14.10.2008 / 23:33 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Von Dingen und anderen Sachen


Auch so ein Ding: Ein gutes Buch.
Einem schlichten, aber geschätzten Weltbild zufolge besteht die Wirklichkeit aus einer dicken Raumzeit-Blase namens 'Universum' und einem Haufen Gerümpel, welches in dieser Blase herumfliegt: Galaxien, Sterne, Moleküle, Elementarteilchen, Bäume, Tiere, Hemdknöpfe und Hochhäuser insolventer Kapitalgesellschaften. Aber auch Beine, Nasen, Nieren und Gehirne. All diese Dinge haben gemeinsam, dass sie eben Dinge sind. Der Philosoph David McNaughton sprach vom 'furniture of the universe', dem Mobiliar des Universums – all die Gegenstände, mit denen das Universum so eingerichtet ist. Aber was ist mit Gedanken, Zahlen, Symmetrien, ethischen Werten, Gefühlen, Insolvenzhaftungen oder dem nackten Ich in mir? Sind das auch Gegenstände wie Hochhäuser und Nierensteine?

Als wir unsere schweifende Aufmerksamkeit der 6. Meditation von Descartes zugewandt hatten, haben wir gesehen, dass es für Descartes eine mögliche Welt gibt, in welcher der Geist ohne Körper existieren kann. Mein Geist und mein Ich sind also treffliche Kandidaten für Universumsmöbel. Und so sagt Meister Descartes auch: Der Geist ist ein Ding, eine res cogitans. Oder, im Fachjargon: Eine vollständige Substanz (wobei mit 'Substanz' in der Philosophie kein chemischer Stoff gemeint ist, sondern einfach ein, nunja, Ding). Und dies war für Descartes' zeitgenössische Kritiker eine ziemlich heftige Ansage. Denn die Philosophen hatten vorher jahrhundertelang gelehrt, dass der Geist nur eine sogenannte 'unvollständige Substanz' sei. Das heisst: Der Geist ist ohne Körper so unvollständig, dass er in keiner möglichen Welt als eigenes Ding herumexistieren kann. Er kann höchstens ausserhalb aller möglichen Welten unter bestimmten Sonderkonditionen sein Dasein halten: Nach dem Tod von Gott getragen, solange, bis am Jüngsten Tag die Welt renoviert und ihm ein neuer Leib geschenkt wird.

Descartes hat also recht wuchtige Vorstellungen von der Natur des Geistes und seiner Unabhängigkeit vom Körper: Er hat den Geist quasi verdinglicht. Für eine breite Tradition an Denkern, die von Aristoteles über Thomas von Aquin bis zu Ludwig Wittgenstein reicht, ist das Mentale hingegen kein 'Ding', sondern eher ein komplexes System von Dispositionen und Kapazitäten eines ganzen Organismus im Zusammenspiel mit seiner Umwelt.

Letztens hatte ich oben abgebildetes Buch in den Händen, von einem gewissen David Braine über Philosophy of mind. Er vertritt eine hochinteressante These: Der heutige Materialismus, der alles Mentale auf Materie reduzieren will (insbesondere auf das Gehirn und sein Funktionieren als Zentralprozessor der Körpermaschine) bekämpft Descartes bekanntlich bis aufs Messer. Descartes ist schliesslich nicht umsonst der grosse Anti-Materialist in Sachen Geist und Seele. Aber: Indem Descartes den Geist verdinglicht hat, hat er überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, ihn mit dem Gehirn zu identifizieren. Um etwas mit einem Ding zu identifizieren, muss man es erstmal zu einem Ding machen. Wenn aber der Geist gar keine solche Ding-Entität ist, kann man ihn schwerlich mit einem paar Kilogramm schweren Klumpen Eiweissschleim gleichsetzen.

Mit anderen Worten: Der Anti-Materialist Descartes ist der Vater des modernen Materialismus. Ich finde das ziemlich überzeugend und ein schönes dickes Ding zum langsamen Ausklang der Dingsbums-Lektüre.


Kommentar #1 von RKS:

Lieber Ruben Schneider: ein elegantes Ende, kein "schönes dickes Ding", eher ein schwungvoller Tanz im Sinne des Gedanken eines Peter Fuchs: Man solle sich immer Fragen und dieses Erfragte bedenken: Wie unterscheidet sich der Tanz vom Tänzer? Der Tänzer verschwindet mit seiner letzten Pirouette in den Kulissen: Wo ist jetzt der Tanz? Fuchs spielt hier auf Leibniz an, der zu bedenken gegeben hatte: Ginge man – in Gedanken – durch ein Gehirn, so wie man durch eine Maschinenhalle gehen kann, dann sähe man vieles, aber eines sähe man nicht: Das Bewusstsein. Und dies schliesslich, obgleich alles individuelle Bewusstsein "weg" ist, wenn der das zuvor dieses Bewusstsein erscheinen hat lassende Körper eben feststellbar – durch ein anderes Bewusstsein – tot ist.
Bleiben Sie uns, bitte, schreibend und denkend erhalten. Alles Gute

20.10.2008 / 20:18

Kommentar #2 von Ruben:

Vielen Dank. Ganz zu Ende ist es noch nicht, da kommt noch was. Und danach ein anderes Buch.

20.10.2008 / 20:24

Kommentar #3 von Rudi K. Sander:

Mein lieber Ruben: Eine schöne, fast abschliessende Stelle für Sie gefunden:
"Descartes war ja nur auf der Suche nach einer Methode des zweifelsfrei gewissen Wissenserwerb. Er fand sie nie und sollte eher wegen seiner >morale par provision<, seiner sehr rheinischen Art des Sicheinrichtens in einer Welt des Vorübergehenden, gewürdigt werden als wegen seiner Idee einer Methode, die vom Unterschied zwischen Denken und Sein ausgeht". (Dirk Baecker: "Nie wieder Vernunft", Kleinere Beiträge zur Sozialkunde, Carl Auer Systeme Verlag, Heidelberg 2008, Seite 493; ISBN 978-3-89670-622-5).
Herzliche Grüsse RKS.

22.11.2008 / 12:23

Kommentar #4 von Rudi K. Sander:

Lieber Ruben,
noch ein kurzes Zitat aus dem selben Buch: "Mit dem kartesischen Dualismus von Geist und Materie fällt auch die beruhigende Aussicht darauf, dass wir uns aus der Welt heraushalten können, wenn wir etwas über sie herausfinden", (Seite 114). Sprich: Verantwortung als persönliches Einstehen für alles, was man sagt und schreibt; das wäre die "sich zeigende Ethik", über die man nicht sprechen soll, des Heinz von Foerster.

23.11.2008 / 15:31