16.07.2008 / 00:36 / André Fromme liest: Bücher (von Autoren)

Still, weit und weg


Geeignete Leseposition: Hochpreisiger Forster-Band auf niedrigpreisigem IKEA-Kissen.
Der Kollege Jahr hat ja lange Zeit darüber berichtet, wie er Georg Fosters »Reise um die Welt – Illustriert von eigener Hand« nicht gelesen hat, weil er sich den nicht übertrieben günstigen Band in der edlen und so schön anzuschauenden wie anzufassenden Ausgabe der Anderen Bibliothek nicht leisten konnte1. Ich weiss nicht, ob der Eichborn-Verlag schon realisiert hat, welche Summen sie Volker Jahr für diese ungemein gute Werbung schulden, denn ich weiss von mindestens einem Exemplar, das sonst einhundertprozentig nicht verkauft worden wäre. Selbst bei nur 3% Beteiligung am hierdurch generierten Umsatz sollte da doch mindestens ein Pils für den guten Mann drin sein.

Doch genug Sonnen im Lichte der Grosstaten anderer. Seit kurzem wohne ich in Irland. Als ich diesen Text begann seit drei Tagen, inzwischen sind es schon anderthalb Monate.2 Das erwähne ich nicht nur – aber ganz klar auch – aus Angeberei, sondern vor allem, weil es erklärt, wie ich dazu komme, einen derartig schweren Schinken zu lesen. Beim Packen fand sich nicht für alle Haushaltsgegenstände Platz. Neben Fahrrad und anderen Trimmdich-Geräten blieb auch der Fernseher zurück. So geschah es, dass wir, an dem Tag, an dem das quasi-lokale Munster-Rugby-Team das Heineken-Cup-Finalspiel gegen Toulouse bestritt, Unterhaltung brauchten, denn der Bekanntenkreis war drei Tage nach Ankunft noch nicht ausreichend gross, um sich zum Rugby-Gucken einladen zu lassen. Da kommt man (für moderne Zeiten betrachtet) komisch drauf und beginnt, sich gegenseitig aus der »Reise um die Welt« vorzulesen. Und sich zu fragen, ob man, hätte man dieses Buch in Deutschland eingelagert, im Umzugswagen nicht doch noch genug Platz für den Fernseher gehabt hätte.

Die Herausgeber machen es spannend. Eingeleitet wird mit einem längeren biographischen Essay. Den ich unterm Strich mir selbst vorlese, da meine Freundin ihn entweder so entspannend oder so langweilig findet, dass sie trotz mehrfacher brutaler Wachhalteversuche meinerseits selig wegschlummert. Ein Feuerwerk an Rängen und Namen – Priester, Lords, Ladies, Fürsten (einschliesslich Dichterfürst Goethe) und viele andere Promis seiner Zeit hat Forster augenscheinlich getroffen. So viele, dass ich mich zwischenzeitlich frage, wo er eigentlich die Zeit dazu gefunden hat. Schliesslich mussten noch drei Jahre Weltumsegelung, mehrfache internationale Wohnortwechsel, politisches Engagement während der französischen Revolution und ein früher Tod mit 39 in seinem Lebenslauf Platz finden. Obendrein verlor er seine Angetraute an – wenn man dem Essay glauben darf – einen ausgemachten Hohlroller und Aufschneider. Kurz: Ein erstaunlicher Mensch, dieser Forster. Erstaunt hat mich auch, wie häufig ausgerechnet Kassel als Dreh- und Angelpunkt vielen Geschehens genannt wird. Eben jenes Kassel, das – die Kasselaner mögen mir vergeben – bei unserer Ziel-für-den-Umzug-Suche sofort als Musterbeispiel für Unattraktivität rausflog. Noch knapp vor Castrop-Rauxel (das einen coolen Namen auf der Habenseite hat) und Lippstadt. So ändern sich die Zeiten.

Auf Seite 34 finden die biographischen Anmerkungen ihr trauriges Ende. Doch in die Trauer mischt sich Vorfreude – nur noch einmal umblättern, dann gehen wir auf Weltreise. Pustekuchen. Es folgen Anmerkungen zu den Umständen der Veröffentlichung der Erstausgabe. Immerhin: hier schreibt Forster selbst und ich freue mich über die ersten ortographischen Auffälligkeiten des damaligen Schrift-Deutsch. Meine Freundin ist wieder wach und hört mir zur, will sich aber nicht so recht mitfreuen. Durchs Vorlesen geht halt oft viel verloren. Schade ist, dass eben das, was Forsters Vorbemerkungen in fein gedrechseltem Deutsch erklären, bereits einigermassen ausführlich im vorangegangenen Biographie-Teil dargelegt wurde. Schnödes Vorblättern ist natürlich trotzdem keine Option, denn ein so teures und vor allem schweres Buch gehört bis zur letzten Seite ausgekostet. Vermutlich werde ich selbst vor dem Index nicht Halt machen.

Dem tatsächlichen Aufbruch auf die Reise um die Welt schaue ich weiterhin mit Zuversicht entgegen. Es kann sich nur noch um Wochen handeln...

1Wer das noch einmal nachlesen möchte, kann das gern hier tun. Auch zum wiederholten Lesen geeignet.

2 Wo genau die geblieben sind, vermag ich derzeit nicht zu sagen. Das würde vor Gericht vermutlich keinen guten Eindruck machen.


Kommentar #1 von Wolfmael:

Sonnen in den eigenen Mittelgrosstaten: So hochpreisig muss dieser ansonsten selbstverständlich wunderbare Band gar nicht sein. Textgleich, sogar mit beibehaltenen orthographischen Auffälligkeiten, bietet der Insel Verlag eine tröstliche Alternative an:
http://tinyurl.com/5fnv53

20.07.2008 / 13:00

Kommentar #2 von André Fromme:

Danke für den Hinweis – Das ist zwar fraglos eine tröstliche Alternative aber doch irgendwie nicht dasselbe.
Bei wem aber nicht Weihnachten vor der Tür steht, der lese natürlich lieber den insel-Verlag-Forster als gar keinen.

21.07.2008 / 00:47