23.08.2008 / 18:30 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Stream of unconsciousness (191-209)


Völlig leer: Ein p-zed. (Bild: Eric Ingrum, Lizenz.)
Angenommen, nach langem Warten sind endlich Aliens auf die Erde gestossen. Es handelt sich um eine uns weit überlegene Spezies mit einer hochentwickelten Wissenschaft und Technik. Sie haben einen Replikator dabei, der jedes physische Ding absolut perfekt reproduzieren kann, so dass Replikat und Original ununterscheidbar sind. Dabei werden nicht nur die statischen, sondern auch die dynamischen Eigenschaften (z.B. ein bestimmter Bewegungsimpuls) vollständig übertragen. Diese Spezies will nun nicht nur Waffen und Rohstoffe, sondern auch Menschen duplizieren. Was passiert dabei?

Wenn der Materialismus wahr ist und Körper und Geist identisch sind, müsste das Replikat dieselben mentalen Eigenschaften wie das Original haben. Man hätte zweimal die gleiche Person. (Was passiert dann in dem versicherungstechnisch interessanten Fall, dass beide aufeinander losgehen?) Nach Platon hingegen müsste der Replikator einen toten menschlichen Körper erzeugen, da die Seele das Prinzip des ganzen Lebens ist, des vegetativen und mentalen, und sie nicht reproduziert werden kann. Für Descartes aber würde man einen lebenden menschlichen Körper vorfinden, der jedoch ohne Verstand, Empfindungen und Gedanken, also völlig ohne Bewusstsein ist: Einen metaphysischen Zombie (p-zombie oder p-zed).

Es gäbe demnach eine mögliche Welt, in der überhaupt nur p-zombies leben: Eine reine zombie-world. Dort läuft alles nach zombie-world-physikalischen Sukzessionsgesetzen ab und durch reinen Zufall ergeben sich die gleichen Ereignisse wie bei uns, nur gänzlich ohne Bewusstsein. Die p-zombies beginnen ihren Tag wie wir, gehen in ihr Zombie-Café und nehmen ein Zombie-Frühstück zu sich und führen Zombie-Gespräche, reissen Zombie-Witze und gucken Zombie-Filme, ihr ganzes Zombie-Leben gleicht äusserlich dem unseren – nur innen drin in ihnen ist alles leer. Da passiert gar nix. Ein ausschliesslicher stream of unconsciousness.

Körper und Geist, res extensa und res cogitans, sind für Descartes also zwei für sich funktionierende Entitäten. Auch der Geist könnte in einer möglichen Welt für sich existieren, als free floating spirit in einer spirit-world. Aber dort ist nicht der ganze Bewusstseinskram vorhanden, der der zombie-world fehlt. In der spirit-world empfinden nicht reine Geister vor sich hin, freuen sich oder sind depressiv, sind verliebt oder zänkisch und erquicken sich an einer reichhaltigen Imagination. Denn Emotionen und Imagination entstehen für Descartes nur, wenn ein Geist in einem p-zombie implementiert wird: Sie entstehen aus der Leib-Seele-Einheit. In der Geisterwelt betreiben die Geister nur rein emotionslose, abstrakte Wissenschaft, sie führen apathisch mathematische Beweise und bauen blutleere philosophische Theorien (etwa über Zombie-Welten). Eine Welt voller Nerds.

Geist und Körper sind in unserer Welt nach kartesischer Theorie nicht einfach zusammengepappt wie zwei Bauklötze. Sie bilden eine substanzielle Einheit. Ein ganzer Kosmos an Bewusstseinsphänomenen resultiert aus dieser Vereinigung. Unsere Seele, schreibt Descartes, hätte keinen Anlass, auch nur einen einzigen Augenblick mit dem Körper verbunden zu bleiben, wenn sie dadurch nicht lauter angenehme, lustvolle und nützliche Gemütsbewegungen erhalten würde, die die gesamte Annehmlichkeit des Lebens ausmachen. Der Geist ist ein ziemlicher Hedonist.

