11.05.2008 / 16:14 / André Fromme liest: Bücher (von Autoren)

Die Hoffnung stirbt zuletzt (0-266)

Vielen wird es aufgefallen sein: Deutschland ist seit Tagen sonnendurchflutet. Damit ergibt sich ein Problem – wie verhindern, dass man zu gut drauf kommt? Da blühen schliesslich die verwegenen Ideen: Blaumachen, WM in einem EM-Jahr feiern, Grillen, Nachbarn mit dem Gartenschlauch bespritzen usw. Das gilt es zu verhindern. Beliebtes Mittel gegen die erste Sonneneuphorie ist der erste Sonnenbrand der Saison. Entgeht man diesem – ob durch Glück oder rechtzeitige Präventivmassnahmen – muss man zu anderen Mitteln greifen. Traditionelle griechische Musik gilt in unseren Breitengraden beispielweise nicht als ausgesprochener Stimmungsaufheller. Ersatzweise genügt der diesjährige Preisträger der Leipziger Buchmesse, Clemens Meyers »Die Nacht, die Lichter«. Perfekt geeignet, einen auf dem Boden zu halten, wenn Wetter oder sonstige Lebensumstände zum Fröhlichsein anregen. Umgekehrt gilt auch, dass ich mir nicht vorstellen kann, dieses Buch zu lesen wenn ich auch nur mittelmässig (geschweige denn mies) drauf bin.

Meyer widmet sich in diesen Erzählungen den normalerweise weniger stark ausgeleuchteten Mitgliedern der Gesellschaft – dem Grossmarkt-Gabelstaplerfahrer, dem einsamen Hundebesitzer und Hartz IV-Empfänger, dem Knastbruder auf Hafturlaub und anderen. In »Die Nacht, die Lichter« sind sie obendrein ausgesprochene Einzelgänger. Gespräche beschränken sich aufs Nötigste, Freundschaften finden nicht statt oder sind lange zerbrochen. Neue sind vielleicht in Entwicklung, aber man ahnt schon, dass das letztlich doch wieder nichts geben wird. Die Protagonisten kennen das Schicksal persönlich. Es ist gross, haarig und tritt einem gern dahin, wo's besonders weh tut. Nicht unbedingt kräftig. Aber ausdauernd, immer wieder. Die Welt ist kalt, auch im Sommer, und diese Erkenntnis führt zu einigen funkelnden Passagen.

»Hab das mit deiner Frau gehört«, sagte Schäfer, »tut mir leid.«
»Danke. Is schon 'ne Ewigkeit her. Ich hab 'n Hund jetzt. Ist nicht dasselbe, aber ich bin nie allein.«
»Tja«, sagte Schäfer, »so 'n Tier ist schon was Feines.«

»Hast eine kleine Reise gemacht wegen mir, stimmt's«, sagte sie und rückte näher an mich ran. »War nicht allzu weit«, sagte ich. Ich nahm mein Glas, roch nach »Goldbrand«, schmeckte auch so.

Da ist vieles nicht nur sehr genau beobachtet sondern auch sehr fein notiert. Und doch trifft Realismus einerseits auf eine merkwürdige Kälte der Figuren andererseits. So dreckig es ihnen gehen mag, nur für die wenigsten entwickele ich Sympathie. Vielleicht, weil ich nur zwei oder drei Geschichten die zart angedeuteten Sehnsüchte tatsächlich abnehme. Vielleicht, weil es für meinen Geschmack in den anderen Geschichten einfach zu trostlos zugeht.

Dass alles kein gutes Ende nehmen wird, ahnt man zum Beispiel auch in Denis Johnsons »Already Dead: A California Gothic« (Deutsch: »Schon tot«), nicht nur wegen des Buchtitels. Und doch – bei Johnson hoffe ich, dass alles vielleicht doch noch anders kommen möge. Seine Figuren bewahren sich immer einen letzten Rest der Chuzpe und des Humors, sich auch nach dem x-ten Tritt in die Weichteile durch Gevatter Schicksal wenigstens zu denken, dass das Schicksal eigentlich ein dummer Feigling ist. In »Die Nacht, die Lichter« sind jedoch fast alle ergeben gegenüber dem Schicksal, haben die Macht des Stärkeren vollends eingesehen, versuchen sich möglichst geduckt zu halten und wagen kaum noch zu denken, dass sie theoretisch auch mal Glück haben könnten. Glauben sie dies doch, ruft der Autor mich, der ich ja mithoffen könnte, unmissverständlich zur Ordnung. Schade, dass das so vorhersehbar ist.

Romantisierung der beschriebenen Verhältnisse kann man Meyer offensichtlich nicht vorwerfen. Andererseits fühle ich bei der Lektüre nur selten mit. Ich bleibe seltsam ausgeschlossen aus der Gefühls- und Erlebniswelt der Drogendealer, Gefängnisinsassen und Kneipengänger. Doch eventuell liegt da ein Missverständnis vor und Meyer will tatsächlich »nur« beschreiben. Vielleicht geht er davon aus, dass der Leser, sofern er nicht denselben Hintergrund wie die Figuren in den Geschichten hat, sowieso nie begreifen können wird, mit wie wenig Hoffnung einige Menschen auskommen müssen.


P.S.: An diese Stelle erlaube ich mir eine Beschwerde über Volker Weidermann, der in seiner von mir arglos konsumierten WatchBerlin-Videokolumne book.book tatsächlich nicht nur den Ausgang der Story »Von Hunden und Pferden« verriet, sondern es darüber hinaus für nötig hielt, ihren letzten – absolut selbsterklärenden – Satz zu erklären.

André Fromme / Dauerhafter Link