommen egal.
Die Liste der gutzufindenden Dinge ist lang, aber ganz oben steht der Optimismus, der am Ende übrigbleibt (wieder Parallele zu 'The Road'). Es ist leicht und ein bisschen trivial, das Ende der Welt als genau das darzustellen, aber zwar die Verzweiflung durchblicken zu lassen ("Wir sind wohl zu spät gekommen."), den ganzen Dreck zu akzeptieren und trotzdem auf irgendeine Weise hoffungsvoll zu sein ("Wir müssen zu Recht behaupten, dass dieser Zustand nicht der letzte ist."), trotz allem nicht zu jammern, sondern entschieden 'muss auch so gehen' zu konstatieren, das, also, das wünsche ich mir von der postapokalyptischen Literatur, wenn es dann noch Literatur geben sollte. Sollte es sie dann nicht mehr geben, wünsche ich mir, dass Wassermann mir Elmigers Buch zuschickt, von mir aus auch mit Anstreichungen.
noch nicht existierende Praxis: mit Tierkörpern durch die Wohnung gehen
unklare Metapher: das Fell des Pferdes
wiedererkanntes Personal: Karl Danz, erster Trompeter der örtlichen Blasmusik, ist der Vater eines Schulfreundes von damals, wohnhaft in Salmünster
* und tut es dann auch nicht: Gewinnerin des Kelag-Preises und des Preises der Automatischen Literaturkritik der Riesenmaschine
** Das ist jetzt keine kulturhistorische Angeberei, sondern die Titelmelodie eines total bekannten Kriegsfilms.
Aleks Scholz / Dauerhafter Link / Kommentare (3)
Kommentar #1 von Angela Leinen:
Das Adagio for Strings steht bei mir auch ganz oben auf der Liste: "Musik für mit dem Auto gegen einen Alleebaum zu fahren".
Falls man's mal braucht.
30.06.2010 / 08:42
Kommentar #3 von JM:
The Road sollte man lesen. Und bitte kein Vergleich hiermit.
Zu den kleinen Fäusten: Schönes Bild. Die dafür verantwortliche Band taugt aber auch hervorragend als Soundtrack...
04.07.2010 / 01:37