209 von 229 Seiten

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Kommentar #1 von Aleks:

Kann man aus der Tatsache, dass auch Menschen Zombie-Filme sehen und Zombie-Witze reissen, eigentlich schliessen, dass Menschen in Wahrheit Zombies sind und kein Bewusstsein besitzen? Beziehungsweise wie koennen Zombies ein Leben fuehren wie wir, wenn sie kein Bewusstsein haben? Heisst das, Bewusstsein ist gar nicht notwendig fuer das normale menschliche Dasein? Und was unterscheidet uns dann, um zur Ausgangsfrage zurueckzukommen, von Zombies?

23.08.2008 / 20:22

Kommentar #2 von Aleks:

Ausserdem finde ich interessant, dass sich durch Kombination von Zombie und Nerd ein vollwertiger Mensch ergibt. Darueber sollte mal jemand einen Film drehen, ehm.

23.08.2008 / 20:24

Kommentar #3 von Ruben:

Ich muss zugeben, dass ich mich jetzt schon recht weit von Descartes' Sprache entferne. Die zombie-world wurde von David Chalmers eingeführt, aber es illustriert den Dualismus ja ganz hübsch. Die zombie-world ist wie, wenn man ein Basketballspiel auf rein naturwissenschaftlicher Ebene beschreibt, alle Ortsveränderungen, Impulse, etc. in vollständiger Form erfasst und alle Bewusstseinsphänomene wie Gedanken, Emotionen, Absichten usw. dabei ausblendet. Das Spiel passiert trotzdem auf genau die Weise, wie es die physikalische Beschreibung darstellt. Die Behauptung ist, dass eine solche Welt von bewusstlosen counterparts möglich ist. Und wenn unser mentales Leben nur ein illusorisches Epiphänomen ist, das die unabhängig ablaufenden und rein physikalischen Prozesse unseres Körpers begleitet, dann ist unsere Welt auch eine Art zombie-world.
Descartes würde dagegen sagen: Die mentalen Zustände folgen nicht notwendig rein aus dem physischen Substrat. Da muss noch etwas anderes dazukommen, eine mentale Entität, die ein System für sich ist. Ein grosser Teil der mentalen Zustände folgt dann aber nicht nur aus dieser geistigen Entität, sondern aus dem Zusammenwirken mit dem physischen Körper. Aber die mentale Entität wirkt kausal auf die physische Welt ein.
Platon und Aristoteles würden hingegen die Möglichkeit einer zombie-world bestreiten: Ohne Bewusstsein funktioniert gar nichts wie bei uns, dann liegen nur Leichen rum.

23.08.2008 / 21:00

Kommentar #4 von Aleks:

Ich glaube, Platon und Aristoteles sind deutlich naeher an meinem Verstaendnis von Friedhoefen. Gute Leute, vermutlich, wo arbeiten die zur Zeit?

23.08.2008 / 22:04

Kommentar #5 von Ruben:

Woher soll ich das wissen, ich kenne diese Leute nicht.

23.08.2008 / 22:12

Kommentar #6 von Aleks:

Die Frage ist doch: Wuerde Aristoteles auch so denken, wenn er ein Zombie waere? Moment, ich frag ihn mal.

23.08.2008 / 22:14

Kommentar #7 von André:

Um mal zu Aleks' Ausgangsfrage zurückzukommen: "Und was unterscheidet uns dann, um zur Ausgangsfrage zurueckzukommen, von Zombies?"
Vermutlich die Tatsache, dass wir (naja, einige von uns) uns diese Frage überhaupt stellen. Meine Vermutung: Zombies sähen das genau so.

26.08.2008 / 15:54

Kommentar #8 von Ruben:

Ich muss mich korrigieren: Ein reiner Geist hat bei Descartes eine Emotion, nämlich reine Liebe. Am Ende seiner Affektenlehre über die "passions de l'âme" bringt er das. Ein reiner Geist ist also nicht nur ein Nerd, sondern auch voll lieb.

26.08.2008 / 21:08