03.05.2008 / 01:05 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Comeback (121-121)


Zwerg Nase ist wieder da.
Hallo. Hier geht die Descartes-Lektüre weiter. Bitte keine dummen Fragen stellen, warum sich der Descartesstrang plötzlich wieder in Bewegung setzt, wenn vor fast einem halben Jahr die Lektüre der Meditationes mit einem leisen Grunzen im stinkigen Schlick unfairer Kritik versank. Mir ist eben einfach danach, das Buch weiterzulesen. Warum-Fragen werden uns im Folgenden sowieso noch genug quälen.

Es wird so konzentriert weitergehen wie damals. D.h. wer lachen will, geht woanders hin. Ich verspreche: Es wird staubtrocken. Kehlen werden nur mit Korn benetzt. Das einzig Spannende wird das Thema selbst sein. Es geht hier um nichts Geringeres, als um die Frage nach der Wahrheit. Und die ist eine, nunja, ernste Sache. Hoffentlich.

Zunächst eine kurze Replik zu dem Bisherigen und ein Blick auf den Grund, weshalb die Lektüre damals endete:
1) Der Ausgangspunkt war: Gibt es unbezweifelbare Wahrheit?
2) Die Methode zur rationalen Erforschung dessen war rationale Skepsis, also keine Skepsis der Beliebigkeit, die einfach mal Dinge in Zweifel zieht, weil es ihr gerade so passt, sondern eine Skepis der Vernunft: Sie fragt nach hinreichenden Gründen für den Zweifel an vermeintlichen Wahrheiten – um etwas in Zweifel zu ziehen, muss man eine widerspruchsfrei denkbare Möglichkeit einer Ursache dafür angeben, dass wir uns in dem fraglichen Punkt täuschen.
3) Die Hypothese des genius malignus: Es ist möglich, dass es eine potente Ursache U1 gibt, die Grund dafür ist, dass wir uns entgegen allem Anschein in der Existenz der Aussenwelt und in den klaren und deutlichen wissenschaftlichen Theorien und logischen Schlüssen täuschen.1
4) Cogito, ergo sum: Es ist unbezweifelbar wahr, dass ich existiere, solange ich mich täusche, bzw. solange ich denke. U1 kann mich darin nicht täuschen.
5) Der Gottesbeweis: Damit die täuschende Ursache U1 ausgehebelt werden kann, muss die Existenz einer omnipotenten Ursache U2 bewiesen werden, der die Attribute der Wahrheitsttreue und Unfehlbarkeit zukommen: Gott. Also schritt Descartes in der III. Meditation zu einem Gottesbeweis. Die I.-III. Meditation haben also die Struktur einer reductio ad absurdum: Die Annahme der Existenz eines genius malignus wird durch den Erweis ihres kontradiktorischen Gegenteils (die Existenz Gottes) zum Widerspruch geführt.
6) Zirkelvorwurf: Der Gottesbeweis muss mit rationalen Mitteln bestritten werden, er ist ein klarer und deutlicher logischer Syllogismus. Aber alle logischen Schlüsse sind durch die Hypothese der Täuschungsursache U1 diskreditiert. Man kann auf sie nicht vertrauen. Wird dadurch nicht ein Gottesbeweis unmöglich?2 Wurde also ein Zirkelschluss begangen?

Na, wieder im Thema? Der Zirkelvorwurf brachte die Descarteslektüre zu ihrem fiesen Ende. Er ist ein schwerwiegender Vorwurf, auf den Descartes in seinen Antworten auf die Einwände leider nicht richtig eingeht. Aber ich denke, man kann diesen Vorwurf abschmettern. Darüber habe ich mir das letzte halbe Jahr Gedanken gemacht, nur darüber und über nichts anderes, und das wird im Folgenden gnadenlos durchgekaut werden. Ich freue mich auf Ihr ungehemmtes Interesse!

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1 Insbesondere wurde herausgestellt: Frei in der Luft hängende Wahrheit wissenschaftlicher Theorien, ein reines Gelten ohne existierende Dinge, auf die diese Theorien angewendet werden, ist sinnlos. Denn wenn sie den Grund ihres Geltens rein in sich selbst tragen, fragt sich, wieso sie überhaupt für irgendetwas gelten, d.h. wieso sie überhaupt wahr sein sollen. Wissenschaftliche Wahrheit muss Wahrheit von etwas sein, von Existierendem. Wahrheit und Wirklichkeit gehören untrennbar zusammen: Wahrheit ist das, was ist, "[...] quae ostendit id, quod est." (Augustinus: De vera religione, XXXVI, 66.)

2 Dieser Einwand wird im Wesentlichen von Antoine Arnauld in den Vierten Einwänden gegen die Meditationen vorgebracht: Er fragt, ob Descartes nicht "[...] einen Zirkelschluss gemacht hat, wenn er sagt 'es steht uns aus keinem anderen Grunde fest, dass das, was wir klar und deutlich erfassen, wahr ist, als dadurch, dass Gott ist'. Aber es kann uns nicht feststehen, dass Gott ist, es sei denn, dass es von uns klar und evident erfasst wird." (In der grünen Meiner-Ausgabe, S. 194.)

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Ruben Schneider / Dauerhafter Link / Kommentare (2) / Buch kaufen und selber lesen


Kommentar #1 von RKS:

Lieber, geschätzter Ruben Schneider,
ich habe gelesen, also bin ich da. Ich bin interessiert. Ich bin nicht bockig. Ich bin neugierig und gespannt. Ich werde mich schweigend aber aufmerksam zurückhalten. Ich werde es nicht besser wissen können. Dieser erste konzise Text ist schon mal die halbe alteuropäische Miete. Vergessen Sie bitte nicht: Der Hauswirt hat gewehselt.
Mit herzlichen Grüssen: Ihr RKS

03.05.2008 / 14:44

Kommentar #2 von Ruben:

Sie müssen doch nicht schweigen, Herr Sander.

04.05.2008 / 18:21