20.03.2008 / 20:56 / Aleks Scholz liest: The Road to Reality (Roger Penrose)

Twistorschlusspanikepios (934-1009)

Stringtheorie. Schleifenquantengravitation. Twistortheorie. Drei lange Kapitel, drei Gesellschaftsspiele auf dem Weg zur Theorie von Allem. Noch mal das Grundproblem: Die zwei dominierenden physikalischen Theorien der Gegenwart, Quanten und Relativität, funktionieren getrennt beide super, beruhen jedoch auf unvereinbaren Prämissen. Sie zu einer neuen Theorie zu vereinen, das ist das Ziel. Und auch wenn das total einfach klingt, gibt es offenbar diversen Anlass zum Hadern. Abgesehen von den üblichen komplizierten Sachfragen, auf die hier aus, ähm, Gründen nicht näher eingegangen werden soll1, gibt es zumindest zwei leicht überraschende Probleme.


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Das eine ist, dass niemand so genau weiss, ob man jetzt die Quantentheorie an die Relativitätstheorie anschrauben soll oder umgekehrt. Welche von beiden ist das Klavier, welche der Notenständer? Penrose zum Beispiel hält Einstein für ewig und fordert radikale Umbauten an den Quanten, damit alles zusammenpasst. (Von mir aus sehr gern.) Die zweite Schwierigkeit ist so ähnlich wie das Deep-Thought-Problem bei Douglas Adams: Es besteht keine Einigkeit darüber, welche Art Fragen man eigentlich mit der grossen Theorie, wie auch immer sie aussehen mag, beantworten können sollte. Gelegentlich stehen Stringtheoretiker auf und sagen "42", worauf Penrose nur erwidert: "Sechs mal neun?" So geht es zu in der theoretischen Physik.2

Penrose selbst hat ein halbes Jahrhundert mit Twistoren gearbeitet, so verwundert es nicht, dass er eine gewisse Vorliebe für diese Art Welterklärung unterhält. Geht man allein nach der Eklektizität der Terminologie, so ist die Twistortheorie klar allen Konkurrenten überlegen, vor allem weil es in ihr Hyperkähler Manifolds und Sheaf Cohomology (alles richtig geschrieben) gibt. Letzteres benötigt man zum Beispiel, um das unmögliche Dreieck zu beschreiben, das offenbar an jeder Stelle einwandfrei aussieht, nur insgesamt betrachtet beim Mann von der Strasse Kopfschütteln verursacht. Nicht so für den Kohomologen! Gern würde man mehr davon wissen, aber vielleicht geht es auch ohne.


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Aber dann begreife ich doch noch alles. Am letzten Dienstag stehe ich drei Stunden lang in der Carling Academy Glasgow und starre in Richtung Mars Volta. Die Musik von Marsvolta – Inertiatic, Tarantism, Faminepulse, Tetragrammaton, Meccaamputechture, Metatron – klingt ähnlich fantasmatisch wie die Spezifikationen der Twistor-Theorie. Das grossflächige Gemälde im Bühnenhintergrund rankt sich um ein überdimensioniertes Auge, Mensch oder Tier, das mich unverwandt anstarrt. Ein Metallzylinder mit Lichtschlitzen dreht sich direkt unter dem Auge und schleudert sanfte Blitze durch den Saal. Es dauert ein wenig, bis ich verstehe, dass dies kein Konzert ist, sondern eine Art Therapie, aber als es soweit ist, kommt der Rest ohne Vorwarnung.

Die Welt ist im Halbdunkel meines Kopfes und ich sehe von aussen auf sie herab. Komplex und wirr sieht sie aus, keine Frage, aber sie ist warm, lebendig, wunderschön und zuckt besonnen in einem der zwölf Takte von Wax Simulacra. Man kann gar nichts falsch machen. An jedem Ende schliessen sich Kreise und leuchtende Ströme laufen von mir einmal bis zum Ereignishorizont und zurück. Ich stehe in einem Raum, die Zeit vergeht und Licht macht lichtartige Dinge. Das Gerümpel verwandelt sich in vollkommene Klarheit und Strings, Branes, Spinloops, Twistoren in grosse Horntiere, die friedlich am Ufer grasen3. Das Universum sieht ein für allemal deutlich besser aus als, sagen wir, eine Buchmesse.

1 Unter anderem die zahlreichen Versuche zur Quantisierung der bislang kontinuierlich gedachten Raum-Zeit-Struktur – man hackt kleine Stufen in Raum und Zeit, damit man nicht so leicht runterfällt.

2 Am Grunde dieses Problems liegt erneut die Frage, was eigentlich diese Wirklichkeit ist, auf der wir die ganze Zeit herumhacken. Zwei Theoretiker tasten im Dunkeln einen Elefanten ab, die einen befühlen die Ohren, die anderen den Schwanz. Kein Wunder, dass es so ausgeht, wie es ausgeht.

3 Mehr über Elefanten im grossen Finale.

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Aleks Scholz / Dauerhafter Link / Kommentare (3) / Buch kaufen und selber lesen


Kommentar #1 von Stefan:

Danke! Mir fällt kein schlauerer Kommentar ein ausser der nörgelnd-besserwisserschen Frage, ob die Dinger nicht eigentlich Hyper-Kähler Manifolds heissen?
Ganz viel Erfolg bei der letzten Etappe!

20.03.2008 / 22:11

Kommentar #2 von Aleks:

Das mit den Kählers stimmt.

20.03.2008 / 23:18

Kommentar #3 von Michael:

Ich versteh schliesslich und letztendlich gar nichts mehr davon aber das Bauchgefühl sagt Ja (der Bauch kribbelt aber auch manchmal unmotiviert in der Gegend herum und ist generell unendschlossen was komplexere Sachverhalte als Frühling und Schokoeis anbelangt...) und ich könnte mir vorstellen dass es für Sie auch eine Erleichterung ist den Deckel zu zu klappen. Applaus, Dankbarkeit und Erfrischungsgetränke erwarten Sie im Ziel.
Wie die Trainerin immer sagte: "Schön locker bleiben und ruhig atmen!"

21.03.2008 / 02:15