18.07.2008 / 13:37 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Res cogitans in Wacholderschinken


Cartesischer Geist (Bild: Ruben Schneider).
Was an besonderen Schlagworten von René Descartes kleben geblieben ist im Wachbewusstsein des Abendlandes, ist wohl irgendwas mit "Cogito, ergo sum" und die Trennung von Geist und Materie. Gerade an letzterem Punkt scheinen sich kontemporäre Weltbildentwickler besonders abzuarbeiten. Was sich in unserem Kopf so abspielt, diese zweifelsohne wichtigen und oft auch lästigen Bewusstseinsphänomene, ist das nun bloss die neuronale Aktivität in einem Klumpen Eiweissschleim zwischen paar Schädelwänden, oder ist es tatsächlich ein immaterieller Flattergeist?

Descartes, der Kopfmensch, der sich an seinem Rationalismus aufgeilt, Descartes, der Leibfeind, hier in der 6. Meditation beweist er überhaupt erst die Existenz der Materie und vollzieht angeblich die radikale Trennung von Geist und Körper: Beides eigenständige Entitäten für sich. Damit gilt er als der grosse Bösewicht, der den Menschen auseinandergehackt hat in zwei Teile, er ist der Buhmann der ganzheitlichen Medizin, die Materialisten finden ihn sowieso von Beruf scheisse und offenbar ist er auch das erklärte Feindbild weiter Teile der Hirnforschung. Gerade durch deren Forschungsergebnisse scheint die Cartesische Philosophie tausendfach widerlegt zu sein, denn immer mehr Bewusstseinsphänomene lassen sich, wie man hört, auf neurobiologische Ereignisse reduzieren.

Nachdem ich mich jetzt wiederholt durch die 6. Meditation und ihre Einwände gequält habe, bin ich inzwischen vollkommen aus der Spur, was meine Meinung über Descartes' Thesen angeht. Seine Philosophie ist zu komplex, als dass man sie pauschal kritisieren könnte. Ich kann meine Eindrücke momentan nur als provokante Bemerkungen in den Raum werfen:

· Er behauptet in Wahrheit nirgendwo die Trennung von Geist und Körper.

· Er sagt hingegen, Geist und Körper seien so eng verbunden, dass sie gleichsam vermischt (quasi permixtum) sind. Und er meint, in bisher unübertroffener Weise die Einheit von Leib und Seele bewiesen zu haben (und ich halte diesen Beweis auch für famos).

· Was er behauptet, ist die Wesensverschiedenheit von Geist und Materie, und ich finde es sauschwer, zu fixieren, was er unter 'Geist' versteht.

· Das Wesen des Geistes ist bei ihm nicht das Bewusstsein.

· Die ganzen Bewusstseitsphänomene, deren neurobiologische Verursachung man heute beweist, sind ebenfalls für Descartes körperlich (mit)verursacht.

Was ist Geist für ihn dann? Und was versteht er unter Wesensverschiedenheit? Mal sehen, wie ich mit dem Text weiter zurecht komme. Obige Punkte dürften mein bisheriges Descartes-Bild, das ich so von den gängigen Darstellungen übernommen habe, jedoch schonmal gut ins Wanken bringen. Heute auf dem Heimweg sah ich an einem Laternenpfahl die Werbung einer Lebensberatungs-Hotline mit integriertem philosophischen Sorgentelefon. Wenn ich genug Bier intus habe, rufe ich dort an.


Kommentar #1 von RKS:

Lieber Ruben Schneider,
ich denke – mich auf Ihre ad hoc-Thesen beziehend – das ist es:
Descart ist absolut von heute: Das Stichwort wäre EMERGENZ. Dieser Terminus ist ja nur ein nichts und alles sagender Platzhalter für genau das, was den grossen Franzosen offensichtlich bewegt hat:
Wenn er nirgends die Trennung von Geist und Körper behauptet, hat er eingesehen (vor uns allen), man kann die atomare und Molekulare Grundlage (das Gehirn) nicht und niemals von der schier unerklärlichen Erscheinung BEWUSSTSEIN trennen. Man sieht also: Dualismus ist kein Gegensatz zum funktionalen Monismus. Erkennen wir an: Er hat die Einheit von Leib & Seele "bewiesen", sprich gesehen und zu artikulieren sich bemüht.
Seine Bewusstseinsphänomene sind folgerichtig körperlich (mit)verursacht. Dem muss man zustimmen.
Wenn aber das Wesen des Geistes NICHT das Bewusstsein sein soll, gibt es meines Erachtens nur eine Erklärung: Gehirn Und Bewusstsein sind (in heutiger Sprache) die beiden Seiten der FORM; man kann anschliessen sowohl an an das Gehirn (den Körper) oder an das Bewusstsein (die res cogitans). GEIST wäre dann (oder könnte sein, wir wollen ja Descart Gerechtigkeit widerfahren lassen): Die EINHEIT der Unterscheidung Körper(gleich Gehirn)/Bewusstsein.
Die Einheit einer Unterscheidung (der Schrägstrich, die Grenze, die Trennung) ist aber ein Paradox: Man kann nicht beides sogleich beobachten. Die Einheit einer Unterscheidung ist der Blinde Fleck des Beobachters. Der Beobachter kann ihn nicht sehen. Ein Beobachter des Beobachters (also wir hier jetzt) kann aber sehen, dass er es nicht sehen kann.
Der GEIST, der Körper UND Bewusstsein "bindet" und "verbindet" ist das Nichtsichtbare; in klassischer Terminologie: GOTT.
Säkularisiert: Gott, der Geist, als die Einheit von Körper und Bewusssein (oder auch Seele) ist die Gesellschaft, die Sozialität, das Kommunikative.
Ich hätte hiermit keine Schwierigkeiten.
Beste Grüsse.

