21.02.2008 / 13:15 / Mehrere lesen: Verschiedenes (von manchen)

Sternstunden der Bedeutungslosigkeit

Es mag gut und gerne ein Vierteljahrhundert her sein, vielleicht ein, zwei Jahre weniger, dass ich King Rocko Schamoni zum ersten Mal sah. Irgendwann Mitte der Achtziger, in der Frankfurter "Batschkapp", als Ein-Mann-Vorgruppe des ersten Goldenen Zitronen-Konzerts, das ich besuchte. Rocko betrat die Bühne, auf dem Kopf einen Sombrero, in der Hand eine Wandergitarre, und sang zwei Lieder: "Hallo, ich bin Rocko Schamoni" (Hallo, ich bin Rocko Schamoni, hallo, die Sonne, sie scheint, hallo, ich bin Rocko Schamoni, und wo ich bin ist überall Sonnenschein) sowie "Johnny ritt in die Ferne", ein im Countrystil gehaltener Kracher über eine enttäuschte Männerfreundschaft (Wir ritten durch die Wüste, die Sonne brannte heiss, im Lande der Komantschen ist's gefährlich wie man weiss. Zwanzigtausend Dollar und die Taschen voller Gold hatten wir uns eben aus der Bank von Dodge geholt). Der namenlose Protagonist, dessen Pferd schlapp macht, schickt seinen Freund Johnny zum Hilfeholen weg und wird vom Sheriff und seinen Leuten umkreist (Ich kämpfte wie ein Löwe, doch sie setzten mich auf Eis). Man verhaftet ihn und als er auf den Galgen geführt wird, erblickt er in der Menge einen kalt lächelnden Johnny "mit zwei Mädchen an der Hand". Die Zitronen luden am Ende des Konzerts die anwesenden Fans zum gemeinsamen Kiffen auf die Bühne ein, aber ich ging nicht hin und konnte so auch keine Worte mit Rocko wechseln. Ich war fasziniert, hier schlug das Herz des Punk als offenes Buch direkt vor mir, aber die kleinbürgerlichen Konventionen in mir waren einfach zu stark. Trotzdem war ich von dieser Sekunde an am Haken und verfolgte aufmerksam den weiteren Lebensweg des im gleichen Jahr wie ich geborenen Rocko.

Vielleicht, es ist schon so lange her, verwechsle ich aber auch gerade etwas und es war gar nicht das erste, sondern das zweite Goldene Zitronen-Konzert, denn irgendwann war auch Norbert Hähnel mal Vorgruppe, meine ich mich zu erinnern, der "wahre Heino", Besitzer des Scheissladens in der Grossbeerenstrasse in Kreuzberg und Stammgast in der auch von mir bei Berlinbesuchen sehr gern aufgesuchten Hornklause in der Hornstrasse. Naja, eigentlich auch egal.

Während ich also die konventionelle Laufbahn einschlug und den langen Marsch durch die Institutionen antrat, machte soulbrother Rocko Musik, gründete in Hamburg den Golden Pudel Club, produzierte für 3sat die sehr schöne Reihe "Pudel Overnight", veranstaltete als Studio Braun gemeinsam mit Jacques Palminger und Heinz Strunk lustige Telefonscherze und fing irgendwann an zu schreiben. 2000 erschien das eher nicht so schöne "Risiko des Ruhms", 2004 das dafür umso grossartigere "Dorfpunks", in dem er von seiner Jugend als Dorfpunk in Schleswig-Holstein berichtet. "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit" aus dem Jahr 2007 nun ist so eine Art Fortsetzungsroman, der Dorfpunk ist nach Hamburg gezogen und versucht, sich selbst und den Sinn des Lebens zu finden, wird aber immer wieder vom Alkohol und seinen Leuten umkreist. Von diesem Buch soll im Folgenden die Rede sein.


Kommentar #1 von R.K.S.:

Wenn ich das lese, komme ich mir vor, als sei ich schon vierzig Jahre tot: Ich habe all die Namen, die hier in diesem Text gefallen sind, von den Liedertexten ganz zu schweigen, noch nie (etwas) gehört, geschweige denn erlebt.
Plötzlich wird mir klar: Ich lebe doch wohl auf einem ganz anderen Planeten.
Aber ich muss es doch wohl nicht noch einmal bekennen: Nichts ist schöner, als etwas dazu zu lernen, auch wenn es zunächst nur um blankes Erkennen geht, noch keineswegs um Verstehen.
Ich habe schon mal irgendwo geschrieben: Das Aufregendste, was es gibt auf dieser Welt – und glaubt mir, ich kenne auch anderes – ist doch das Geheimnis zwischen zwei Buchdeckeln, solange das Buch noch nicht aufgeschlagen ist. Schon das Vorspiel: Der Klappentext, das Inhaltverzeichnis, das Namen- und Sachregister, das Literaturverzeichnis: Es gibt nichts Geileres!

21.02.2008 / 13:33

Kommentar #2 von billy koettbullar:

man sagt nicht mehr "geil". man sagt jetzt "korall"!

21.02.2008 / 15:06

Kommentar #3 von Jochen:

Oft sind Klappentext, Inhaltsverzeichnis, Namen- und Sachregister, Widmung, Fussnoten und Literaturverzeichnis sogar das Geilste am Buch, wie "Paratexte" von Gérard Genette vorführt.

21.02.2008 / 17:23

Kommentar #4 von R.K.S.:

Ich bedanke mich herzlich bei meinen beiden menschenfreundlichen Vor-Schreibern für die informativen Hinweise. Ich liebe es, jeden abend ein bisserl unterrichteter ins Bettchen zu gehen.
Gute Nacht allen lustigen Leseseelen.

21.02.2008 / 20:48

Kommentar #5 von Frau Grasdackel:

Übrigens, am Montag "Kula Shaker" in der "Batschkapp".

23.02.2008 / 02:23