20.07.2008 / 14:56

Kommentar #2 von Ruben:

Also Descartes behauptet nicht die Trennung von Geist und Körper, aber ihre Trennbarkeit. Was er wohl sagen will, ist, dass aus der Trennbarkeit nicht folgt, dass sie faktisch dann nur eine akzidentelle Einheit eingehen, sondern dass sie auch dann durchaus substanziell geeint sein können. Was Sie mit Einheit der Unterscheidung meinen, verstehe ich leider nicht ganz.

20.07.2008 / 17:01

Kommentar #3 von RKS:

Lieber Ruben Schneider,
zu Ihrer Ergänzung: d'accord. Was die Einheit der Unterscheidung betrifft: Da schicke ich Ihnen lieber eine private mail, damit ich nicht wieder hier anecke, weil ich eine Luhmann-Fahne schwenke.Das würde doch nur missverstanden, aber ich hätte sonst mein Argument nicht zu Ende bringen können.
Antwort also auf einer anderen Bühne.

20.07.2008 / 18:17

Kommentar #4 von einem geneigten Leser:

Vielen Dank,
als irgendwie auch mit Hirnforschung zu tun habender Mensch habe ich auch immer brav Descartes Scheisse gefunden, ohne ihn jemals gelesen zu haben. Und als ich dies dann versuchte, habe ich es einfach nicht verstanden, warum ich ihn nun eigentlich doof fand.
Also vielen Dank nochmal.

05.08.2008 / 18:40

Kommentar #5 von RKS:

Lieber Vorschreiber,
dieses Überraschungsgefühl kenne ich: Man liest – warum eigentlich – statt der Originale die Jahrhunderte später referierenden Zusammenfassungen und meint, nun zu wissen, wo es mal lang gegangen sei, denkste, es gibt viele solcher fälschlich übergangenen Klassiker. Jahrelang habe ich statt Hegel über Hegel gelesen, weil ich zuvor, auf Empfehlung meines Bruders, der seinerzeit in Halle studierte, mich an der "Phänomenologie des Geistes" ziemlich vergeblich versuchte. Kürzlich habe ich mal Hegels Rechtsphilosophie gelesen, und siehe da: Es ging mir so wie Ihnen jetzt mit Descart; und mit Descart ist es mir ja – mit Reben Schneiders Hilfe, genauso ergangen. Genau wäre zu empfehlen Thoas von Aquin oder Leibniz. Man kann da so manche Überraschung finden, so nach der Erkenntnisfigur: Alles schon einmal – zumindest im Ansatz – dagewesen. Die Mühlen des wahrhaft Neuen mahlen sehr, sehr langsam.

09.08.2008 / 15:35

Kommentar #6 von Klaus Robra:

Sehr interessante Diskussion, sehr erfreulich, zumal ich selbst schon in den 80er Jahren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen bin, nachzulesen in 'Papers on French Seventeenth Century Literature', vol. XV, 1988, No. 28, S. 69-83, sowie in meinem Buch 'Und weil der Mensch Person ist...' Essen 2003, S. 160 f., 215-218, aber auch 51 f.
Einen gewissen Widerspruch sehe ich allerdings nach wie vor darin, dass Descartes einerseits zwischen Leib und Seele als eigenständigen "Substanzen" strikt unterscheidet, andererseits aber deren vollkommene Einheit postuliert (so in der 6. 'Meditation').
Immerhin ist er damit aber zum Wegbereiter eines modernen INTERAKTIONISMUS geworden, wie er z.B. auch von Candace B. Pert in: 'Moleküle der Gefühle', Reinbek 2001, S. 286 u. passim vertreten wird.
Mein jüngster eigener Vorschlag hierzu in:
'VorSchein' Nr. 30, Jahrbuch 2008 der Ernst-Bloch-Assoziation, Nürnberg 2008, S.145-152: 'Kann das Leib-Seele-Problem durch einen dialektisch-materialistischen Informationsbegriff gelöst werden?', wobei ich vielleicht etwas zu sehr auf 'Form' und 'Information' abgehoben habe.

20.01.2009 / 19:02